Streit um Zinspolitik der EZB: Wolfgang Schäuble im Dissens mit Mario Draghi
Finanzminister Wolfgang Schäuble will beim G-20-Treffen in Washington ein Ende der Niedrigzinspolitik durchsetzen. Aber hat er dafür genügend Mitstreiter?
Zwischen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der CDU/CSU knistert es schon seit einiger Zeit. Nicht, weil man sich so mag, sondern weil die eine Seite nicht tut, was die andere Seite möchte – und weil das so ist, mäkeln Unionspolitiker gern an EZB-Chef Mario Draghi herum. Nun steht in dieser Woche das Finanzministertreffen der G 20 in Washington an, bei dem es auch um die internationale Leitzinspolitik gehen wird. Das ist der Anlass für eine ganze Reihe von Unionspolitikern, angeführt von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ihren Unmut über die Zinspolitik der EZB zu Protokoll zu geben – in einer in Ton und Drastik seltenen Form. „Wir brauchen in Deutschland eine Debatte über die falsche Politik der EZB“, sagte etwa Bayerns Finanzminister Markus Söder dem „Spiegel“ und forderte einen „Richtungswechsel in der Geldpolitik“. Bundestags-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus will die Euro-Notenbanker bei diesem Thema unter Rechtfertigungsdruck setzen, der Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs befand: „Wir sind noch nicht laut genug.“ Von einem „hochriskanten Kurs“ spricht Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, wegen der Auswirkungen auf die Altersvorsorge – niedrige Zinsen werden hier oft als Einschnitt betrachtet.
Ist Draghi an AfD-Stimmen schuld?
Am härtesten aber trat Schäuble selbst auf. Eingeladen zur Entgegennahme eines Preises der Stiftung Marktwirtschaft, vor einem eher exklusiven Kreis, in dem einige die D-Mark-Nostalgie und die Sehnsucht nach der guten alten Bundesbank pflegen, warf Schäuble dem EZB- Chef vor, für die Hälfte der AfD-Stimmen in Deutschland verantwortlich zu sein. Die Rechtspartei profitiert zwar ausweislich der Umfragen vor allem von der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, aber Schäuble meinte wohl, dass Draghis Nullzinspolitik zur Verunsicherung in der Mittelschicht beiträgt. Der Finanzminister signalisiert schon seit Längerem, dass er ein Ende der EZB-Strategie möchte, in der ein niedriger Zins als Mittel zur Wachstumsstimulierung, aber auch zur Entschuldung privater wie staatlicher Haushalte dient. Er fürchtet, dass sich an den Märkten stattdessen Fehlentwicklungen einstellen – in Deutschland etwa eine Immobilienblase, die allerdings (im Gegensatz zu den USA oder Spanien) weniger schuldengetrieben wäre, sondern eher Ergebnis einer Anlagepanik unter Vermögenden. Bei den G-20-Gesprächen, zu denen Schäuble Mitte der Woche aufbricht, will der Finanzminister daher Druck machen. Draghi ist dort freilich nicht der einzige Teilnehmer, den er überzeugen muss.
Fed wartet ab
Die US-Notenbank Fed ist, entgegen mancher Erwartung, im vorigen Jahr nicht dazu übergegangen, schrittweise den Leitzins wieder zu erhöhen. Fed-Chefin Janet Yellen hat sich auf Abwarten verlegt und schaut auf die Entwicklung der US-Wirtschaft, auf China, auf die Schwellenländer. Auch die Notenbank in Japan dürfte sich Schäuble kaum anschließen; sie praktiziert die Niedrigzinspolitik seit 20 Jahren, um das Land aus der unguten Mischung aus Wachstumsschwäche, Deflation und Überalterung zu führen. Der Erfolg ist zwar mager, parallel dazu ist die Staatsverschuldung auf mehr als 200 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen, aber die Politik wird fortgeführt. Schäuble will jedoch hart bleiben. Seinem US-Kollegen Jack Lew hat er geraten, Einfluss zu nehmen auf die Fed, so wie er die EZB dazu bringen wolle, „langsam rauszugehen“ aus der Politik des niedrigen Zinses. Der Bundesfinanzminister glaubt, dass auch die Amerikaner angesichts der hohen Volatilität der Märkte (gemeint sind Preissprünge bei Immobilien und das zuletzt stärkere Auf und Ab an den Börsen) „hochbesorgt“ seien. Ein „Übermaß der Liquidität“ sei inzwischen mehr die Ursache als die Lösung der Probleme. Freilich weiß auch Schäuble, dass ohne die Fed und ohne eine internationale Koordinierung der Zinspolitik (die ja auf die Währungskurse Einfluss hat) wenig geht.
In der Zwickmühle
Zudem hat er sich mit seinen Äußerungen in eine Art Zwickmühle gebracht. Denn es war nicht zuletzt Deutschland, das stets besonders auf die Unabhängigkeit der Zentralbank Wert gelegt hat. Die EZB sollte sein wie die Bundesbank – eine auf Stabilität angelegte Einrichtung, die Experimenten eher abgeneigt ist. Unter Draghi ist die Notenbank einen etwas anderen Weg gegangen, in Einklang mit den anderen Zentralbanken. Schäubles Äußerungen wirken nun wie der Versuch, durch öffentlichen Druck Einfluss zu bekommen, den man im Hintergrund offenbar nicht im gewünschten Maß hat. Sein Sprecher sah sich am Montag zu der Klarstellung genötigt, man achte die Unabhängigkeit der EZB „im Rahmen des der Bank gegeben Mandates“. Das sieht vor allem Preisstabilität vor – aber auch konjunkturelle Stimulierung.