zum Hauptinhalt
Tritt an diesem Montag zurück: Mike Mohring, CDU-Partei- und Fraktionschef in Thüringen.
© Martin Schutt/dpa-Zentralbild

Vier Stimmen für Ramelow: Zerreißt der Spagat die CDU in Thüringen?

An diesem Montag legt Landeschef Mike Mohring seine Ämter nieder. Wie sich die CDU in Thüringen jetzt neu sortiert, ist aber noch offen. Eine Analyse.

Von der Thüringer CDU-Fraktion wird schier Unmögliches erwartet. Sie soll dem vormaligen Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und seiner rot-rot-grünen Koalition zurück zur Macht verhelfen. Am Mittwoch steht die Ministerpräsidenten-Wahl im Erfurter Landtag an.

Rot-Rot-Grün stellt 42 der 90 Parlamentarier. Daher müssen mindestens vier Abgeordnete der CDU-Fraktion für Ramelow stimmen - jedenfalls in den ersten beiden Wahlgängen, in denen die absolute Mehrheit Pflicht ist. Anderenfalls will Rot-Rot-Grün Neuwahlen beantragen.

Was von den CDU-Parlamentariern verlangt wird, ist auch eine Art Tabubruch. Denn nach wie vor gilt der Beschluss der Bundes-CDU, wonach es keine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD geben darf. Die „Mauermörderpartei“, wie der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann die Linke nannte. Generalsekretär Paul Ziemiak warnte: Wer von der CDU Ramelow wähle, verstoße gegen die Beschlüsse der Partei.

Trotzdem gibt sich Rot-Rot-Grün zuversichtlich. Ramelow führte nach eigenen Angaben viele persönliche Gespräche mit Abgeordneten von CDU und FDP. Der CDU-Abgeordnete Volker Emde sagt freimütig: „Wir stellen das Wahlergebnis sicher.“ Auch der scheidende Fraktions- und Parteichef Mike Mohring hält es für „gut möglich“, dass Ramelow im ersten Wahlgang gewählt wird.

Hingegen beschloss die CDU-Fraktion offiziell, dass sie Ramelow „nicht aktiv mitwählt“. Das gilt auch für die FDP. AfD-Fraktionschef Björn Höcke antwortet auf die Frage, ob seine Fraktion Ramelow wählen werde: „Nein, mit Sicherheit nicht.“

Zwischen Baum und Borke

Falls Ramelow keine Mehrheit bekommen sollte, geht das politische Chaos in Thüringen weiter, das mit der Landtagswahl im Oktober begann. Da verlor Rot-Rot-Grün die Mehrheit. Auch die von 33 auf 22 Prozent gestürzte CDU konnte keine Regierung bilden.

Am 5. Februar stellte sich Ramelow als Ministerpräsident einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung zur Wiederwahl. Er unterlag überraschend gegen den FDP-Politiker Thomas Kemmerich, der mit Stimmen von CDU und AfD gewählt wurde. Nach Protesten und Gegenwind aus der Bundespolitik trat er binnen weniger Tage zurück. Er ist geschäftsführend im Amt, Minister gibt es nicht, die bisherigen rot-rot-grünen Staatssekretäre leiten die Ministerien - ein untragbarer Zustand etwa wegen der möglicherweise beginnenden Corona-Epidemie.

Soll am Mittwoch von der CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen mitgewählt werden: Bodo Ramelow (Linke).
Soll am Mittwoch von der CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen mitgewählt werden: Bodo Ramelow (Linke).
© AFP

Die sich als staatstragend verstehende CDU, die von 1990 bis 2014 die Thüringer Ministerpräsidenten stellte, fühlt sich deshalb wie zwischen Baum und Borke. Einerseits ist der Graben zur Linken tief. Andererseits sieht sie sich in der Verantwortung, die Regierungskrise im 2,1-Millionen-Einwohner-Freistaat zu beenden.

Deshalb handelten vier CDU-Abgeordnete mit Rot-Rot-Grün eine begrenzte Zusammenarbeit aus, damit das Land bis zu vorgezogenen Neuwahlen im April 2021 regierbar bleibt. Schmerzfrei ist das nicht. „Die gelten in den eigenen Farben zum Teil als Abtrünnige“, sagt SPD-Fraktionschef Matthias Hey.

Begrenzte Zusammenarbeit

Vielleicht ist es ja Verschleierung, wenn die CDU-Fraktion offiziell beteuert, Ramelow nicht zum Ministerpräsidenten zu wählen. Auch die Linke hält den Ball jetzt flach. Nach der Kemmerich-Wahl hatte sie die Proteste gegen CDU und FDP mit Nazi-Vergleichen angeheizt.

Nun verlangt sie keine „Garantie“ mehr, keine „Dokumentation“ des Wahlverhaltens, wie es Linken-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow gewollt hatte. Ramelow hat offenkundig verstanden, dass die am Boden liegende CDU gesichtswahrend aus der Sache herauskommen muss. In den Umfragen ist sie auf bis zu 12 Prozent gefallen. Neuwahlen wollte sie deshalb so lange wie möglich hinauszögern, am liebsten verhindern.

Ein hochrangiger CDU-Mann sagt, dass es „keinen Plan“ gebe, wie Ramelow mit Hilfe von CDU-Abgeordneten wieder Ministerpräsident wird. Womöglich ist es wirklich dem Linken-Politiker überlassen, seine Wähler in den Reihen der CDU zu rekrutieren.

Schon bei der Wahl am 5. Februar bekam er 44 Stimmen, zwei mehr als Rot-Rot-Grün hat. Zudem gab es eine Enthaltung. Allerdings waren sich damals auch schon einige bei Rot-Rot-Grün sehr sicher, dass der bei den Thüringern beliebte Ramelow die erforderlichen vier Stimmen aus der Opposition erhält.

Hat die Kränkung verstanden: Annegret Kramp-Karrenbauer, scheidende CDU Bundesvorsitzende und Verteidigungsministerin.
Hat die Kränkung verstanden: Annegret Kramp-Karrenbauer, scheidende CDU Bundesvorsitzende und Verteidigungsministerin.
© Michael Kappeler/dpa

Für die große Mehrheit der CDU-Fraktion lautete hingegen die Devise am 5. Februar: Ramelow und Rot-Rot-Grün müssen weg. Abgeordnete sagen, sie hätten es in ihren Wahlkreisen nicht erklären können, wenn sie Kemmerich als bürgerliche Alternative nicht gewählt hätten.

Weniger Ramelow, wohl aber die Linkspartei ist für viele in der CDU ein rotes Tuch. Nicht nur wegen deren SED-Vergangenheit, sondern auch wegen der als einseitig empfundenen Ausrichtung gegen Rechts, wegen vermeintlicher Gleichmacherei an den Schulen oder Enteignungsphantasien á la Berlin. Selbst der als moderat geltende Parteivize Mario Voigt, der neuer Fraktionschef werden könnte, betont seinen familiären Hintergrund mit Zwangsausgesiedelten aus dem DDR-Grenzgebiet.

Der Graben zur AfD dürfte bei etlichen Abgeordneten und Wählern der CDU weniger tief sein. In Thüringen wie in ganz Ostdeutschland sind die Vorbehalte gegen Zuwanderung stärker als im Westen - ein Erbe der eingemauerten DDR. Insofern tickt Ostdeutschland eher wie die früheren Ostblock-Staaten Polen oder Ungarn, wo national-konservative Parteien das Sagen haben.

Maaßen und Sarrazin füllen Säle

Nach der Flüchtlingskrise 2015 ist der Osten gewissermaßen von seiner Landsfrau Angela Merkel abgefallen. Hans-Georg Maaßen und Thilo Sarrazin füllen hier Säle. Wen die Thüringer CDU liebt, zeigte sie jetzt beim Politischen Aschermittwoch: Da jubelten 1.500 Mitglieder Friedrich Merz zu, etwa als der über Zuwanderer sagte: „Sie müssen sich an die Regeln halten, die in diesem Lande gelten.“

So etwas zieht bei den Leuten, in deren kollektiver DNA, wenn man so will, die mehr als sechs Jahrzehnte Diktaturerfahrung von 1933 bis 1989 stecken. Wegen ihrer DDR-Erfahrung waren aber auch viele Thüringer CDU-Mitglieder empört, als Kanzlerin Merkel erklärte, die Kemmerich-Wahl müsse „rückgängig“ gemacht werden.

Die scheidende CDU-Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat das verstanden. Diese Forderung habe „ganz andere Assoziationen ausgelöst“ als in einem westlichen Bundesland, sagte sie in der ZDF-Sendung Lanz. „Na so was hatten wir doch schon mal. Eine Ansage aus der Parteizentrale: Ergebnis passt nicht, muss korrigiert werden.“ Das habe „viele der Verantwortlichen, der Mitglieder vor Ort sichtlich gekränkt“.

Vor Ort: Dort liegt auch der Prüfstein für den Unvereinbarkeits-Beschluss der Bundes-CDU. In Thüringen haben - bundesweit einmalig - Linke und AfD zusammen die Mehrheit im Parlament. Mohring sagte beim Politischen Aschermittwoch, keine Zusammenarbeit mit Linke und AfD sei richtig. „Aber was, wenn das auf eine Lebenswirklichkeit trifft, wo das nicht mehr umzusetzen ist?“

Nebulöse Mehrheitsverhältnisse

Landkreis-Präsidentin Martina Schweinsburg sagte dem MDR, die Thüringer CDU könne sich durch theoretischen Beschlüsse nicht in den Abgrund manövrieren lassen. Mit Blick auf Ziemiak fügte sie hinzu: „Ich halte es für wenig hilfreich, wenn ein 40-jähriger Generalsekretär, der zur Wendezeit zehn Jahre alt war, schulmeisterlich vom Podium herab verkündet, was gestandene CDU-Leute zu tun oder zu unterlassen haben.“

Wie sich die Thüringer CDU jetzt personell neu sortiert, ist noch offen. Partei- und Fraktionschef Mohring war wegen der Wahlniederlage, aber erst recht wegen seines anschließenden „Schlingerkurses“, so die parteiinterne Kritik, zum Rückzug gezwungen worden. An diesem Montag legt er beide Ämter nieder.

Voigt ist wohl bereit, neuer Fraktionschef zu werden. Aber die Mehrheitsverhältnisse in der CDU-Fraktion sind so nebulös wie deren Abstimmungsverhalten bei der Ramelow-Wahl. So wählte sie vor einigen Wochen Fraktionsvize Michael Heym, der zuvor ausdrücklich für eine Öffnung auch in Richtung AfD warb, knapp wieder. Das illustriert, wie die Stimmung in Richtung AfD sein dürfte. Bloß zugeben wird das kaum jemand aus Sorge vor öffentlicher Ächtung.

Für die Spitze der Landespartei hat sich der bisherige Vize Christian Hirte ins Gespräch gebracht. Er war von Merkel als Ostbeauftragter entlassen worden, weil er Kemmerich freudig zur Wahl als Ministerpräsident gratuliert hat. Das belegt noch einmal, dass es für viele CDUler der größere Wert war, den Linken Ramelow zu verhindern. Dass die AfD - wohl ohne Absprache - Kemmerich mitwählte, wurde in diesen Kreisen nicht als Problem gesehen. Schließlich sollte es darüber hinaus keine Zusammenarbeit geben.

Zur Startseite