Jürgen Trittins Rolle bei den Grünen: Zurück in der ersten Reihe
Er war immer Provokateur und Pragmatiker. Nun ist er der Buhmann außer Dienst. Warum Jürgen Trittin bei den Grünen wieder wohlgelitten ist.
Natürlich haben sie versucht, ihm den Schwarzen Peter zuzuschieben, es bot sich ja geradezu an. Als FDP-Chef Christian Lindner am letzten Jamaika-Verhandlungstag in die Landesvertretung Baden-Württemberg kommt, trägt er die „Bild am Sonntag“ unter dem Arm. Jürgen Trittin hat dem Blatt ein Interview gegeben, über das Lindner sich schon am Morgen bei den Chefunterhändlern von CDU und CSU beschwert hat. Der Grüne hat darin geschildert, dass es die FDP sei, die der Union jede Bewegung im Flüchtlingsstreit schwer mache. In den Stunden darauf streuen FDP-Leute, man könne so nicht vertrauensvoll zusammenarbeiten. „Der schießt das ab“, heißt es.
Bis heute hält sich die Erzählung, an Jürgen Trittin seien nach der letzten Bundestagswahl die Sondierungsgespräche mit der Union gescheitert. Nun soll er wieder als Buhmann herhalten. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer setzt das Spiel fort. Drei Tage ist es her, seit die FDP die Gespräche platzen ließ. Auch mit der Begründung, dass es nicht genügend Vertrauen zwischen den Parteien gegeben habe. „Herr Trittin hat einen Riesenanteil daran, dass die Grünen nicht regieren“, stichelt des CSU-General.
Aber stimmt das überhaupt?
Ironie des Schicksals
Es ist unübersehbar, welchen Spaß Trittin hat, wieder mitzumischen. Nach der Wahl 2013 gaben viele Grüne ihm, dem damaligen Spitzenkandidaten, die Hauptschuld am schlechten Abschneiden seiner Partei. Trittin musste sich aus der ersten Reihe zurückziehen. Mit der Berufung ins Grünen-Sondierungsteam war der 63-Jährige wieder im Spiel.
Dass ausgerechnet er mit Union und FDP um Kompromisse ringen musste, mutet wie eine Ironie des Schicksals an. Schließlich hat der linke Flügelmann in den vergangenen Jahren für Rot-Rot-Grün gekämpft. Auf dem Parteitag am Samstag in Berlin wird der Grünen-Veteran seiner Partei nun erklären müssen, warum Jamaika sich gelohnt hätte. Und warum in der Flüchtlingspolitik auch Kompromisse vertretbar gewesen wären, die an die Schmerzgrenze gehen.
Am Wochenende vor dem großen Knall sitzt Trittin im ICE von Berlin nach Hannover, auf dem Weg zum Landesparteitag der Grünen in Niedersachsen. „Nicht wir wollen etwas, sondern Frau Merkel“, wird er dort später selbstbewusst an die Adresse der Kanzlerin rufen. Doch jetzt bestellt er im Speisewagen erst einmal einen Cappuccino. Genüsslich erzählt er Anekdoten aus den Verhandlungen vom Vorabend.
Im Interview, das er anschließend gibt, zieht er eine kritische Bilanz der Gespräche. Vom Zehn-Punkte-Programm seiner Partei sei noch kein einziger Punkt umgesetzt, sagt Trittin. „Für die Grünen steht es 0:10.“ Bewegt euch endlich, lautet seine Botschaft, sonst könnt ihr eine Koalition mit den Grünen vergessen.
In der langen Jamaika-Nacht twitterte er einen Song von Jimmy Cliff
Gezielte Provokationen, darin ist Trittin ein Meister. Hart verhandeln kann er. In den Sondierungsrunden brachte er seine Gegner damit manchmal auf die Palme. Wenn die sich stur zeigten, stellte auch er Vereinbarungen wieder infrage. Kühl rechnete er vor, dass im Bundestag kein Grüner im nächsten März die Hand heben werde, wenn es darum gehe, die Aussetzung des Familiennachzugs für bestimmte Flüchtlingsgruppen zu verlängern. In der Nacht, in der die Jamaika-Partner beschlossen, in die Verlängerung zu gehen, postete er auf Twitter einen Song von Jimmy Cliff: „The harder they come, the harder they fall“. Je härter sie sind, desto härter werden sie fallen.
Der Niedersachse stand in den letzten Wochen unter besonderer Beobachtung. Auch Grüne waren misstrauisch, ob er Jamaika torpedieren wolle. Trittin lädt zu solchen Spekulationen ja auch ein. Spricht man mit Parteikollegen über ihn, fällt der Begriff „Sphinx“, auch wegen seiner undurchdringlichen Miene.
Doch selbst diejenigen, die mit Trittin ansonsten über Kreuz liegen, stellten fest, dass er sich an Sprachregelungen hielt. Wenn er Kritik an Merkel, Lindner und Co übte, klang es oft eine Spur schärfer als bei anderen. Aus der Reihe getanzt ist er aber nicht. In Realo-Telefonkonferenzen betonten Spitzenleute, „der Jürgen“ sei dieses Mal wirklich an Bord. Auch Winfried Kretschmann, mit dem Trittin sich in den letzten Jahren eine Dauerfehde über den Kurs der Partei geliefert hat, nimmt ihn in Schutz. „Wie ich wollten alle 14 Sondierer meiner Partei, dass es klappt. Entsprechend haben wir verhandelt, auch Jürgen Trittin“, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident. Sogar FDP-Mann Wolfgang Kubicki lobte neulich in einer Talkshow: „Wenn man mit dem verhandelt und der sagt was zu, hält er sein Wort.“
Er war immer beides: Provokateur und Pragmatiker
Als Finanzverhandler räumte Trittin in der ersten Runde die Forderung nach einer Vermögensteuer ab, für die er auf dem Grünen-Parteitag vor zwei Jahren vehement gekämpft hat. Noch nicht einmal als Verhandlungsmasse wollte er sie behalten. Trittin war es auch, der das letzte Grünen-Paket schnürte, das in der Sondierung den Durchbruch bringen sollte. Es enthielt unter anderem das Angebot an die FDP, in den nächsten vier Jahren die meisten Steuerzahler vom Soli zu entlasten und diesen in der folgenden Wahlperiode komplett abzuschaffen.
Trittin war immer beides: Provokateur und Pragmatiker. Als er 2001 zu rot-grünen Regierungszeiten dem früheren CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer die Mentalität eines „Skinheads“ unterstellte, stand er kurz vor dem Rauswurf als Bundesumweltminister. Als solcher gelang dem Grünen aber auch etwas, was kaum einer für möglich gehalten hätte: den Atomausstieg mit den großen Energiekonzernen auszuhandeln.
Pathos ist dem Norddeutschen fremd
Jamaika hat er zwar nicht gewollt, aber er war bereit, diese Koalition zu schmieden. Trittin geht nüchtern an die Dinge heran. Die moralische Aufladung und das Pathos, mit dem sein früherer Kontrahent Joschka Fischer Politik machte und schwierige Entscheidungen wie den Kosovo-Krieg begründete, sind dem Norddeutschen fremd. Deshalb hielt er auch nichts davon, Jamaika zu einem Projekt zu überhöhen. Angesichts des Wahlergebnisses seien die Grünen in der Pflicht zu verhandeln, lautete seine Analyse. Nicht mehr und nicht weniger.
Hätte Trittin sich quergestellt, wäre Jamaika auch an den Grünen gescheitert. Zwar ist sein Einfluss im linken Flügel in den letzten Jahren geschwunden. Doch die Stimmung auf einem Parteitag anzuheizen, dazu wäre er immer noch in der Lage gewesen. Jetzt wird er sich am Wochenende als Teil eines Sondierungsteams feiern lassen, das in den letzten Wochen erstaunlich geschlossen agiert hat. Trittin war eine Zeit lang abgemeldet, nun ist er wieder da.