Satire in der Talkshow-Republik: Yanis Varoufakis und Jan Böhmermann: Genarrte überall
Die Medienposse um Yanis Varoufakis' Stinkefinger und Jan Böhmermanns Reaktion darauf sind ein Lehrstück über Eitelkeit und Verblendung. Und darüber, wie entlarvend eine Satire wirken kann. Ein Kommentar.
Im globalen Medienzirkus sind die griechischen Krawallpolitiker und allen voran der Finanzminister Yanis Varoufakis ein Geschenk des Himmels. Im Vergleich zu Primärüberschüssen, Staatsanleihen und ähnlich Aufregendem aus der faden Ökonomenwelt macht eine knackige Homestory aus der Athener Luxuswohnung des hellenischen Glatzkopfs ja auch deutlich mehr her.
Varoufakis ist ein echter Popstar, der die Medien benutzt, vor allem aber die ihn. 5,2 Millionen Zuschauer sahen, wie er in Günther Jauchs Talkshow „den Deutschen“ den Stinkefinger zeigte – tolle Quote, super Empörung, alle Zeitungen voll, alle Vorurteile bestätigt, BILD dir deine Meinung: Der Grieche kassiert uns ab und zeigt zum Dank den Stinkefinger.
Die Reflexe des Publikums und die Strategie von Medienleuten
Das sind die Reflexe des Publikums in der Talkshow-Republik Deutschland. Und es ist die Strategie von Medienleuten, die Politik abseits von Volksbelustigung für unzumutbar halten und deshalb billigend in Kauf nehmen, dass Klischees bedient werden und alles Komplizierte ausgeblendet wird.
Der Hype um den Stinkefinger lässt das aufgeregte Publikum sogar ein YouTube-Video des Satirikers Jan Böhmermann eine halbe Million Mal anklicken, in dem dieser behauptet, er selbst habe die Varoufakis-Geste gefaked, also hineinmontiert. Dass dieses Bekenntnis wiederum Fake war, also der Fake des Fakes – darauf kam so schnell niemand. Warum auch, läuft doch alles so schön. Noch ’ne Schlagzeile, noch ein witziger Fernsehbeitrag! Der listige Böhmermann treibt den Medien-Wahnsinn um Varoufakis mit seiner brillanten, professionell gemachten Satire auf die Spitze – und entlarvt ihn damit als eine Art Seifenoper, die mit Politik so viel zu tun hat wie Souflaki mit Nouvelle Cuisine.
Das Amüsante und gleichzeitig Tragische (also dem Konzept des antiken griechischen Theaters folgend) daran ist, wie die Mechanismen der Politik-Perzeption im 21. Jahrhundert offenliegen. Jeder schlachtet den Fall für sich aus, um sich umgehend zu blamieren: Zeitungen und Magazine, die gerade noch Varoufakis verdammten, tröten nun heraus, dass der Mann wohl einer Fälschung unterlegen sei – ohne zu merken, dass sie selbst genarrt wurden. Ist ja auch keine Zeit, um zu recherchieren.
Der Minister hat zweimal gelogen
Notorischen Schlaubergern der Medienbranche wie Stefan Niggemeier geht es nicht anders. Er twittert – nachdem er Böhmermanns Video betrachtet hat – umgehend, dass er „jetzt gerne die roten Flecken in den Gesichtern“ beim NDR und in anderen Redaktionen sehen würde. Kein Wunder, dass er falsch liegt: Beim Gebrauch des Superschnell-Mediums Twitter verbietet sich vorheriges Nachdenken weitgehend. Man hätte sonst angesichts der Tatsache, dass es sich bei Böhmermann um einen Satiriker handelt, möglicherweise darauf kommen können, dass sein Video nicht so ganz ernst gemeint war. Als Krönung schließlich bedankt sich Varoufakis selbst bei Böhmermann für die angebliche Wahrheit – obwohl er doch weiß, dass sein Stinkefinger nicht gefaked, sondern echt ist. Der Minister hat damit nun nicht nur einmal, sondern gleich zweimal gelogen.
Die Medienposse um Yanis Varoufakis und Jan Böhmermanns Satire sind ein Lehrstück über Eitelkeit und Verblendung – wie im Theater der alten Griechen. Nur, leider, vermutlich ohne Katharsis. Die Show wird weitergehen.