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Ein Polizeiwagen steht vor dem Polizeipräsidium Frankfurt.
© Boris Roessler/dpa

Nazi-Chats und rassistische Hetze: Zahl rechtsextremer Verdachtsfälle bei der Polizei höher als gedacht

Wie umgehen mit rechtsradikalen Polizisten? Neue Zahlen entfachen den Streit darüber aufs Neue. Die politischen Lager werden sich nicht einig.

Nazipropaganda, Mordfantasien, rassistische Hetze – immer wieder machen Meldungen über rechtsextreme Vorfälle in deutschen Polizeibehörden die Runde. Beamtinnen und Beamte, die sich in Chat-Gruppen geschmacklose Fotos schicken, mit verbalen Entgleisungen auffallen oder sogar vom gewaltsamen Ende der Demokratie träumen.

Wie hoch der Anteil ist an solch hochproblematischen Einstellungen bei den rund 330.000 Polizistinnen und Polizisten, ist unklar. Die Zahl der Verdachtsfälle zumindest ist höher als gedacht: Zwischen 236 und 447 straf- sowie disziplinarrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Rechtsextremismus gibt es in den Polizeibehörden der Länder. Hinzukommen 36 Verfahren bei Bundespolizei und Bundeskriminalamt. Das berichtete die „Welt am Sonntag“.

Der Verfassungsschutz hatte im Herbst noch deutlich weniger Fälle genannt: 377 zwischen Januar 2017 und März 2020.

[Kommentar zum Thema: Wer über Rechtsextremismus spricht, darf über Rassismus nicht schweigen]

Mit den neuen Zahlen ist der politische Streit um den Umgang mit Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden neu entbrannt. Einig sind sich zwar alle, dass NS-Verherrlichung oder Volksverhetzung im Staatsdienst nicht zu dulden sind. „Rechtsextremismus hat gerade in der Polizei nichts zu suchen“, sagt Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Auch Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, sieht das so. „Jeder Fall von Extremismus ist einer zu viel.“ Doch welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, da gehen die Meinungen zwischen den politischen Lagern auseinander.

Mihalic: Großes Dunkelfeld

Um „die Verbreitung der Einstellungen, ihre Ursachen und ihre Auswirkungen zu erforschen“, fordert die GrünenInnenpolitikerin und ausgebildete Polizeibeamtin Irene Mihalic eine „umfassende Studie“ zum Thema. „Die bisher bekannten Zahlen bilden nur das Hellfeld ab“, sagt sie. Diese Forderung unterstützen auch die Linken.

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Eine solche Studie sei in Arbeit, betont man in der großen Koalition. Im Dezember hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine systematische Erforschung des polizeilichen Alltags in Auftrag gegeben. Die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster soll drei Jahre lang untersuchen, mit welchen Motiven sich Menschen bei der Polizei bewerben und was für Belastungen später ihren Dienstalltag prägen. Es war ein Kompromiss zwischen Union und SPD.

Vor allem die Sozialdemokraten hatten sich eine Studie über den „latenten Rassismus“ bei der Polizei gewünscht, wie es SPD-Chefin Saskia Esken einmal formulierte. Doch davon wollte Seehofer nichts wissen, weshalb er – zum Ärger vieler SPD-Leute – nur den Alltag der Polizei untersuchen lässt. „Desolat“, nennt Grünen-Frau Mihalic diesen Kompromiss.

Irene Mihalic ist ausgebildete Polizistin und innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.
Irene Mihalic ist ausgebildete Polizistin und innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.
© picture alliance / Bernd von Jutrczenka

Dirk Wiese, Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, verteidigt die Groko-Linie. „Die angelaufene Studie wird wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Folgen für die Polizeiausbildung und die Belastungssituationen im Alltag bringen“, sagt er. Die aktuellen Fälle zeigten, „dass auch in den eigenen Reihen vermehrt hingeschaut wird und richtigerweise Null Toleranz im Umgang mit Extremismus das Ziel sein muss“.

Middelberg: Kein Generalverdacht gegen die Polizei

Auch der CDU-Politiker Middelberg setzt viel Hoffnung auf die Untersuchung der Polizeihochschule. Außerdem habe das Innenministerium eine Studie zum Rassismus in der gesamten Gesellschaft angestoßen. Die könne helfen, problematische Einstellungen in der Polizei zu bekämpfen. SPD, Linken und Grünen wirft der der CDU-Politiker vor, die Polizei unter „Generalverdacht“ zu stellen.

Mathias Middelberg ist außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Mathias Middelberg ist außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
© imago images/Future Image

Mihalic kann das nicht nachvollziehen. „Diese Studien können helfen, das Vertrauen in die Polizei auszubauen“, sagt sie. Den regeltreuen Beamtinnen und Beamten würde das den Rücken stärken. Um insgesamt etwas gegen rechte Umtriebe bei der Polizei zu tun, brauche es „unabhängige Ansprechstellen“. Psychologische Betreuung sei wichtig, um der Radikalisierung Einzelner vorzubeugen. „Bei politischer Bildung und Fortbildungen ist auch noch Luft nach oben.“

Für ein besseres Angebot an Fortbildungen spricht sich auch der Polizei-Gewerkschafter Radek aus – als langfristiges Instrument. In der aktuellen Debatte um die rechtsextremen Verdachtsfälle, sagt er: „Es gilt, wie immer im Rechtsstaat, auch in diesen Fällen die Unschuldsvermutung.“

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