Neuauflage der Jamaika-Sondierungen?: Wolfgang Kubicki und die Rolle rückwärts à la FDP
Erst hat die FDP ihren Ausstieg aus Jamaika als „Charakterfrage“ gelobt. Jetzt verwirrt sie mit neuer Offenheit.
Das politische Geschäft kennt Wolfgang Kubicki seit mehr als 30 Jahren. Einst hat er den FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt öffentlich zum Rücktritt gedrängt (was der dann auch tat) und später der Westerwelle-Partei die Implosion prophezeit (was dann auch so geschah). Einem solch erfahrenen Mann, davon darf man ausgehen, unterlaufen keine Anfängerfehler. Wenn so einer eine Botschaft verbreiten will, dann weiß er sehr genau, was er tut.
Am Dienstag hatte der stellvertretende FDP-Vorsitzende eine überraschende Botschaft parat. „Kubicki schließt Wiederauflage von Jamaika-Sondierung nicht aus“, titelte die Nachrichtenagentur Reuters und zitierte aus einem Gespräch des Redaktionsnetzwerkes Deutschland den Satz: „Selbstverständlich werden die Freien Demokraten im Licht der Entwicklung neue Bewertungen vornehmen. Wir sind schließlich keine Dogmatiker.“
Was wie ein Angebot an Union und Grüne aussah, doch noch einmal in Verhandlungen einzutreten, wenn die nun beginnenden Gespräche von CDU und CSU zur Vorbereitung einer großen Koalition mit der SPD am Ende scheitern sollten, versetzte die FDP-Führung unmittelbar in Aufregung. Schließlich hatte der Parteivorsitzende Christian Lindner seinen nächtlichen Abzug aus den Jamaika-Sondierungen („Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“) hernach in unzähligen Interviews und öffentlichen Auftritten gegen die Kritik verteidigt, er sei leichtfertig vom Verhandlungstisch aufgestanden und habe das Land in eine Krise gestürzt.
Lindner hatte Jamaika kategorisch ausgeschlossen
Und nicht nur das: Lindner hatte Gespräche mit Union und Grünen auch für den Fall von Neuwahlen kategorisch ausgeschlossen. Schließlich, so die Begründung, würde sich an den Verhandlungsteilnehmern, mit denen die FDP keine Vertrauensbasis habe finden können, kurzfristig genauso wenig ändern wie an den Inhalten, die die Liberalen schon einmal abgelehnt haben.
Jetzt folgt auf das, was für die Freien Demokraten seit Mitte November eine „Charakterfrage“ ist, plötzlich die Rolle rückwärts? Eilig dementierte Lindner auf Twitter, dass die FDP doch noch mal über Jamaika reden würde. „In dieser Wahlperiode“ sei das „für niemanden“ mehr ein Thema. „Wolfgang“ sei „wohl falsch interpretiert worden“.
Kubicki („Es ist eine Binsenweisheit, dass es beim Scheitern der GroKo eine neue Lage gibt“) allerdings versuchte lediglich den Eindruck zu zerstreuen, die FDP falle plötzlich um und er stelle sich als Stellvertreter gegen den Parteivorsitzenden. An seiner Botschaft, die FDP halte sich für alle politischen Eventualitäten bereit, hielt er fest.
Ob Tolerierung einer Minderheitsregierung oder doch neue Gespräche? Zumindest dieses Signal dürfte Wolfgang Kubicki gegeben haben: Wenn der Plan einer großen Koalition in den kommenden Wochen platzt und sich an die FDP erneut die Frage ihrer staatspolitischen Verantwortung stellt, dann wird sie sich nicht verweigern. An dieser Verantwortung haben nämlich in den zurückliegenden Tagen nicht nur zahlreiche Unternehmer und der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer („Schande“) gezweifelt. Auch an der Parteibasis und bei FDP-Anhängern wird der Jamaika-Abbruch von Lindner durchaus kritisch gesehen.
Antje Sirleschtov
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