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Eine Krankenschwester versorgt eine Bewohnerin auf der Demenzstation des Pflegeheims "Haus Saalburg" in Frankfurt am Main. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Umbau der Pflegeversicherung beschlossen.
© epd

Pflegereform: Zum großen Wurf hat es wieder nicht gereicht

Immer wieder wurde von der Politik die ganz große Pflegereform angekündigt - doch gekommen ist sie auch diesmal nicht. Der Entwurf aus dem Hause Gröhe macht die Pflege nicht zukunftssicher. Ein Kommentar.

Man ist bescheiden geworden mit den Jahren. Und geduldig. Seit Norbert Blüm, der einstige Sozialminister, vor 20 Jahren die Pflegeversicherung, sein Lebenswerk, aus der Taufe hob, hat sich nicht mehr viel getan. Zwar versprach jede Bundesregierung, egal, welche Farbe sie trug, die große, die ganz, ganz große Pflegereform. Aber die Ergebnisse blieben immer klein, ganz, ganz klein. Dabei konnte man zusehen, wie der Politik das Problem über den Kopf wuchs. Die hocherfreuliche Tatsache, dass das Lebensalter der Menschen in den vergangenen Jahren massiv angestiegen ist, hat ja eine Schattenseite: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt ebenso massiv an. Heute sind es 2,63 Millionen, in 15 Jahren werden es 3,22 sein und im Jahr 2050 gar 4,23. Das sind gewaltige Zahlen, und sie werden noch gewaltiger, wenn man sich die Zahl jener vor Augen führt, die das Heer der zu Pflegenden versorgen soll. Etwa eine Million Personen sind heute in der Pflege beschäftigt, in Heimen oder in ambulanten Diensten. Weil die Zahl der Bedürftigen weiter ansteigen wird, steigt auch der Mangel an Fachkräften. 30 000 fehlen schon jetzt, bis 2030 werden es mehr als 300 000 sein.

Von Pflegenotstand zu sprechen, ist demnach nicht übertrieben. Die Politik ist also gefordert, jedes Jahr, das ohne einschneidende Reformen zu Ende geht, ist ein verlorenes Jahr. Man durfte deshalb gespannt sein auf den erneuten Reformversuch, der diesmal aus dem Hause Gröhe kam und am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet wurde.
Und da man eben bescheiden und geduldig geworden ist mit den Jahren, darf man ihn in einem Punkt ganz gewiss feiern: Endlich, endlich ist die Definition von Pflege auf neue Beine gestellt worden. Sie soll von nun an nicht nur Menschen mit körperlichen Gebrechen umfassen, sondern auch jene mit Demenzerkrankungen. Diese werden jetzt den an physischen Einschränkungen Leidenden gleichgestellt. Das war nötig, überfällig. Schon heute gibt es in Deutschland etwa 1,4 Millionen Demenzkranke, bis 2030 wird ein Anstieg auf 2,2 Millionen erwartet.
Hier Hilfe anzubieten – immerhin, das wäre geschafft. Und das ist keine geringe Leistung im von vielerlei Interessen überwucherten Pflegedschungel.
Leider geht Hermann Gröhes Gesetzentwurf aber nicht darüber hinaus. Zum großen Wurf hat es abermals nicht gereicht. Zwar wird es einiges an Entlastungen für pflegende Angehörige geben, in zwei Dritteln aller Fälle sind es ja Familienmitglieder, die solche Aufgaben übernehmen. Wer etwa aus dem Beruf aussteigt, um das tun zu können, bekommt in Zukunft von den Pflegekassen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, und das nicht wie bisher auf sechs Monate begrenzt, sondern dauerhaft. Pflegezeiten werden außerdem bei der Berechnung der Renten berücksichtigt. Zudem gibt es Unterstützung, wenn Pflegende krank werden oder in Urlaub gehen.
Das ist hilfreich, aber bei der Herkulesarbeit, die Pflege nun einmal darstellt, dennoch viel zu wenig. Die Entlastungen für die Angehörigen sind jedenfalls entschieden zu gering ausgefallen. Und eine Aufstockung des Personals für die stationäre oder ambulante Pflege ist ganz und gar nicht in Sicht. Sie ist auch mit dieser Reform nicht zukunftssicher gemacht worden.
Auch das unsinnige, weil irreführende Bewertungssystem von Pflegeheimen ist nicht abgeschafft worden, genauso wenig wie das nicht gerade humane System der Pflege im Minutentakt. Ebenso wenig hat sich das Gesundheitsministerium an die Aufwertung des Berufs der Altenpfleger herangetraut. Aufwertung hieße auch bessere Bezahlung. Der physische und psychische Einsatz von Pflegern und deren beschämende Entlohnung stehen noch immer in einem krassen Missverhältnis zueinander.
Obwohl manches besser wurde, ist im Grunde vieles beim Alten geblieben. Die nächste Pflegereform wird kommen. Weil sie kommen muss.

Wolfgang Prosinger

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