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Arbeiter in Warnwesten bereiten vor dem Hintergrund eines großen Porträts des chinesischen Führers Mao Zedong am Tian’anmen-Tor eine Sitztribüne vor. Der Tian’anmen-Platz (Platz des Himmlischen Friedens) wird für die Öffentlichkeit gesperrt, um eine Veranstaltung zum bevorstehenden 100. Jahrestag der Gründung der regierenden Kommunistischen Partei Chinas am 1. Juli 2021 vorzubereiten.
© Mark Schiefelbein/AP/dpa

Global Challenges: Wovon Mao nicht zu träumen wagte

100 Jahre nach der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas: Mythos, Macht und Monopol. Eine Analyse.

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Jürgen Trittin. Er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Er war Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und in der Regierung Schröder Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Weitere AutorInnen: Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Günther Oettinger, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup, Prof. Dr. Renate Schubert.

"Im Juli 1921", so Mao Tse-tung, gründete sich in Shanghai die Kommunistische Partei Chinas (KPCh). Weshalb die heute über 90 Millionen Mitglieder und rund 1,4 Milliarden Einwohner*innen Chinas am 1. Juli den 100. Geburtstag der KPCh feiern.
Die Geschichte der Partei ist eng mit dem Wiederaufstieg Chinas verbunden – und nicht zu verstehen ohne die Demütigungen der Kolonialzeit. Zu den Kolonialmächten zählte auch das deutsche Kaiserreich. Wilhelm II. forderte 1900 bei der Verabschiedung der Truppen zur Niederschlagung des Boxeraufstands in seiner berüchtigten Hunnenrede, „dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen“.

Die Schmach der Kolonialzeit Chinas, das zuvor eine der größten Mächte der Welt war, fand in der japanischen Besetzung ihren blutigen Höhepunkt. Beim Massaker von Nanjing wurden 1937 bis zu 300 000 Menschen massakriert, vorwiegend Zivilisten. Die KPCh hatte sich mit dem Ziel gegründet, die koloniale Unterdrückung zu überwinden. Sie war eine nationale Befreiungsbewegung, die sich im Bürgerkrieg 1949 gegen die Nationalisten durchsetzte.

Seitdem ist die KPCh im Besitz der politischen Macht, wobei die Akzeptanz ihrer Herrschaft den Vergleich mit anderen politischen Systemen nicht scheuen muss. Obwohl Meinungsfreiheit, Demokratie und Gewaltenteilung in China aggressiv bekämpft werden, belegen internationale vergleichende Umfragen ein hohes Maß an Zufriedenheit der Bevölkerung mit Partei und Regierung.

Wie konnte das einer Partei gelingen, die während des Großen Sprungs nach vorn von 1958 bis 1961 für mindesten 15 Millionen Tote verantwortlich ist, andere Schätzungen gehen sogar von 55 Millionen Toten aus? Warum ist die Herrschaft der KPCh nach der Implosion des Warschauer Pakts nicht zusammengebrochen? Die Antwort: Chinas politische Führung hat sich früh vom sowjetischen Weg emanzipiert, politisch wie ökonomisch. Deng Xiaopings Öffnungspolitik markierte 1978 den endgültigen Wendepunkt. Es war nicht nur eine Politik der Öffnung zum Westen, die ja schon Mao eingeleitet hatte. Deng sorgte auch, fast ein Jahrzehnt vor Michail Gorbatschow in der Sowjetunion, für die ökonomische Öffnung Chinas hin zu einem von der Partei gesteuerten Staatskapitalismus. Damit legte er den Grundstein für eine umfassende Legitimation der Herrschaft der Partei.

Der Unterdrückung der Demokratiebewegung steht die beispiellose Überwindung der Armut gegenüber

Der Primat der Politik und das Machtmonopol der Partei wurden gewaltsam bei der blutigen Niederschlagung des friedlichen Aufstandes am Tian’anmen-Platz 1989 verteidigt. Der Unterdrückung der Demokratiebewegung steht allerdings die beispiellose Überwindung der Armut gegenüber. Seit 1978 wurden mehr als 850 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Pünktlich zum 100. Jubiläum der KPCh feiert Staats- und Parteichef Xi Jinping auch die „Überwindung der absoluten Armut“.

Make China great again. Dieser Mythos hat in der nationalen Befreiung von 1949 und der ökonomischen Entwicklung seit 1978 seine Grundlage. Auf dieser Basis erhebt die KPCh bis heute erfolgreich ihren Anspruch auf das Monopol der Macht. Wenn die Europäischen Union China heute als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ ansieht, hat sie diese Erzählung in Rechnung zu stellen. Westliche Ideen, der Handel werde zu einem Wandel des politischen Systems führen, haben sich als naive Illusion erwiesen. Unter Xi Jinping gilt dies erst recht. Chinas Entwicklung von der Werkbank der Welt zur größten Volkswirtschaft nach den USA, die von Xi angestrebte Führerschaft bei Schlüsseltechnologien und seine geoökonomische Expansionsstrategie gehen einher mit dem Ausbau autoritärer Herrschaft und massiver Überwachung im Innern.

Chinas wirtschaftliches Ausgreifen auf Afrika, Zentralasien und auch Europa im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ sowie Pekings militärische Expansion im Südchinesischen Meer können jedoch die strukturellen Herausforderungen im Inneren nicht überdecken. Chinas Gesellschaft droht dramatisch zu überaltern, ein Problem, das durch die neue Drei-Kinder-Politik kaum entschärft werden dürfte. Das Sozialsystem ist ebenso wenig solide finanziert wie der Bildungssektor. Hohe ökonomische Risiken bergen auch die Staatsverschuldung von fast 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und der überschuldete Bankensektor.

All dies kann die Akzeptanz der KPCh-Herrschaft trotz großer Erfolge bei der Corona-Bekämpfung in Frage stellen. Deshalb nimmt der Kontrollwahn der Partei weiter zu.

Inzwischen streben immer mehr Länder ein gemeinsames Bündnis gegen China an

Der Mangel an internationaler Verlässlichkeit in Hongkong, die Nichtachtung internationaler Schiedssprüche zum Südchinesischen Meer, der Umgang mit Schuldnern in Asien, Afrika und auf dem Balkan – inzwischen streben immer mehr Länder ein gemeinsames Bündnis gegen China an.

Auf die EU-Sanktionen gegen vier Verantwortliche für die Repression in Xinjiang reagierte Peking so hart, dass die Ratifizierung des Investitionsabkommens mit Europa auf Eis liegt. Außerdem beschloss Peking ein neues Anti-Sanktionsgesetz, das ausländische Investoren bedroht. Unternehmen werden künftig für Handlungen ihrer Regierungen in Haftung genommen. In Hongkong hat Xi Dengs Grundsatz „Ein Land – Zwei Systeme“ kassiert. In der KPCh tobt Streit zwischen denen, die an der Weltmarktorientierung festhalten wollen, und jenen, die auf die Größe eines autarken China samt Satelliten setzen.

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Die Reideologisierung der KPCh im hundertsten Jahr ihres Bestehens reflektiert die erfolgreiche Politik, China wieder zu alter Größe zu führen – und gefährdet sie zugleich. Es scheint, als habe die Partei mit der personalisierten Ausrichtung auf Xi und dessen lebenslange Herrschaft ihren Vorteil gegenüber gescheiterten kommunistischen Parteien verloren.

Dennoch dürfte das Machtmonopol der KPCh auf absehbare Zeit nicht in Frage gestellt werden. China ist systemischer Rivale des demokratischen Kapitalismus. Und es ist ein harter, oft unfairer Wettbewerber. Doch wer effektive Klimapolitik betreiben will, wer die globale Corona-Rezession überwinden und global Armut bekämpfen will, kommt heute an China und seiner KP nicht vorbei. Das hätten Mao und seine Genoss*innen 1921 in Shanghai wohl kaum zu träumen gewagt.

Jürgen Trittin

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