Europäische Union: Warum Links- und Rechtspopulisten Aufwind haben
Die Europäische Union steckt in einem Trilemma, sagt Harvard-Professor Dani Rodrik. Nationalstaatliche Souveränität, Demokratie und freier Handel sind unvereinbar.
Der Mensch will aufbrechen und ankommen, frei sein und geborgen. Er sucht das Abenteuer in der Ferne und den Schutz der Familie. Manchmal geht das eine zu Lasten des anderen, dann gibt es ein Dilemma. Manchmal ist die Sache aber noch komplizierter, bei einem Trilemma zu Beispiel. Einer der ersten, der ein solches Trilemma formulierte, war der griechische Philosoph Epikur. Frage: Kann Gott sowohl gut als auch allmächtig sein? Epikur untersuchte das. 1. Falls Gott willens, aber nicht fähig ist, Böses zu verhindern, ist er nicht allmächtig. 2. Falls Gott fähig, aber nicht willens ist, Böses zu verhindern, ist er nicht gut. 3. Falls Gott willens und fähig ist, Böses zu verhindern, warum gibt es dann das Böse?
Dani Rodrik, 61 Jahre, stammt aus der Türkei, hat Ökonomie an der Princeton und Columbia University studiert und ist seit 22 Jahren Professor in Harvard. Außerdem unterrichtet er als Gastprofessor an der London School of Economics. Globalisierung und Freihandel lehnt Rodrik nicht prinzipiell ab, vertritt aber seit fast zwanzig Jahren die These von einem „Globalisierungs-Paradox“: Nationalstaat, Demokratie und grenzenloser Handel seien unvereinbar. Rodriks These ist aktueller denn je.
„Wir können nicht gleichzeitig Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung betreiben“, schreibt er. „Wenn wir die Globalisierung weiterführen wollen, müssen wir entweder den Nationalstaat oder demokratische Politik aufgeben. Wenn wir die Demokratie behalten und vertiefen wollen, müssen wir zwischen dem Nationalstaat und internationaler wirtschaftlicher Integration wählen. Und wenn wir den Nationalstaat und die Selbstbestimmung bewahren wollen, müssen wir zwischen einer Vertiefung der Demokratie und einer Vertiefung der Globalisierung wählen.“
Die neuen Gegner sind die „globalists“
Vor diesem Trilemma stehen auch die Mitglieder der Europäischen Union. Je mehr Kompetenzen sie zum Wohle des freien Handels an Brüssel abgeben, desto weniger werden die Möglichkeiten ihrer nationalen Selbstbestimmung. Die Kritik an grenzüberschreitendem Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital ist von links wie von rechts zu hören. Während die Linke die Entsicherung von Arbeitsplätzen moniert, das Auseinanderdriften der Einkommen, steigenden Konkurrenzdruck und das Aufweichen sozialer und ökologischer Standards, klagt die Rechte die Wiedererlangung nationaler Souveränität ein.
Im globalen Maßstab sind die neuen Gegner die „globalists“, auf europäischer Ebene sind es die „Brüsseler Bürokraten“. Der Brexit und die Wahl Donald Trumps sind Symptome desselben Unbehagens. „Take back control“, fordern die Brexiteers. „Brüssel ist für mich ein Alptraum“, sagte der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. Ähnlich klingen Vertreter der neuen linksrechtspopulistischen Regierung in Italien. Und dass nicht nur beim Geld, sondern auch beim Asyl die europäische Solidarität endet, zeigen Ungarn, Polen und Tschechien. Dani Rodrik hat berechnet, dass in Ländern, in denen Populisten zur Wahl standen, diese in den späten neunziger Jahren weniger als zehn Prozent der Stimmen erhielten, heute sind es 25 Prozent.
Was ist Ihre Heimat - „Europa“?
Menschen sind lokal gebunden, denken in regionalen Dimensionen und entwickeln eine nationalstaatliche Identität. Viele wollen sich als Europäer fühlen, weil sie die europäischen Freiheiten genießen und verteidigen. Aber hat schon je einer auf die Frage nach seiner Heimat spontan „Europa“ geantwortet? Das dürfte selten sein.
Ein Trilemma ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht auflösen lässt. Allerdings können Prioritäten gesetzt werden. Erst kommt der Nationalstaat, dann die grenzenlose Wirtschaft, schreibt Rodrik, erst die Demokratie, dann die Globalisierung. Ohne ein globales staatliches Regelwerk können globale Märkte nicht ordentlich funktionieren. Und ohne eine Vertiefung der politischen Integration in der EU verursacht die wirtschaftliche Integration immer größere Akzeptanzprobleme. „Behält man das Ungleichgewicht bei, höhlt man die Demokratie aus“, sagt Rodrik.
Vernetzung und Globalisierung verheißen mehr Wohlstand. Geschieht das weitgehend regellos, wird das Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt, die Demokratie nimmt Schaden. Kann die EU grenzenlos und können ihre Mitgliedsländer gleichzeitig souverän und demokratisch sein? Damit zurück zu Epikur.