Grünes Regierungsprogramm: Zehn Punkte für mehr Erkennbarkeit
Die Grünen-Spitzenkandidaten haben einen Zehn-Punkte-Plan für Koalitionsverhandlungen vorgelegt. Die Parteiprominenz stellt sich demonstrativ hinter das Duo.
Cem Ödzemir wirkt fast ein bisschen erleichtert: „Hier wird deutlich gemacht, dass die Partei sich hinter ihren Spitzenkandidaten versammelt“, sagt der Grünen-Chef. Gerade hat er mit seiner Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt einen Zehn-Punkte-Plan vorgestellt, in dem die Grünen Bedingungen für eine Koalition formulieren. Unterzeichnet ist das Papier nicht nur vom grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, sondern auch von seinem ewigen Kontrahenten Jürgen Trittin. Vier Monate vor der Bundestagswahl stellen die beiden sich damit demonstrativ an die Seite des Spitzenduos.
Grüne suchen flügelübergreifend den Schulterschluss
Auch andere Grünen-Promis suchen flügelübergreifend den Schulterschluss: der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck ebenso wie Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir oder die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Unterschrieben haben auch die Ex-Fraktions- und Parteichefs Renate Künast, Fritz Kuhn, Claudia Roth und Reinhard Bütikofer. „Man kann ohne Übertreibung sagen: So viel Einigkeit war nie“, sagt Özdemir.
Der „Plan für grünes Regieren“ soll in zwei Wochen auf dem Parteitag beschlossen werden – als Teil des grünen Wahlprogramms. Er soll auch dazu dienen, im Wahlkampf das grüne Profil wieder zu schärfen. Zuletzt war die Parteispitze alarmiert durch Umfragen, in denen die Mehrheit der Bürger angab, nicht mehr zu wissen, wofür die Grünen außer dem Umweltschutz noch stünden.
"Klare Ansage, wohin die Reise gehen soll"
In zehn Punkten konkretisieren die Grünen nun, was sie in einer Regierung umsetzen wollen. „Wer mit uns koalieren will, der muss bereit sein, bei diesen Vorhaben entschieden mit voranzugehen“, heißt es in dem Papier. Es handele sich aber nicht um „rote Linien“, sagte Göring-Eckardt. Die Grünen seien bereit, mit allen Parteien – ausgenommen der AfD – darüber zu reden. Die letzten Landtagswahlen hätten gezeigt, dass „komplizierte Mehrheiten“ inzwischen an der Tagesordnung seien. Umso mehr gebe es deshalb den Wunsch nach „klaren Ansagen, wohin die Reise gehen soll“.
Die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sollen sofort vom Netz
In der Klimapolitik fordern die Grünen unter anderem, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abzuschalten, damit Deutschland sein Klimaschutzziel 2020 erreichen könne. In der Landwirtschaft wollen sie innerhalb der nächsten 20 Jahren aus der industriellen Massentierhaltung aussteigen. „Wir wollen gutes Essen ohne Gift und Gentechnik und ohne Tierquälerei“, sagt Bundestagsfraktionschefin Göring-Eckardt. Um der Elektro-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen, wollen die Grünen für Neuwagen ein Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer einführen. So soll der Anreiz für Käufer und Hersteller entstehen, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids zu reduzieren. Mittelfristig fordern die Grünen außerdem den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor.
Offenbar mit Rücksicht auf den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann verzichteten die Spitzenkandidaten allerdings in ihrem Antrag darauf, ein konkretes Ausstiegsdatum zu nennen. Auf dem letzten Parteitag hatten die Grünen beschlossen, dass ab 2030 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr vom Band rollen sollen. Grundsätzlich unterstützt Kretschmann diese Strategie zwar, tut sich aber als Regierungschef eines Autolandes schwer damit, ein festes Datum vorzugeben. Im Entwurf für das Wahlprogramm stehe das Jahr 2030 nach wie vor drin, betonte Özdemir. Der Zehn-Punkte-Plan sei lediglich „eine Verdichtung“.
Keine Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete
Dafür war Kretschmann offenbar an anderer Stelle bereit, klare Formulierungen zu akzeptieren. „Mit uns gibt es keine Grundgesetzänderung für eine Obergrenze beim Asylrecht. Weitere Asylrechtsverschärfungen und Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete lehnen wir ab“, heißt es in dem Papier. Kretschmann hatte sich zwar auch kritisch über die vom Bund organisierten Sammelabschiebungen nach Afghanistan geäußert und vom Außenminister eine Neubewertung der Lage in dem Land gefordert. Zuletzt hatte er seine Parteikollegen aber davor gewarnt, dieses Thema ins Zentrum zu stellen, weil die Regierungen in den Bundesländern hier faktisch keinen Einfluss hätten.
Ökothemen nehmen viel Platz ein
Die Ökothemen nehmen in dem Zehn-Punkte-Plan mit dem Klimaschutz, der Agrar- und der Verkehrswende viel Platz ein. Aber die Grünen wollen sich nicht allein auf diese Frage reduzieren lassen. So versprechen sie außerdem mehr Investitionen in Schulen und in eine bessere Kita-Qualität. Für die Entlastung von Familien wollen sie zwölf Milliarden Euro ausgeben, vor allem Geringverdiener und Alleinerziehende sollen von dem neuen „Familienbudget“ profitieren.
In der Sozialpolitik machen sie sich für eine Bürgerversicherung in der Gesundheit und eine Stabilisierung des Rentenniveaus stark, in der Gesellschaftspolitik treten sie für die Ehe für alle ein. Unter dem Stichwort „Integration“ fordern die Grünen außerdem eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: Wer in Deutschland geboren werde, solle auch deutscher Staatsbürger werden. In der deutschen Europapolitik verlangen sie eine Abkehr von einer „einseitigen Sparpolitik“ und in der Außenpolitik ein „verbindliches Rüstungsexportgesetz“.
Göring-Eckardt und Özdemir greifen aber auch ein Thema auf, bei dem die Grünen Anfang des Jahres in die Defensive geraten waren: die innere Sicherheit. So findet sich in dem Papier die Forderung nach einer „effektiven Sicherheitspolitik“. Diese müsse Bedrohungen ernst nehmen, aber mit Augenmaß und unter Wahrung der Bürgerrechte reagieren, heißt es dort weiter.
Grüne wollen nach der Wahl drittstärkste Kraft werden
Bei der Vorstellung des Regierungsprogramms gab Göring-Eckardt für die Grünen das Ziel vor, als drittstärkste Kraft in den nächsten Bundestag einzuziehen. Das Rennen sei noch völlig offen, sagte sie. „Auf Platz drei entscheidet sich die Richtung der Politik. Unsere Richtung ist weltoffen, gerecht, modern und vor allem ökologisch.“