Gewalt gegen Entwicklungshelfer: Zwischen den Fronten
Sie kommen, um zu unterstützen. Doch ihr Job wird immer gefährlicher. Entwicklungshelfer sind zum Ziel von Anschlägen und Attacken geworden. Die Täter wissen: Ausländische Opfer garantieren weltweite Aufmerksamkeit.
Syrien ist kein Einzelfall. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen geraten immer wieder zwischen die Fronten. Immer öfter werden sie sogar gezielt angegriffen, weil sich einzelne Kriegsparteien davon internationale Aufmerksamkeit versprechen. „Viele Konflikte, die wir derzeit erleben, sind durch eine extreme Brutalität gekennzeichnet“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen (MSF). Was das für Helfer bedeutet, wurde in Syrien gerade deutlich: Bei Luftangriffen auf Krankenhäuser starben in der vergangenen Woche mehr als 50 Menschen, darunter auch Ärzte und Pfleger. Offenbar wurden die Kliniken mit Absicht bombardiert. Für Ärzte ohne Grenzen ist das kein neues Phänomen. Die MSF-Liste der „schlimmsten Vorfälle“ des vergangenen Jahres listet neben Syrien den Jemen, Somalia, Südsudan, Sudan, die Zentralafrikanische Republik und Afghanistan auf. Allein bei der Zerstörung des MSF-Krankenhauses im nordafghanischen Kundus kamen im Oktober 2015 insgesamt 42 Menschen ums Leben, darunter 14 Mitarbeiter der Organisation.
Die Umstände des Angriffs sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Die Stadt war von den Taliban eingenommen worden, afghanische und amerikanische Einheiten versuchten, sie zurückzuerobern. Im Zuge dieser Offensive hatten US-Kampfjets das Krankenhaus unter Beschuss genommen, nachdem sie von afghanischen Truppen zu Hilfe gerufen worden waren. Zunächst hieß es, die Afghanen hätten in der Klinik Kämpfer der Taliban vermutet, dann war von einer Verwechslung die Rede. „Inzwischen sprechen die USA von einer Verkettung von Fehlern, eine unabhängige Untersuchung lehnen sie aber ab“, sagt Westphal. Er fürchtet, dass völkerrechtliche Vereinbarungen an Bedeutung verlieren, etwa das in der Genfer Konvention festgeschriebene Recht des Feindes auf medizinische Behandlung.
Ärzte ohne Grenzen und auch das Internationale Rote Kreuz behandeln grundsätzlich Verletzte und Kranke aller Konfliktparteien. Daran wollen sie festhalten. Ihr Einsatz gilt aber vor allem der Zivilbevölkerung. Doch der wird immer gefährlicher. Westphal: „Wir gehen dahin, wo die Not am größten ist, und das ist nun einmal in der Nähe der Front.“ Ohne minimale Sicherheitsgarantien können aber auch Ärzte und Pfleger nicht arbeiten. In Syrien betreibt Ärzte ohne Grenzen daher nur noch Kliniken im Norden des Landes. Im Gebiet des sogenannten Islamischen Staates ist die Organisation gar nicht tätig. Wo immer es geht, unterstützt sie lokale Einrichtungen mit Medikamenten und Material.
Immer mehr Tote und Verletzte
Auch andere Hilfsorganisationen arbeiten im Krisenmodus. Die staatliche GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) hat eine Arbeitsgruppe „Arbeiten in fragilen Staaten“ eingerichtet, weil in mehr als der Hälfte ihrer Einsatzländer die staatlichen Strukturen praktisch zusammengebrochen sind. Das stellt nicht nur den Erfolg ihrer Projekte infrage, sondern erhöht auch die Risiken für die Mitarbeiter. Denn wo es keine staatliche Ordnung gibt, gewinnen kriminelle Banden und Extremisten die Oberhand. Laut dem „Aid Worker Security Report“ wurden 2014 weltweit 329 Helfer verletzt, entführt oder getötet. 2004 waren es 125. Allein die Zahl der Getöteten stieg von 56 auf 121, die Zahl der Entführungen von 46 auf 120. In Afghanistan wurden bereits mehrere GIZ-Mitarbeiter entführt, eine sogar mitten in der Hauptstadt Kabul. Erst nach zwei Monaten Geiselhaft kam sie frei. Doch immerhin: Sie überlebte. Ein in Pakistan entführter Experte der Deutschen Welthungerhilfe starb im Januar 2015 nach mehr als drei Jahren Geiselhaft. Sein mit ihm entführter Kollege, der an einem anderen Ort gefangen gehalten wurde, war kurz zuvor freigekommen.
Sicherheitstrainings, bei denen auch Entführungen durchgespielt werden, gehören mittlerweile zum Standardvorbereitungsprogramm für Entwicklungshelfer. Helfer lernen dabei, wie sie ihre Angst kontrollieren können. „Wir nennen es Rüstzeug für den Kopf“, sagt Josef Frei, Sicherheitsbeauftragter der Deutschen Welthungerhilfe. Viele Hilfswerke beschäftigen heute Fachleute wie Frei. Sie stellen Sicherheitskonzepte für die Arbeit in Gefahrenländern auf und sammeln Informationen über „sicherheitsrelevante Vorfälle“, wie Frei es nennt. Das können Anschläge oder Unruhen sein, aber auch Demonstrationen mit Eskalationspotenzial. Manche von Freis Kollegen sind frühere Bundeswehrsoldaten, er selbst war Berufsoffizier in der Schweiz und als Militärbeobachter für die Vereinten Nationen auch selbst in Krisenländern unterwegs.
An der Wand in Freis Büro hängt eine Landkarte, auf der die Einsatzländer der Welthungerhilfe farbig gekennzeichnet sind. Gelb steht für ein sicheres Land, orange für ein gefährliches, rot bedeutet besonders gefährlich. Seit einigen Jahren hat sich die Farbskala deutlich in Richtung orange und rot verschoben. „Früher lauerte die größte Gefahr im Straßenverkehr“, erklärt Frei. Autounfälle seien für die meisten Todesfälle im Ausland verantwortlich gewesen. Auch kriminelle Überfälle habe es gegeben. Gezielte Angriffe auf Helfer seien hingegen tabu gewesen. „Das war ein ungeschriebenes Gesetz und wurde von allen Konfliktparteien akzeptiert. Doch es gilt nicht mehr.“
Ausgehverbote und andere Vorsichtsmaßnahmen
Auch jetzt, so glaubt Frei, seien eigentlich nicht die Helfer oder ihre Organisationen das Ziel von Anschlägen. „Es geht darum, Bürger westlicher Staaten zu treffen.“ Die jüngsten Anschläge auf Hotels in Mali und Burkina Faso mit vielen Toten scheinen das zu bestätigen. Auch in der afghanischen Hauptstadt Kabul haben Terrorkommandos mehrfach Restaurants gestürmt, die vor allem von Ausländern besucht werden. In Ländern wie Afghanistan sind darunter naturgemäß viele Entwicklungshelfer. Die Angreifer, meist ideologische Extremisten, wollen also den Westen und die westliche Lebensweise treffen. Beides empfinden sie als Bedrohung ihrer eigenen Werte. Hinzu kommt, dass Anschläge mit westlichen Opfern Aufmerksamkeit garantieren. So werden Helfer zum Spielball ideologischer Machtdemonstrationen. Besonders heikel ist die Lage in muslimischen Ländern, in denen der „Islamische Staat“, die Taliban oder Al Qaida Anhänger haben.
Außer Vorsichtsmaßnahmen haben Hilfswerke dem kaum etwas entgegenzusetzen. Bewaffneten Schutz lehnen die meisten jedenfalls ab. „Wir kommen ja zum Helfen und wollen niemanden einschüchtern“, sagt Frei. Die Welthungerhilfe setze darauf, dass ihre Projekte und Mitarbeiter von der lokalen Bevölkerung akzeptiert würden. „Das ist der beste Schutz“. Dennoch: In manchen Ländern stellen Hilfsorganisationen schwarze Listen mit Lokalen auf, die ihre Mitarbeiter nicht aufsuchen dürfen. Einige verbieten ihren „Entsandten“ sogar, abends überhaupt auszugehen. Damit sie sich von der permanenten psychischen Anspannung erholen können, werden die GIZ-Mitarbeiter in Afghanistan regelmäßig für einige Tage ausgeflogen. Auch ihre Familien können sie nur im Urlaub sehen, denn für Angehörige sind Kabul oder Masar-i-Scharif „no go Areas“. Die Liste der sogenannten Familienstandorte wird immer kürzer.
Josef Frei wundert sich nicht, dass die Welthungerhilfe angesichts solcher Bedingungen zunehmend Schwierigkeiten hat, in Deutschland Personal zu finden. „Die Risiken und die Einschränkungen im privaten Bereich schrecken einfach ab.“ Der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen kann das allerdings nicht bestätigen: „Nach besonderen Krisen wie etwa der Ebola-Epidemie in Westafrika bekommen wir sogar eher mehr Bewerbungen.“