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Schwarz-Grün - eine Möglichkeit? Kanzlerin Angela Merkel mit den Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt.
© Odd Andersen/AFP

Minderheitsregierung: Wäre Schwarz-Grün eine Möglichkeit?

Ein Ausweg aus der Mehrheitsfindungskrise im Bundestag wäre eine Minderheitsregierung. Was spricht dafür? Was stünde ihr im Weg? Ein Pro & Contra.

Eine schwarz-grüne Minderheitsregierung hätte eine Chance und würde der Demokratie einen Dienst erweisen, meint Albert Funk:

Steht Deutschland vor der ersten Minderheitsregierung auf Bundesebene? Um das Problem zu umgehen, die Bürger zu Neuwahlen aufzurufen? Wenn es so käme, es wäre streng genommen keine Premiere. Denn schon 1972 hat die Koalition von SPD und FDP ohne Mehrheit eine ganze Weile regiert, weil ihr einige Abgeordnete abhanden gekommen waren. Immerhin etwa sieben Monate regierte das sozialliberale Bündnis, bevor es zur Neuwahl kam, die Willy Brandt als Kanzler per Vertrauensfrage erreichte.

Der halbe Präzedenzfall (die Minderheitssituation entstand nicht nach einer Wahl, sondern im Verlauf der Wahlperiode) zeigt freilich eines: Eine Minderheitsregierung ist eine vorübergehende Not- oder Übergangslösung, sie ist nicht der parlamentarisch-demokratische Normalfall und soll es auch nicht werden. Sie sollte daher ihr Verfallsdatum vor Augen haben und es dem Wähler auch nennen.

Im Bundestag gibt es derzeit drei regierungsunwillige oder regierungsunfähige Fraktionen: die Linken können mit niemandem und stecken in einer Krise, die AfD hat sich selbst das Etikett der Oppositionspartei angeklebt (schon weil mit ihr niemand sonst will) und die FDP hat gerade Koalitionsgespräche platzen lassen, weil sie ein unangenehmes Bauchgefühl hatte. Es bleiben die regierungswilligen und regierungsfähigen Fraktionen der CDU/CSU und der Grünen. Und die zwar grundsätzlich regierungswillige SPD, die aber nicht koalitionswillig ist („Groko ist abgewählt“). Und die derzeit wohl auch nicht koalitionsfähig ist, da sie nach der Abreibung vom September in einem programmatisch-personellen Umbruch steckt. Die SPD braucht eine Pause, das ist offenkundig.

Die SPD kann sich ohnehin nicht wegschleichen

Von daher spricht wenig gegen eine schwarz-grüne Minderheitsregierung, die von den Sozialdemokraten in einer zeitlich überschaubaren Phase gestützt wird. CDU, CSU und Grüne haben sich, wenn sie uns nicht angelogen haben, in den Sondierungen aufeinander zubewegt. Sie haben einen Weg gefunden, eine Regierung zu bilden.

Auf der Basis des bisherigen Sondierungsergebnisses müsste also eine Koalitionsbildung gelingen. Die Sozialdemokraten hätten dadurch einiges gewonnen, was die Unterstützung von Schwarz-Grün rechtfertigen würde. Sie wären aus der geschäftsführenden Regierung draußen, die sich möglicherweise noch Monate bis zu Neuwahlen durchschleppen müsste. Der unselige Druck, jetzt wieder in eine Koalition einzusteigen, wäre weg. Und sie könnten bis zu späteren Neuwahlen – im kommenden Herbst, auch Frühjahr 2019 ist als Ultimo für eine Minderheitsregierung denkbar – ihre Verhältnisse klären. Gleichzeitig ist die SPD aber wegen ihrer starken Position im Bundesrat gezwungen, jede Koalition im Bund irgendwie zu begleiten, will sie nicht als Blockiererin erscheinen.

Ganz davonschleichen geht also ohnehin nicht. Einen Teil der Sondierungsergebnisse dürften die Sozialdemokraten auch goutieren, eine Steuerreform zum Beispiel werden sie mittragen, wenn ihr eigenes Modell in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern eine Rolle spielt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat das ja schon angeboten für den Fall einer Jamaika-Koalition. Auch die FDP wird sich nicht ganz sperren können, wenn Schwarz-Grün etwa den „Soli“ abbaut oder bei der Digitalisierung die Modernisierung beginnt. Europa- und außenpolitisch gibt es zwischen diesen Parteien – den beiden regierenden und den unterstützenden – genügend Grundkonsens, um über einige Monate hinwegzukommen. Zudem: Schwarz-Grün regiert in zwei großen Länder, Baden-Württemberg und Hessen, seit Jahren recht effektiv. Weder aus Stuttgart noch aus Wiesbaden sind Chaos-Geschichten bekannt.

Selbst gesetzte Frist

Am Ende der selbst gesetzten Frist (der Haushaltsabschluss für 2019 etwa oder das Anschieben des Etats für 2020) können die beiden Regierungsparteien und die Wähler Bilanz ziehen. Hat Schwarz-Grün sich als Minderheitsregierung bewährt? Könnte man aus der Not eine Tugend machen und das Modell mit einer Mehrheit ausstatten? Oder ist die Sache nicht rund gelaufen? Dann können die Wähler für andere Mehrheiten sorgen, und Mehrheit ist dann wieder ein Begriff, der mehr Respekt genießt – auch bei derzeit noch Koalitionsunwilligen und Regierungsabstinenzlern. Schwarz-Grün als Minderheitskoalition hätte der Demokratie in jedem Fall gedient.

Den aktuellen Stand zur schwierigen Regierungsbildung können Sie hier im Newsblog nachlesen.

Eine Minderheitsregierung funktioniert nicht

Schwarz-Grün - eine Möglichkeit? Kanzlerin Angela Merkel mit den Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt.
Schwarz-Grün - eine Möglichkeit? Kanzlerin Angela Merkel mit den Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt.
© Odd Andersen/AFP

Robert Birnbaum hält dagegen: Die Vorstellung einer Minderheitsregierung ist bloß politische Romantik

In Zeiten der politischen Ratlosigkeit gedeiht in Deutschland die Romantik. Dann werden alte Märchenbücher vorgekramt und bei gedämpftem Kerzenschein nachgeblättert, ob sich nicht für die Fährnisse der Gegenwart eine Anleitung mit glücklichem Ende finden lässt. Science Fiction wird aber auch gern genommen. Was Wunder also, dass in diesen Tagen auf und ab im Land die Minderheitsregierung als Rettung ins Spiel kommt.

Der Grundgedanke wirkt ja auch bestechend: Eine Regierung sucht sich Mehrheiten fallweise zusammen oder versichert sich zumindest der Duldung durch feste Partner.

Den ersten, den Lotteriefall lassen wir gleich beiseite. Er mag seinen demokratietheoretischen Reiz haben. Aber in der Praxis dürfte eine permanente Partnersuche – und das auch noch ständig parallel mit unterschiedlichen Willigen für verschiedene Vorhaben – alle Beteiligten überfordern. Im Hochleistungsstaat Deutschland ist täglich viel mehr zu entscheiden als in den Denkmodellen von Politikseminaren. Am Ende steht nicht der offene Austausch von Argumenten über Parteigrenzen hinweg, sondern ein parlamentarischer Basar, in dem auch noch völlig verschwimmt, wen der Wähler hinterher für was zur Verantwortung ziehen kann.

Bleibt die Duldung, also eine Koalition mit Vereinbarung, aber ohne Koalitionszwang. Es hat das in Bundesländern vereinzelt gegeben, in Skandinavien ist es häufig. Doch Vergleiche zwischen Systemen sind schwierig. Landesregierungen etwa haben nur sehr begrenzte und oft ohnehin bloß pragmatisch vor Ort lösbare Dinge zu entscheiden. Es ist kein Zufall und liegt auch nicht nur an Verhandlungsstilen und Charakterfragen, dass Jamaika in Kiel funktioniert und in Bundes-Berlin nicht.

Grüne und FDP als fünfte Räder am Wagen

Praktisch sähe die Sache im Reichstag also so aus, dass Angela Merkel als Kanzlerin eines Kabinetts aus Unionsministern eine informelle große Koalition mit der SPD vereinbart. Denn Grüne oder gar FDP wären schlecht beraten, als fünftes Rad am Wagen mitzumachen. So nah sich die von Christian Lindner versetzten Schwarz- Grünen gerade fühlen mögen – schon Führungschaos und Landtagswahl bei der CSU lassen ein Bündnis nicht zu, das auf Vertrauen ohne jedes echte Druckmittel beruhen müsste. Was, wenn Cem Özdemirs neuer Duzfreund Horst nicht mehr CSU-Chef ist?

Dass die SPD einem schwarz- grünen Fast-Vertrag einfach beitritt, ist übrigens genau so wenig denkbar. Ohne telegene Ministerposten braucht es Inhaltspflöcke, um aufzufallen. Eine Minderheitsregierung Merkel wäre faktisch immer eine heimliche große Koalition. Nur eine ohne den ungemütlichen Zwang, irgend etwas Kontroverses anzugehen.

Klar könnte die, sogar fallweise Hand in Hand mit den Grünen, gemeinsame Positionen suchen, etwa zu den europapolitischen Initiativen Emmanuel Macrons. Nur verbietet es den Demokraten ja niemand, diese Gemeinsamkeit in jeder Konstellation zu demonstrieren. Wenn aber eine inoffizielle große Koalition möglich wäre – warum dann eine offizielle nicht? Weil sich die SPD gerade bloß zur Macht ohne Müssen fähig glaubt? „Und sie lebten glücklich miteinander bis an ihr seliges Ende“ – was für ein Märchen.

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