Wegen Kirchensteuer: Zahl der Austritte aus der Kirche ist auf Rekordniveau
Immer mehr Menschen verlassen die Kirche. Offenbar reagieren viele empfindlich auf den Umgang der Kirchen mit Geld - und auf ein neues Verfahren zum Einzug der Kirchensteuer auf Kapitalerträge.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind den Kirchen die Mitglieder in großen Scharen davongelaufen. Landeskirchen und Bistümer melden, dass die Austrittszahlen in den ersten sechs Monaten im Vergleich zu 2013 um 50 Prozent und mehr gestiegen sind. Anlass ist für viele offenbar ein neues Verfahren zum Einzug der Kirchensteuer auf Kapitalerträge.
In Bayern haben von Januar bis Juni 14.800 Protestanten ihre Kirche verlassen. Im ganzen vergangenen Jahr waren es 9800. In der evangelischen Landeskirche in Baden-Württemberg gab es von Januar bis März 5500 Austritte – 2000 mehr als in den Vergleichsmonaten 2013. In Berlin kehrten von Januar bis Juni über 10.000 Protestanten der Kirchen den Rücken, so viele wie 2011 oder 2012 im ganzen Jahr nicht. Ähnliches beobachten die katholischen Bistümer.
Für viele Bürger sind „Geld“ und „Kirche“ besonders provozierende Stichworte, wie sich 2013 in der Debatte um die Transparenz der Kirchenfinanzen gezeigt hat. Es ist allerdings nicht neu, dass Kirchenmitglieder auch auf ihre Kapitalerträge Kirchensteuer entrichten müssen. Bislang blieb es aber jedem Kirchenmitglied überlassen, die Bank zu informieren, damit sie die Steuer abführt, oder in der Steuererklärung in der Anlage „Kap“ einen Hinweis auf die Kirchenmitgliedschaft zu geben.
Es geht um "Steuergerechtigkeit"
Ab Januar 2015 ziehen die Banken die Steuer automatisch ein, wenn der Bankkunde keinen Sperrvermerk beantragt. Etlichen Kirchenmitgliedern ist durch die Information der Banken überhaupt erst aufgefallen, dass auch auf ihre Kapitalerträge Kirchensteuer anfällt. Oft treten jüngere Menschen aus der Kirche aus, weil ihnen acht oder neun Prozent Kirchensteuer zu viel sind, die von ihrer Lohnsteuer abgezogen werden. Diesmal sind auffällig viele über 65-Jährige unter denen, die sich von der Kirche verabschieden. Ihnen ist das Ersparte offenbar wichtiger als die kirchliche Beerdigung. Das ist ein neues Phänomen.
Die Kirchen werfen den Banken vor, mit ihren Briefen mehr Verwirrung gestiftet, als aufgeklärt zu haben. „Die Qualität der Hinweise der Banken war sehr unterschiedlich – bis dahin, dass Menschen dahingehend von ihrer Bank beraten wurden, dass sie der ,neuen’ Steuer am besten durch Austritt aus der Kirche begegnen können“, sagt Oberkirchenrat Bernd Baucks, der Finanzchef der rheinischen Landeskirche. Die Banken wehren sich gegen die Vorwürfe: Man setze lediglich um, was gesetzlich beschlossen worden sei .Auf das neue Einzugsverfahren haben sich die Kirchen mit dem Bundesfinanzministerium verständigt. Die Initiative ging von den Kirchen aus, um größere „Steuergerechtigkeit“ herzustellen. „Wir können nicht Steuer auf die Lohnsteuer erheben und die Reichen mit ihren Kapitalerträgen schonen“, heißt es in der Bischofskonferenz. Dass sich das „negativ auswirken“ könne, habe man den Kirchen gesagt, heißt es dazu aus dem Finanzministerium.
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