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Yanis Varoufakis bei Pulse of Europe am Gendarmenmarkt in Berlin.
© Kai-Uwe Heinrich
Update

„Pulse of Europe“ in Berlin: Yanis Varoufakis findet den Klimastreik gut

Der frühere griechische Finanzminister ist jetzt Berliner und kandidiert bei der EU-Wahl. Am Sonntag sprach er auf dem Gendarmenmarkt – und traf Nicola Beer.

Die populistische Bedrohung wirkt. Sie vereint Kontrahenten verschiedenster politischer Couleurs – zumindest bei den Kundgebungen von „Pulse of Europe“. „Entscheiden Sie sich für eine Partei, die ganz klar für Europa ist“, ruft die bundesweite Spitzenkandidatin der FDP, Nicola Beer, am Sonntag auf dem Gendarmenmarkt zum Abschluss ihrer kurzen Rede ins Mikro. Es folgt ein Folksong, dann mobilisiert der nächste Kandidat einer anderen Partei zur Europawahl am 26. Mai.

Es ist Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, Spitzenbewerber in Deutschland der von ihm mitgegründeten Partei „Demokratie in Europa“. Er spricht englisch zu den etwa 500 trotz des lausigen Wetters versammelten Europa-Fans. Seine eindringlichen Worte werden übersetzt. „Geht unbedingt wählen“, sagt er. „Unterstützt Kandidaten, die ein soziales, progressives Europa wollen.“ Direkt wirbt keiner der Redner für sich.

Das wäre auch nicht im Sinne der 2016 gegründeten überparteilichen Bewegung „Pulse of Europe“, deren Anhänger seither in Berlin und vielen anderen deutschen Städten regelmäßig für den europäischen Gedanken werben. Sechs Wochen vor der Europawahl hat das Berliner Pulse-of-Europe-Komitee am Sonntag erneut zur Kundgebung aufgerufen und diesmal „die Liberale Nicola Beer und den Linken Yanis Varoufakis“ zu Statements eingeladen. Bewerber anderer Parteien sollen „zum Kennenlernen“ demnächst folgen – unter zwei Bedingungen: Sie müssen proeuropäisch sein und sie dürfen keine Wahlkampfreden halten.

Die FDP-Politikerin trotzt dem kühlen April im kanariengelben Mantel, der im hiesigen Europawahlkampf irgendwie exotisch wirkende Grieche vergräbt die Hände tief in seiner Parkajacke.

Yanis Varoufakis galt ja bisher nicht gerade als Deutschlandfreund. Im Finanzministerium in Athen beschimpfte er 2015 im Gefolge der Bankenkrise seinen Berliner Kollegen Wolfgang Schäuble (CDU) als „Zuchtmeister“, doch nun avanciert der 58-jährige Ökonomieprofessor auf den Wahllisten, auf denen die Deutschen am 26. Mai ihre Kreuzchen machen können, zum Überraschungskandidaten: Er will sich für die Vereinigung „Demokratie in Europa“, dem deutschen Ableger seiner paneuropäischen Bewegung „Democracy in Europe Movement 2025“ (DiEM 25), von deutschen Bürgern ins Brüsseler Parlament wählen lassen.

Für Varoufakis ist es ein Heimspiel

Außer in der Bundesrepublik bewirbt sich seine Bewegung in sechs weiteren europäischen Ländern. Dies ermöglicht das Europawahlrecht, vorausgesetzt, der jeweilige Spitzenkandidat ist EU-Bürger und hat seinen Lebensmittelpunkt im Land, in dem er antritt. Deshalb ist Varoufakis jetzt ein Berliner, er wohnt seit einiger Zeit offiziell in der Stadt.

Schon 2016 warnte er in der Volksbühne in Mitte anlässlich der Gründung seiner Partei vor „den europafeindlichen Monstern von rechts“ und forderte ein milliardenschweres Investitionsprogramm für grüne Technologien. Das wiederholt er nun und lobt die Schülerbewegung „Fridays for Future“. „Toll, dass sie sich gegen das Klima-Desaster stemmen.“ Großer Applaus, es ist ein Heimspiel für Varoufakis. Doch kaum weniger Beifall erhält auch die Liberale Beer für ihr Bekenntnis: „Unser Europa des Friedens und der Freiheit ist es wert, dafür zu kämpfen.“

Mit Schwung dabei. Die Berliner Initiative "Omas gegen Rechts". Ihre rund vierzig Mitglieder unterstützen die Bewegung Pulse of Europe.
Mit Schwung dabei. Die Berliner Initiative "Omas gegen Rechts". Ihre rund vierzig Mitglieder unterstützen die Bewegung Pulse of Europe.
© Christoph Stollowsky

Auf der Treppe zum Konzerthaus hat „Pulse of Europe“ ein Transparent ausgebreitet. „Noch 41 Tage bis zur Wahl“ steht darauf. Die Gruppe „Omas gegen Rechts“ versammelt sich gleich neben Friedrich Schillers Statue, Kinder schwenken blaue, sternchengeschmückten Fähnchen, eine Mutter erklärt, sie wolle ihren Töchtern die EU-weite Freizügigkeit bewahren. Ein 52-jähriger Sozialkundelehrer sagt: „Europa muss ein Hort der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bleiben.“

Im Jahr 2018 nahm die Zahl der „Pulse of Europe“-Demonstranten zwar merklich ab, doch nun werde die Bewegung wieder „in die Vollen gehen“, kündigt ihr Sprecher Alexander Knigge an. Nach der Osterpause wollen sie sich bis zur Europawahl an jedem Sonntag, 14 Uhr, auf dem Gendarmenmarkt treffen.

Ein ehemaliger griechischer Finanzminister in Lichterfelde-Ost

Blick zurück auf Yanis Varoufakis. Der begnügt sich offenbar nicht mit anfeuernden Reden, er kümmert sich im Rahmen seiner Kandidatur inzwischen auch um Berliner Alltagsprobleme - beispielsweise im Zusammenhang mit der Wohnungsnot. So spazierte er am vergangenen Samstag mit überwiegend älteren Menschen durch den Steglitzer Ortsteil Lichterfelde-Ost.

Hochhäuser prägen hier das eher triste Bild kurz vor der Brandenburger Landesgrenze. Rund zwei Dutzend Leute, Mitglieder eines örtlichen Aktionsbündnisses und teils Anhänger seiner Ideen, zeigten ihm das Viertel. Es sah an diesem grauen Tag nicht nach der großen politischen Bühne aus für den ehemaligen griechischen Finanzminister.

Mehrere ältere Menschen wollten ein Foto mit Varoufakis machen. Er gab sich locker und schien diese Momente der Aufmerksamkeit zu genießen. Am Vormittag hatte er bereits an einer Konferenz mit Politikern und Künstlern in Berlin teilgenommen - nur wenige hundert Meter vom Bundestag entfernt.

Immerhin war der umtriebige Politiker mal eine große Nummer. Als Finanzminister brachte er seine europäischen Partner auf dem Höhepunkt der griechischen Schuldenkrise mit seinen linken Theorien oft zur Weißglut. Immer wieder geriet der Ökonomieprofessor mit seinen EU-Kollegen aneinander - auch und vor allem mit dem deutschen Ressortchef Wolfgang Schäuble.

Doch seit seinem Rücktritt im Sommer 2015 spielt „der Mann mit dem großen Ego“, wie ihn viele griechische Medien nennen, kaum noch eine Rolle in der Politik seines Heimatlandes.

Varoufakis will ein „Gefühl für die Probleme der Menschen“ haben

Sein Selbstbewusstsein hat der 58-Jährige dennoch nicht verloren. „Wir sind die erste seriöse, transnationale, progressive Bewegung“, sagt Varoufakis. Er glaubt, ein Gefühl für die Probleme der Menschen in Deutschland zu haben, „so wie es auch viele meiner deutschen Kollegen mit den Problemen in Griechenland haben, ohne in Griechenland zu leben“. Eines der Probleme sei die Wohnungsnot in Großstädten.

Varoufakis wird im April 2015 vor dem griechischen Finanzministerium von Reportern belagert.
Varoufakis wird im April 2015 vor dem griechischen Finanzministerium von Reportern belagert.
© EPA/YANNIS KOLESIDIS

Doch was treibt ihn an - und wie stehen seine Chancen? Nach eigenen Worten will Varoufakis mit seiner Kandidatur in Deutschland unter anderem deutlich machen, dass es keinen Konflikt zwischen Deutschland und Griechenland gibt. Hauptgrund für seine Kandidatur sei aber, „dass Europa zu zerfallen droht“.

Welches Wahlergebnis seine Bewegung in Deutschland bekommt? Ob es für einige der insgesamt 96 deutschen Sitze im EU-Parlament recht? Darüber will Varoufakis nicht spekulieren. (mit dpa)

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