Tories wählen neuen Premier in Großbritannien: Zwei Frauen, zwei Wege aus der EU
Die britischen Konservativen bestimmen den neuen Regierungschef - es wird wohl ein Rennen zwischen der eher moderaten Theresa May und der Brexit-Hardlinerin Andrea Leadsom
Großbritannien könnte bald einen weiblichen Premier haben. Denn das Rennen in der konservativen Unterhausfraktion um die Nachfolge von Regierungschef David Cameron, das am Dienstag begann, sieht zwei Frauen als Favoriten: Innenministerin Theresa May und die Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom. Es ist die Auswahl zwischen einem eher weichen Austritt aus der EU mit der Option, im gemeinsamen Markt zu bleiben oder zumindest assoziiert zu sein (falls May gewinnt), und harten, schnellen Verhandlungen mit der Option, die wirtschaftlichen Verbindungen auf reine Handelsvereinbarungen zu reduzieren (wenn Leadsom siegt). Die Chancen der bis vor einigen Wochen eher unbekannten früheren Finanzmanagerin Leadsom sind stark gestiegen, seit der eigentliche Favorit Boris Johnson, der am vorigen Donnerstag einen Rückzieher gemacht hatte, sich hinter die 53-Jährige stellte. Sie sei auf Zack, habe Schwung und auch die nötige Erfahrung. Das war offenkundig eine Racheaktion Johnsons gegen den anderen aussichtsreichen Brexit-Radikalen im Rennen, den Justizminister Michael Gove. Der hatte bei der Ankündigung seiner Kandidatur am Donnerstag Johnson als den falschen Mann für das oberste Regierungsamt bezeichnet.
Bei der Basis Kopf an Kopf
Das Auswahlverfahren der Tories begann am Dienstag mit der ersten Wahlrunde in der Parlamentsfraktion. Diese bestimmt zwei Kandidaten aus den fünf Bewerbern, die sich in der Vorwoche gemeldet hatten. Über die zwei Favoriten der Fraktion stimmen dann die etwa 150000 Mitglieder der Konservativen Partei in einer Urwahl ab, deren Ergebnis Anfang September vorliegen soll. May bekam am Dienstag die Unterstützung von 168 der 330 Tory-Abgeordneten. An zweiter Stelle lag Leadsom mit 66 Stimmen. Gove belegte Platz drei mit 48 Unterstützern, eine enttäuschende Zahl für den ehrgeizigen Brexiter. Crabb bekam 34 Stimmen und erklärte seinen Verzicht auf eine weitere Wahlrunde. Fox lag mit 16 Stimmen auf dem letzten Platz und schied damit aus. Crabbs Anhänger dürften in der nächsten Runde am Donnerstag eher May unterstützen, die von Fox werden sich auf Leadsom und Gove verteilen. Leadsom hat sich vor dem Referendum eindeutig für den Austritt ausgesprochen, während May etwas lau für den Verbleib in der EU warb. Eine Online-Abstimmung des parteinahen Portals „Conservative Home“ ergab am Dienstag, dass May und Leadsom nahezu gleichauf liegen bei jeweils über 35 Prozent.
Für May spricht, dass sie deutlich mehr Erfahrung hat und, seit 2010 im Amt, als erfolgreiche Innenministerin gilt. Leadsom ist erst seit 2010 im Parlament und gehört nicht zur ersten Reihe. Dass sie noch vor drei Jahren gegen den Austritt auftrat und den Brexit damals als „Desaster“ für die britische Wirtschaft bezeichnet hat, dürfte die Parteibasis souverän übersehen. Mays Chancen dürften allenfalls dann klar besser sein, wenn die Fraktion sich mit einer deutlichen Mehrheit für sie ausspricht und die Mitglieder den offenen Konflikt mit ihren Abgeordneten scheuen. Doch sollte Leadsom neben den Stimmen der Johnson-Freunde schrittweise auch die der Anhänger von Fox und Gove einsammeln.
Die dritte Wahl
Bei den Konservativen drehte sich nach dem Referendum, das am 23. Juni eine knappe Mehrheit von 52 zu 48 Prozent für den Austritt ergab, das Personalkarussell immer schneller. Nach Camerons überraschend zügiger Rücktrittsankündigung galt Johnson als Favorit auf die Nachfolge, doch deutete er ebenso überraschend in einem Zeitungsartikel an, dass er sich auch nach einem Brexit vorstellen könnte, dass EU-Staatsangehörige auch weiter frei nach Großbritannien übersiedeln könnten. Das war den Brexit-Hardlinern zu viel; sie hatten die Volksbefragung zu einer Abstimmung über die Begrenzung der Einwanderung erweitert und damit die entscheidenden Stimmen in der Arbeiterschaft vor allem in Nordengland gewonnen. Gove trat daher aus dem Hintergrund nach vorn, was ihm den Vorwurf eintrug, er sei Johnsons Brutus. Obwohl seine Kandidatur zunächst als chancenreich galt, zeigte sich schon am Wochenende, dass sie in sich zusammenfallen könnte. Übrig blieb Leadsom, weil der alte Haudegen Fox mittlerweile zu wenig Anhang hat.
Drähte in die City
Die blonde Frau mit den guten Drähten in die Londoner City ist damit quasi die dritte Wahl unter den Brexit-Köpfen. Ihre Wendung von Remain zu Leave bezeichnet sie als eine „Reise“. Sie gehörte zu den Konservativen, die in Gesprächen in den EU-Staaten sondieren sollte, welche Zugeständnisse (oder auch Extrawürste) Großbritannien bekommen würde, damit Cameron das von ihm 2013 angekündigte Referendum siegreich bestehen würde. Wie man weiß, war das Entgegenkommen begrenzt, was im Brexit-Lager die Geschichte nährte, man sei besser dran, wenn man die Bindungen völlig kappt. Dass zu den Profiteuren einer Abnabelung von der EU (und damit auch Brüsseler Regulierungen) nicht zuletzt jener Teil der Vermögensberatungs- und Geldverwaltungsbranche in Großbritannien gehört, der sich Brüsseler Regulierungen, Kontrollen und Steuerplänen entziehen möchte, lässt Leadsoms Kandidatur durchaus konsequent erscheinen. Sie arbeitete einst für die Barclays-Bank, später für den Vermögensverwalter Invesco. Ihr Schwager Peter de Putron, ein Offshore-Banker in Guernsey, fiel vor zwei Jahren als Großspender für die Tories und euroskeptische Organisationen auf. Leadsom war damals Staatssekretärin im Finanzministerium - und zuständig für den Finanzdienstleistungssektor.