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Etat für das nächste Kabinett: Angela Merkel und Olaf Scholz müssen vorarbeiten.
© imago images/Jens Schicke

Scholz bastelt am Bundeshaushalt 2022: Zwei Regierungen und das 500-Milliarden-Euro Rätsel

Wie die Bundesregierung den nächsten Etat vorbereitet – und warum er sogar ohne neue Schulden auskommen kann.

Wie stellt man einen Bundeshaushalt für 2022 auf, wenn man nicht weiß, wie das Jahr 2021 verläuft – geschweige denn das Jahr darauf? Und auch nicht wissen kann, wer eigentlich in einem Jahr die Republik regiert? Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) steht gerade vor einer nicht ganz einfachen Aufgabe. 

Denn er ist ja nicht nur der Minister, der für diesen Etat verantwortlich ist und für seinen Vorschlag das Kabinett, also auch die Unions-Kollegen, hinter sich bringen muss. Scholz ist zugleich Kanzlerkandidat der SPD und will die nächste Regierung führen, die dann – das muss das Anliegen der Sozialdemokraten sein – etwas andere Akzente setzt als die aktuelle schwarz-rote Koalition.

Scholz hat einen Etat zu entwerfen, der sozusagen für zwei Regierungen passen muss – die jetzige und eine künftige unter seiner Führung. Ein haushaltspolitischer Zielkonflikt also?

Aber da ist er nicht allein. Auch die Unions-Seite in der Regierung denkt nach. Das hat gerade erst der Vorstoß von Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) zur Schuldenregel im Grundgesetz gezeigt. Braun wollte die Bremse nicht nur lockern, sondern sie in ein Pedal für moderates Gasgeben umwandeln. Da dürfte er nicht nur seine Chefin vorher gefragt haben. Aber die Unions-Fraktion hat vorerst den Spaß verdorben.

So geht es in der Koalition jetzt erst recht um die Frage, wie man den Etat 2022 denn nun aufstellt. Wie werden Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen? Mit deutlich mehr Schulden und einem weiteren Aussetzen der Schuldenregel wegen einer Notlage? Oder wieder nach den üblichen Regeln, wie vor der Pandemie?

Im März müssen Eckwerte stehen

Wie auch immer: Die Zeit drängt. Denn jedes Jahr im März muss das Finanzministerium die Eckwerte des Etats für das folgende Jahr vorlegen. Die Gespräche zwischen den Staatssekretären der Bundesministerien laufen. Zum Ritual gehört es, mehr zu verlangen, als dann erfüllt werden kann. Dem Vernehmen nach wird gerade sehr viel verlangt.

Das Geschäft eines Finanzministers ist es dann, im Verein mit der Regierungszentrale, dem Kanzleramt, bis zur Abstimmung der Eckwerte im Kabinett – aktuell ist dafür der 17. März ins Auge gefasst - einen ausgeglichenen Haushaltsplan vorzulegen. Im Frühsommer, Ende Juni oder Anfang Juli, folgt der Regierungsentwurf, also die Gesetzesvorlage, die dann in den Bundestag eingebracht wird. Der beschließt den Etat spätestens im Dezember.

Im Wahljahr ist es anders

In Wahljahren, wenn im Herbst ein neuer Bundestag bestimmt wird, ist es jedoch ein wenig anders. Dann endet die Wahlperiode mitten im Etatverfahren. Der Kabinettsentwurf ist in der Schublade, bis ein neuer Bundestag sich damit befasst. So gesehen sind die Eckwerte, die Scholz Mitte März vorlegen wird, nur der Beginn eines Verfahrens, dessen Ende irgendwann in den ersten Monaten 2022 liegt.

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Wie die wirtschaftliche und damit auch etatpolitische Situation dann sein wird, ist derzeit weit weniger klar als in normalen Zeiten. In der Regel ist nämlich die Planung zumindest der Einnahmen eine recht einfache Sache. Man hat die Daten der Steuerschätzungen, und wenn die Wirtschaft keine größeren Ein- oder Ausbrüche erlebt, ist im März und erst recht im Juli einigermaßen vorherzusagen, wohin die Reise im Jahr darauf geht.

Plan und Realität lagen 2020 auseinander

Aber im zweiten Corona-Jahr ist das nicht so. Schon das Vorjahr hat gezeigt, dass in einer unberechenbaren Krisensituation zwischen Haushaltsplan und Haushaltsabschluss kleine Welten liegen können. Wegen Steuerausfällen und Unternehmenshilfen war mittels zweier Nachtragsetats ein Gesamthaushalt von 508 Milliarden Euro aufgestellt worden.

Davon wurden 218 Milliarden über neue Kredite finanziert wurden, die dank der Notfallklausel und auch der konjunkturabhängigen Komponente der Schuldenbremse (sie zieht bei schlechter Wirtschaftslage) möglich waren. Am Ende lagen die Ausgaben bei 443 Milliarden Euro, an neuen Schulden mussten 130 Milliarden Euro aufgenommen werden.

Für 2021 hat die Regierung sich vom Bundestag Ausgaben in Höhe von 499 Milliarden Euro genehmigen lassen, davon sind 181 Milliarden kreditfinanziert – ebenfalls über die Kombination von Konjunktur- und Notfallklausel. Ob darin wieder ein großer Vorsichtspuffer steckt, ob man am Ende so gerade damit klarkommt, ob es doch noch eines Nachtragsetats bedarf – vorerst unklar.

Neue Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro?

Und wie es 2022 sein wird, steht erst recht in den Sternen. Aber Scholz muss nun einmal Eckwerte aufstellen, und diese müssen einen ausgeglichenen Etat darstellen. Kolportiert wird eine Summe von 60 Milliarden Euro an neuen Schulden, die der Finanzminister zu diesem Zweck vorsieht. Es können aber auch mehr sein.

In den vergangenen Tagen hat Scholz mehrfach auf die große Lücke verwiesen, die sich gemessen an der ursprünglichen Finanzplanung aus Vor-Corona-Zeiten auftut.

Die Steuerschätzungen mussten wegen des Wirtschaftseinbruchs drastisch nach unten korrigiert werden im vorigen Jahr, deutlich stärker als nach der Finanzkrise. Das bedeutet, dass der „Steuerpfad“ gegenüber den Schätzungen von Ende 2019 in den kommenden Jahren zwischen 32 Milliarden Euro (2022) und 26 Milliarden Euro (2024) niedriger liegen wird. Und es wird corona-bedingt mehr Ausgaben geben, 2022 geschätzt etwa 20 Milliarden Euro mehr als in den alten Plänen.

Griff in die Rücklage

Dazu kommt, dass die Koalition seit 2018 mehr an zukunftswirksamen Ausgaben beschlossen hat, als die Steuereinnahmen selbst nach dem alten Plan decken konnten. In die Finanzplanung musste daher die stufenweise Auflösung der in den Überschussjahren angelegten Rücklage eingestellt werden.

In der hat sich mittlerweile eine Summe von fast 50 Milliarden Euro angesammelt – in Form von Kreditermächtigungen, welche die Regierung jederzeit aktivieren kann und die nicht der Schuldenbremse unterliegen (denn tatsächlich wurde das Überschussgeld jedes Jahr für eine Schuldentilgung verwendet). In der alten Finanzplanung war vorgesehen, 2022 etwa 28 Milliarden Euro aus diesen Rücklagekrediten zu verwenden, 2023 dann etwa 13 Milliarden.

Andererseits aber heißt das, dass eigentlich genügend Geld vorhanden ist, um den Etat 2022 auch ohne Nutzung der Notlagenklausel der Schuldenbremse  zu finanzieren. Allein über die Generalklausel (der Bund darf immer neue Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen) und die Konjunkturkomponente der Schuldenregel wären nach bisherigem Stand neue Kredite in Höhe von fast 24 Milliarden Euro für 2022 möglich.

Haken und komplexe Regeln

Doch gibt es da einen Haken: Davon müssen nach den ziemlich komplexen Regeln der Schuldenbremse Abflüsse aus Sondervermögen des Bundes abgezogen werden.

Bisher geht das Finanzministerium offenbar davon aus, dass 2022 gut 13 Milliarden an solchen Abflüssen zusammenkommen – also beim Energie- und Klimafonds, den beiden kommunalen Investitionsprogrammen, dem Digitalpakt für Schulen und einigen anderen. So landet man bei der zulässigen konjunkturbedingten Neuverschuldung von gut zehn Milliarden Euro, die bisweilen genannt werden.

Allerdings hatten diese Sondervermögen bisher das Problem, dass das Geld nicht abfließt – oder jedenfalls in einem weitaus langsameren Tempo als gewünscht. Warum das nun plötzlich 2022 anders sein soll, ist die Frage.

Scholz und die Koalition insgesamt stecken hier in einer Zwickmühle: Würden sie weniger Abflüsse planen, könnten sie problemlos mehr neue Kredite aufnehmen. Dann aber müssten sie sozusagen amtlich zugeben, dass ihre Investitionsprogramme nicht laufen.

Erleichterung jetzt bedeutet späte Belastung

Aber selbst wenn man mit nur gut zehn Milliarden konjunkturbedingter Neuverschuldung kalkuliert – nimmt man das gesamte Volumen der Rücklage hinzu, wären die offenbar zur Etatdeckung nötigen 60 Milliarden Euro ohne Notlagenklausel zusammen. Das Problem wäre dann zwar der Etatausgleich in den Folgejahren nach 2022, denn dafür ist ja ein Teil der Überschussrücklage vorgesehen. Aber dabei geht es um weitaus geringere Summen.

Zudem könnte ein Ausgleich des Etats 2022 über die gesamte Rücklage auch mit Blick noch weiter in die Zukunft erwägenswert sein. Wenn die Koalition tatsächlich noch einmal stark auf neue Kredite zurückgriffe für 2022, müsste sie nämlich auch relativ hohe Tilgungspflichten mitbeschließen.

Denn nach den Regeln der Schuldenbremse muss jeder Schulden-Euro, der über die Notlagenklausel aufgenommen wird, tatsächlich auch irgendwann zurückgezahlt werden. Damit soll das Ausnutzen von Notlagen verhindert werden.

Es geht dabei nicht um „Peanuts“. Die jährliche Tilgungsrate der für 2021 geplanten Notlagen-Neuverschuldung läuft bisher auf zehn Milliarden Euro hinaus. Mit zusätzlichen neuen Krediten im Jahr 2022 würden es noch deutlich mehr. Aber die Tilgungspflicht setzt eben erst später ein – vorgesehen ist das Jahr 2026. Es trifft also erst die übernächste Regierung.

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