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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
© Reiner Jensen/dpa

Neue Steuerschätzung: Wolfgang Schäuble, der Mehrer des Goldklumpens

Der Bundesfinanzminister kann abermals höhere Steuereinnahmen vermelden. Doch die Zuwächse werden geringer - und damit auch die Spielräume.

Wolfgang Schäuble hat am Freitag, bevor er die Zahlen zur aktuellen Steuerschätzung vorstellte, in seinem Ministerium einer Kinderschar ein Märchen vorgelesen. Das hat den Bundesfinanzminister so beeindruckt, dass er in der Pressekonferenz hernach seine Haushaltspolitik auf den Satz brachte: „Wir sind besser als der Hans im Glück mit dem Goldklumpen umgegangen.“ In der Tat war manches für einen Finanzminister in den vergangenen Jahren märchenhaft, trotz der einschneidenden Finanzkrise nach 2008.

Insbesondere hat die Politik der Zentralbanken dazu beigetragen, dass Schäuble nicht nur als Meister der schwarzen Null in die Geschichte eingehen wird, sondern sogar Überschüsse schaffte. „Natürlich hilft uns das Niedrigzinsumfeld“, gestand er ein. Also die Politik von Notenbankchef Mario Draghi, den Schäuble dennoch zuletzt kritisiert hat.

Ganz so märchenhaft wird es in den kommenden Jahren allerdings nicht weitergehen. Die Zeiten, da das erwartete Plus in den Etats von Schätzung zu Schätzung höher wurde, sind erst einmal vorbei. Schäubles Begründung: Die „Dynamik beim Arbeitskräftepotenzial ist langsamer geworden“, die Auslastung sei jetzt so hoch, das weitere Zunahmen über die bisherigen Erwartungen hinaus nicht mehr wahrscheinlich seien. Doch könnten Bund, Länder und Kommunen auch in den kommenden Jahren mit „soliden Steuereinnahmen“ rechnen.

Steigende Bruttoeinkommen

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Steuerschätzer mit soliden Steigerungen der Bruttoeinkommen rechnen: 2016 sollen es 3,8 Prozent mehr sein, im kommenden Jahr trotz eines etwas geringeren Wirtschaftswachstums immer noch 3,7 Prozent. Entsprechend dürfte der Konsum mindestens stabil bleiben.

Insgesamt können Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr mit 4,3 Milliarden Euro mehr kalkulieren, als in der Schätzung vom Mai veranschlagt. Genauer: Die Länder nehmen 3,2 Milliarden Euro mehr ein, das Plus des Bundes liegt bei 1,4 Milliarden und das der Kommunen bei 700 Millionen. Insgesamt sollen die Einnahmen aller staatlichen Ebenen in diesem Jahr bei 695,5 Milliarden Euro liegen. Die Marke von 700 Milliarden wird im kommenden Jahr geknackt, und schon 2020 sollen es mehr als 800 Milliarden sein.

Dass der Goldklumpen dann vielleicht doch nicht ganz so groß sein wird, daran arbeitet Schäuble gerade. Denn eventuelle Steuersenkungen sind in der Schätzung natürlich nicht berücksichtigt. Der CDU-Politiker strebt aber ein Entlastungsversprechen für den Wahlkampf im kommenden Jahr an. Den Umfang deutete Schäuble am Freitag abermals an: 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung, also 15 bis 16 Milliarden Euro. Immerhin ist in seiner Amtszeit die Steuerquote in Deutschland (also die Summe der Steuern in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) leicht gestiegen, wie er selber beichtete.

Grüne und Linke fordern mehr Investitionen

Die Grünen schlugen Schäuble vor, statt Überschüsse zu produzieren doch lieber die Ausgaben zu erhöhen. "Es gibt keine sinnvolle Investitionsstrategie vom Bundesfinanzminister", sagte Bundestagsfraktionsvize Kerstin Andreae. Ähnlich sieht es auch die Koalitionspartnerin, die ebenfalls eine "mittel- und langfristige Investitionsstrategie" des Finanzministers vermisst. Für die SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe ist es an der Zeit, die staatlichen Investitionen deutlich zu steigern. "Denn nur die mit Investitionen verbundenen Wachstumsimpulse können mittel- und langfristig für anhaltendes Wirtschaftswachstum sorgen." Der Linken-Finanzpolitiker Richard Pitterle sagte: "Ohne massive staatliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung, ohne eine massive Stärkung der Binnennachfrage durch höhere Löhne werden die Steuerfantasien des Finanzministers bald zerplatzen wie Seifenblasen."

Der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht angesichts der Schätzungen "reichlich Spielraum, um mehr in die Zukunft zu investieren". Allerdings denkt BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber dabei eher an eine "steuerliche Forschungsförderung" für die Unternehmen, um den Strukturwandel der Digitalisierung zu unterstützen. Reiner Holznagel, Chef des Bundes der Steuerzahler, nutzte die neuen Zahlen, um das Credo seines Verbandes zu bekräftigen: "Die Politik sollte ihre Ausgabenwut zügeln und einen Teil der Steuermehreinnahmen den Bürgern zurückgeben."

Haushaltspolitiker dämpfen Erwartungen

Etwas vorsichtiger klangen die Reaktionen der führenden Haushaltspolitiker der Koalition. Die strecken derzeit in den Etatberatungen für 2017 - zu denen immer auch die Prognosen für die Jahre danach zählen. Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs darauf, dass die Spielräume nicht mehr wachsen und die Steuerschätzung für die Zeit nach 2018 sogar ein kleines Minus gegenüber den Mai-Zahlen ergibt. Bei der Verkündung von Entlastungen solle man daher vorsichtig sein. "Und auch die für kommendes Jahr geschätzten Mehreinnahmen sind weitgehend verplant durch die zwischenzeitlich beschlossenen Entlastungen von Familien sowie der Länder im Zusammenhang mit Flüchtlingskosten", sagte er.

Laut Kahrs schafft Schäuble den angestrebten Haushaltsausgleich 2018 nur durch eine globale Minderausgabe von fast fünf Milliarden Euro. Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus sagte: "Die aktuelle Steuerschätzung bestätigt weitgehend die Ergebnisse der Frühjahrsschätzung. Raum für zusätzliche Ausgabenwünsche auf Bundesseite besteht nicht."

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