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Alle in Deckung. Kongress-Mitarbeiter suchen Schutz vor militanten Trump-Unterstützern.
© Andrew Harnik/AP/dpa

Nach dem Sturm aufs US-Kapitol: Zerfällt jetzt die Republikanische Partei?

Donald Trump könnte der Totengräber der "Grand Old Party" sein. Zwischen Moderaten, Radikalen und Opportunisten tobt der Machtkampf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das war groß und couragiert. Nur wenige Stunden, nachdem rechtsmilitante Trump-Anhänger das Kapitol gestürmt hatten, als noch der Geruch von Tränengas in der Luft lag und Abgeordnete sich erst langsam aus ihren Büros wagten, kamen beide Häuser des amerikanischen Kongresses wieder zusammen.

Am frühen Donnerstagmorgen bestätigten Vizepräsident Mike Pence sowie die Abgeordneten und Senatoren den Wahlsieg des Demokraten Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Was an sich reine Formsache ist, wurde zu einem Behauptungsakt gegenüber den Feinden der Demokratie.

Wer allerdings geglaubt hatte, der parlamentarische Arm des gewalttätigen Mobs würde – gewissermaßen geläutert durch dessen Skrupellosigkeit – zumindest in dieser einen Sitzung Ruhe geben und die Manöver zur Delegitimierung des Wahlergebnisses beenden, wurde rasch eines Besseren belehrt.

Eine Gruppe um die republikanischen Senatoren Ted Cruz, Texas, und Josh Hawley, Missouri, blieb bei ihren Obstruktionsversuchen. Schriftlich legten sie Widerspruch ein gegen die Zertifizierung der Wahlergebnisse in den Bundesstaaten Arizona, Georgia und Pennsylvania. Daraufhin musste die Sitzung jeweils für zwei Stunden unterbrochen werden, gefolgt von einer Abstimmung.

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Mit überwältigender Mehrheit wurden im Senat dann alle Einsprüche abgeschmettert. Ex-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney wandte sich in seiner Rede direkt an Hawley. Wer weiterhin gegen die Ergebnisse einer legitimen, demokratischen Wahl angehe, „wird für immer als Komplize angesehen in einem beispiellosen Angriff auf unsere Demokratie“.

Im Repräsentantenhaus setzte sich der Abgeordnete Chip Roy, ebenfalls ein Republikaner, von der Linie seines Senators Cruz ab und stimmte gegen dessen Widerspruch. „Das mag mein politisches Todesurteil sein“, sagte Roy, „aber dann soll es eben so sein.“

Das Rebellentum hat seinen Reiz verloren

Nein, erledigt sind die Trumpisten noch nicht. Aber die Bilder des militanten Mobs wirken wie eine drastische Mahnung vor den Folgen eines real existierenden, sich ungebremst ausweitenden Trumpismus.

Mindestens vier republikanische Senatoren wechselten nach der Kapitol-Erstürmung die Seiten – raus aus dem Lager der Trumpisten, rein ins Lager der traditionellen Republikanischen Partei um den ehemaligen Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell.

Einer wie Hawley, der selbst Präsident werden will, wird jetzt nicht nur laut von Demokraten des Verrats bezichtigt, sondern auch von Republikanern. Das Rebellentum gegen das Partei-„Establishment“ hat den Reiz des Aufmüpfigen und Frischen verloren. Die Nähe zu Donald Trump, die Hawley einst ins Amt gehievt hatte, ist kontaminiert. Kumpanei ist umgeschlagen in Komplizenschaft.

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Die „Grand Old Party“ ist dreigeteilt. Da sind, erstens, die moderaten Konservativen. Sie plädieren für Ordnung, Stabilität und Rechtsstaatlichkeit, schätzen Anstand, Charakter und christliche Werte, achten auf Haushaltsdisziplin und ziehen das Bewährte dem Risiko vor.

Zu ihnen gehören neben Mitt Romney, Utah, auch der ehemalige Präsident George W. Bush, der ehemalige Außenminister Colin Powell, die „Never-Trump-Republicans“, die Aktivisten vom „Lincoln Project“ sowie der Ex-Chefredakteur des „Weekly Standard“, Bill Kristol.

Zu zahm, zu brav, zu etabliert

Trump hat die traditionellen Republikaner stets verachtet. Zu zahm, zu brav, zu etabliert. Über die „Never-Trump-Republicans“ twitterte er, sie seien „menschlicher Abschaum“ und „schlimmer und gefährlicher für unser Land als die Do-Nothing-Democrats“. Trump selbst ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil eines moderaten Konservativen. Eher revolutionär als evolutionär, er verachtet die bürgerliche Ordnung, seine Religiosität gipfelt im trotzigen Vorzeigen einer Bibel.

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In der ihm eigenen demagogischen Mischung aus Dreistigkeit, Manipulation und Drohung hat er nach und nach die zweite Gruppe – die der Trumpisten – geformt. Hawley ist einer ihrer prominentesten Vertreter: reaktionär im kulturellen Bereich (Abtreibung, Homosexualität, Waffenbesitz, Todesstrafe, Migration), antikapitalistisch und stets auf Seiten von Joe Sixpack im wirtschaftlich-sozialen Bereich.

In den Verhandlungen über ein Corona-Hilfspaket schloss sich Hawley der Initiative der New Yorker Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, Senator Bernie Sanders aus Vermont und des „Congressional Progressive Caucus“ an, um direkte Zahlungen in Höhe von 2000 Dollar an alle US-Bürger durchzusetzen.

Zur dritten Gruppe gehören die eher unideologischen Opportunisten. Sie folgen einem wie Trump nur so lange, wie er Erfolg hat. Nach der verlorenen Präsidentschaftswahl, den verlorenen Senatswahlen in Georgia und den jüngsten Bildern vom Sturm aufs Kapitol orientieren sich deren Mitglieder gerade neu.

Allerdings fehlt den moderaten Konservativen bislang eine überzeugende personelle Führung, die in der Lage wäre, die Opportunisten an sich zu binden. Eine inhaltliche Erneuerung der Republikanischen Partei ist notwendig. Ohne Macht- und Grabenkämpfe wird es sie nicht geben.

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