Innenausschusssitzung zum Datenklau: Zwischen Aufklärung und Anklage
Sicherheitsbehörden untersuchen, ob der Dieb von Politikerdaten Unterstützer hatte. Die SPD zweifelt an der Effizienz der Zusammenarbeit der Institutionen.
Die Hintergründe der massenhaft im Netz gesammelten Daten von Politikern und Prominenten und deren Veröffentlichung sind offenbar noch längst nicht vollständig geklärt. Das wurde bei der Befragung von Innenminister Horst Seehofer (CSU) und den Spitzen der Sicherheitsbehörden in der Sondersitzung am Donnerstag klar, die der Innenausschuss des Bundestages einberufen hatte. So sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, nach Angaben von Teilnehmern der Sitzung, dass unter anderem noch offen sei, ob der geständige Datendieb womöglich doch Mitwisser oder Unterstützer hatte. Dazu dauerten die Ermittlungen noch an.
Wenige Tage nach Bekanntwerden des Datenklaus aus persönlichen Accounts der Betroffenen war ein 20-jähriger Schüler aus Homberg in Hessen am Montag festgenommen worden. Er hatte die Tat gestanden, wurde dann aber auf freien Fuß gesetzt. Bei seiner Vernehmung hatte er nach Angaben des Bundeskriminalamtes angegeben, er habe Menschen „bloßstellen“ wollen, über deren öffentliche Äußerungen er sich geärgert habe. Zu einem Bericht der „Bild“-Zeitung, wonach der junge Mann Teile der von ihm genutzten Zugangsdaten sowie der von ihm geleakten Social-Media-Dateien im „Darknet“ erworben haben soll, sagte Münch: „Ich kann diese Meldung nicht bestätigen.“ Sie gehe nicht auf BKA-Ermittlerkreise zurück. Ähnlich äußerte sich die Staatsanwaltschaft.
Nach der Tat hatte sich der mutmaßliche Täter ganz offensichtlich redliche Mühe damit gegeben, seine Tat zu vertuschen und seine Spuren zu verwischen. Allerdings erst als er durch Medienberichte erfuhr, dass die Polizei eine eigene Ermittlergruppe für die Suche nach dem Datendieb eingerichtet hat. Auch das berichteten die Sicherheitsbehörden. Ihren Angaben zufolge löschte der Täter seine Festplatte 32 Mal und sei dann zu einem Recyclinghof gegangen, um seinen Computer „ordnungsgemäß“ zu entsorgen. Die Polizei ist jetzt damit beschäftigt, seine Festplatte aus einer Vielzahl von Festplatten, die dort ebenfalls abgegeben worden seien, herauszufischen.
Grünen-Innenexperte Notz will die Cyberpolizei stärken
Für Innenminister Seehofer stehen nach dem Datendiebstahl im Internet dessen Aufklärung, aber auch umfassende Bemühungen zum Schutz der Europawahl im Mai im Fokus. Es gelte „Manipulationen und Einflussnahmen auf dem Weg zum Wahltag mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermeiden“, sagte der Minister nach einer Innenausschusssitzung. Darüber hinaus müsse es darum gehen, Angriffe auf kritische Infrastrukturen, wie etwa den Energiesektor, „aktiv abzuwehren“. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) prüfe, wie es den Schutz der Verfassungsorgane und der Bundesbürger erhöhen könne. Sein Innenministerium prüfe zudem, wo Rechtsänderungen für mehr Sicherheit notwendig seien.
Vertreter der SPD äußerten Zweifel an der effektiven Zusammenarbeit der Behörden. Es stelle sich die Frage, ob Deutschland mit der Vielzahl an Behörden, die für die Cybersicherheit zuständig seien, wirklich gut aufgestellt sei, sagte der innenpolitische Sprecher Burkhard Lischka. Der aktuelle Fall wirke auf ihn wie „Wilder Westen“, bei dem „jeder Sheriff für seinen Sprengel zuständig ist, aber keiner so richtig weiß, was sein Nachbar macht“. Es stelle sich etwa die Frage, warum das BSI die nach eigenen Angaben bereits im Dezember bekanntgewordenen Einzelfälle nicht an das BKA weitergeleitet habe. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Mathias Middelberg, sagte hingegen, er sehe keine Versäumnisse bei den Behörden, auch nicht beim BSI. Middelberg griff zudem die Forderung der Grünen nach einer Cyberpolizei auf. Bislang hätten Grüne und Linke stets geblockt, wenn es etwa um Kompetenzen wie Online-Durchsuchung, verdeckte Ermittlungen im Darknet oder um längere Speicherfristen gegangen sei. Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagte, polizeiliche Einheiten in diesem Bereich müssten gestärkt werden. Das vom Innenminister angekündigte Cyberabwehrzentrum Plus sehe er aber erstmal kritisch. Ein Klingelschild allein bringe nichts. Man müsse über die „Härtung unserer Systeme“ reden. Der Datendiebstahl sei ein letzter Warnschuss an Gesetzgeber, Politik und Regierung gewesen, konkret etwas zu tun.
Für Kopfschütteln bei den Abgeordneten des Ausschusses sorgte eine Äußerung der Bürgermeisterin des Ortes, in dem der Tatverdächtige lebt. „Es gibt einen gewissen Stolz, dass es jemand war, der von hier kommt“, hatte Claudia Blum (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt. Für sie sei der Vorfall kein Skandal, für den sich der Ort schämen müsse. „Es geht ja nicht um Mord und Totschlag.“ Vielmehr zeige der Angriff, was ein 20-Jähriger schaffen könne, urteilte Blume. Der mutmaßliche Täter habe der „Republik einen Spiegel vorgehalten“. Der Vorfall solle alle wachrütteln, besser mit den eigenen Daten umzugehen. Inzwischen aber hat die Bürgermeisterin Claudia Blum gegenüber lokalen Medien erklärt, dass sie falsch zitiert worden sei. (mit dpa/AFP)