Bessere Leistungen im Alter: Bundeskabinett beschließt grundlegende Pflegereform
Das Bundeskabinett hat die zweite Stufe der Pflegereform beschlossen. Sie sieht bedeutsame Verbesserungen vor, vor allem für Demenzkranke. Gesundheitsminister Hermann Gröhe verteidigte die Erhöhung der Pflegebeiträge zum 1. Januar 2017.
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung beschlossen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) erklärte, der „Kraftakt“ einer besseren Pflegesituation für Betroffene, Angehörige und Pflegende werde mit dieser Reform weiter fortgesetzt.
20 Jahre nach der Einführung der Versicherung sollen insbesondere Menschen mit Demenz und psychischen Störungen eine bessere Pflege erhalten. Sie haben künftig Anspruch auf die gleichen Leistungen wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Die bislang drei Pflegestufen werden durch fünf Pflegegrade ersetzt. Bis zu 500.000 Menschen können nach Angaben des Ministers mittelfristig durch die Reform zusätzliche Unterstützung erhalten, zudem greife die Hilfe früher, sagte Gröhe.
Verbesserungen soll es auch für Angehörige geben. Wer für die Pflege aus dem Beruf aussteigt, erhält künftig von den Pflegekassen dauerhaft Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Bislang werden Beiträge nur während der maximal sechsmonatigen gesetzlichen Pflegezeit übernommen. Auch werden betreuenden Angehörigen in Zukunft höhere Ansprüche an die gesetzliche Rentenkasse gutgeschrieben.
Gröhe bekräftigte, dass kein bisheriger Bezieher von Leistungen befürchten müsse, durch die Umstellung schlechter gestellt zu werden. Für die rund 2,7 Millionen Menschen, die bereits Pflegeleistungen erhalten, soll es Bestandsschutz geben. Wissenschaftler hatten allerdings im Vorfeld darauf hingewiesen, dass es bei neuen Pflegefällen durchaus Verlierer geben könnte, weil Leistungen im Vergleich zu heute geringer sein könnten.
Etwas höhere Beitragssätze
Zur Finanzierung der Reform wird der Beitragssatz 2017 erneut erhöht: nach 0,3 Prozentpunkten in diesem Jahr um weitere 0,2 Punkte auf 2,55 Prozent. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2016 in Kraft treten. Die Umstellung wird aber noch etliche Zeit in Anspruch nehmen, so dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das Begutachtungsverfahren tatsächlich erst zwölf Monate später wirksam werden.
Der Gesetzentwurf traf auf viel Zustimmung. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis, erklärte, die Reform schaffe mehr Lebensqualität für Pflegebedürftige und Angehörige. Die Grünen erklärten, die Verbesserungen seien längst überfällig. Die zuständige Sprecherin Elisabeth Scharfenberg sagte, die vorgesehenen Ansätze zur Bekämpfung des Personalmangels seien nicht überzeugend.
Gröhe sagte dazu, die Personalbemessung müsse weiter überprüft werden. Zugleich zeigte er sich optimistisch, dass die Zahl der Pflegenden steige. „Noch nie haben so viele Menschen in der Altenpflege eine Ausbildung begonnen wie im letzten Jahr“.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft begrüßt diese Pflegereform als wichtigen Schritt zu größerer Gerechtigkeit für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Die Arbeiterwohlfahrt erklärte, die Politik schlage „den richtigen Weg ein, doch einige Punkte bleiben unausgereift“. Vorstandsmitglied Brigitte Döcker begrüßte die Verbesserungen für Demenzkranke. Sie forderte zugleich einen dauerhaften Mechanismus, um die Leistungen der Versicherung an Inflation und Lohnentwicklung anzupassen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte eine jährliche Anpassung aller Pflegeleistungen und schnelle Verbesserungen bei der Personalausstattung.
Auch der Deutsche Pflegerat und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) begrüßten die Reform, verwiesen aber darauf, dass keine Antwort auf den Fachkräftemangel in der Pflege gegeben werde.
Kritik von Patientenschützern
Die Pflegereform von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) greift nach Einschätzung der Deutschen Stiftung Patientenschutz zu kurz. „Es fehlt ein Konzept, das die Pflege zukunftssicher und generationengerecht macht“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. „Schon in sieben Jahren geht das Geld aus. Dann drohen den Beitragszahlern von heute Leistungskürzungen im Alter.“
.Zugleich bemängelte Brysch, dass Heimbewohner medizinische Behandlungspflege wie Medikamentengabe oder Verbandswechsel durch examinierte Pflegekräfte weiter selbst zahlen müssten. Bei Pflegebedürftigen daheim komme die gesetzliche Krankenversicherung dafür auf. Das koste die Heimbewohner im Schnitt 190 Euro im Monat. Viele rutschen deshalb in die Sozialhilfe ab, was wiederum Auswirkungen auf die klammen Kommunen habe. „Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich bedenklich“, sagte Brysch. Die Stiftung prüfe hier eine Verfassungsklage.
Vor der Beratung der Pflegereform im Bundeskabinett hatte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) weitere Zusatzkosten mittelfristig ausgeschlossen. Durch die "moderate Beitragserhöhung" sei die Finanzierung der Reform bis 2022 sichergestellt, sagte Gröhe am Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin". Davor würden die Pflegebeiträge nicht noch einmal erhöht. Weiter sagte Gröhe, aufgrund der Reform habe die Pflegeversicherung erstmalig auch "Präventionsaufgaben". Dadurch könne Pflegebedürftigkeit verhindert oder verzögert und Selbständigkeit im Alter erhöht werden.
Dem Fernsehsender n-tv sagte der Gesundheitsminister ebenfalls am Mittwochmorgen, mit der Reform gehe es darum, "besser zu erfassen, wo ein Pflegebedürftiger wirklich Unterstützung braucht". Nicht nur körperliche Beeinträchtigungen sollten berücksichtigt werden, sondern auch die "seelischen, die geistigen Einschränkungen".
Zudem griffen erste Leistungen künftig bereits zu Beginn der Pflegebedürftigkeit, so Gröhe gegenüber dem Sender ntv. Anfangs würden viele Dinge zu Hause geleistet, etwa der Umbau der eigenen Wohnung und die Beratung von Angehörigen. Auch die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sollten attraktiver werden.
"Angehörigen die Sorge nehmen"
Höhere finanzielle Belastungen für Pflegebedürftige und ihre Familien schloss Gröhe unterdessen aus. Der pflegebedingte Eigenanteil in einem Pflegeheim werde mit zunehmendem Hilfsbedarf künftig nicht mehr steigen. „Das wird viele entlasten“, sagte er den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“.
Zurzeit steigt der Eigenanteil, den Pflegebedürftige im Pflegeheim bezahlen müssen, noch mit ihrer Pflegestufe. „Das hat dazu geführt, dass viele Pflegebedürftige eine höhere Pflegestufe vermeiden wollten - aus Angst, mehr bezahlen zu müssen. Diese Sorge wollen wir ihnen nehmen“, so der Minister weiter.
Gröhe verteidigte die zur Finanzierung der Reform geplante Beitragssatzerhöhung um 0,2 Prozentpunkte. „Gute Pflege gibt es nicht zum Nulltarif. Diese Reform ist notwendig und sinnvoll“, sagte er. „Denn eine gute Pflege ist auch Ausdruck der Menschlichkeit unserer Gesellschaft.“ Zudem sei die Reform durch die Beitragserhöhung bis 2022 ausfinanziert.
Der CDU-Politiker sagte weiter, bei der Systemstellung zu Jahresbeginn 2017 müssten die Pflegebedürftigen selbst zunächst gar nichts tun, denn die Überleitung in das neue System erfolge automatisch. „Dabei stellen wir sicher, dass alle Pflegebedürftigen weiterhin mindestens die gleichen Leistungen erhalten wie bisher, die allermeisten erhalten sogar deutlich mehr“, so Gröhe. „Niemand muss also befürchten, durch die Umstellung schlechter gestellt zu werden. Dieser Vertrauensschutz ist mir sehr wichtig.“ Eine Neubegutachtung werde immer dann Sinn machen, wenn sich der Zustand dauerhaft verschlechtert habe.
Demenzkranke werden einbezogen
Der zweite Teil der Reform sieht vor, ab 2017 die drei bisherigen Pflegestufen durch fünf Pflegegrade zu ersetzen. Ziel ist es, Demenzkranke besser in die Leistungen der Pflegeversicherung einzubeziehen. Im bisherigen System fallen sie oft durchs Raster und erhalten keine Leistungen. Finanziert wird die Reform durch eine erneute Anhebung des Beitragssatzes um 0,2 Beitragssatzpunkte zum 1. Januar 2017. Bereits zu Beginn dieses Jahres war der Beitragssatz um 0,3 Punkte gestiegen. (AFP/KNA)
Eine umfangreiche Darstellung der Reformpläne lesen Sie hier.