Mieten und Wohnungsmangel in Berlin: Wohnungsbau muss soziale Strukturen beachten
Bei der Stadtplanung gilt: nicht tricksen, sondern transparent sein und die Bürger einbinden. Sonst droht das Debakel. Ein Kommentar
Um mehr als 50.000 Einwohner wächst Berlin jedes Jahr, hat der Tagesspiegel berichtet, und mein Kollege Ralf Schönball rechnete dem Senat dessen baupolitische Versäumnisse vor: In den vergangenen fünf Jahren stieg Berlins Bevölkerung um 241.685 Einwohner. Im gleichen Zeitraum entstanden aber nur 35.002 zusätzliche Wohnungen – die meisten davon in jenem Segment der hochpreisigen Eigentumswohnungen, das nun überhaupt nicht dem Suchprofil derer entspricht, die neu in die Stadt kamen. Das sind in der Regel normale Arbeitnehmer, die eher auf den sozialen Wohnungsbau angewiesen sind.
Die wenigsten gehören zu der klassischen Klientel für Quadratmetermieten über zwölf Euro. Das heißt im Klartext: In Berlin wird zu wenig gebaut, und was wirklich benötigt wird, hat der Senat überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt.
Nun sollte man der Politik nicht gleich vorwerfen, dass sie nicht bereits im ersten Jahr mit stark steigenden Einwohnerzahlen realisiert hat, dass das Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt haben muss. Vielleicht brauchen Verwaltungen einfach lange Entscheidungszeiträume – sowohl zum Beschleunigen als auch zum Abbremsen.
Die Fakten stützen solchen Großmut der Wähler aber nicht. Schon im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2011 findet sich bereits in der Präambel der schöne Satz: „Wir wollen eine Stadt der bezahlbaren Mieten und kurzen Wege“. Und der ehemalige Senator für Stadtentwicklung Michael Müller – heute ist er Regierender Bürgermeister – hat gleich zu Beginn der Legislaturperiode unter breiter öffentlicher Beteiligung eine ganze Konferenzserie zum Thema „Wachsende Stadt“ initiiert. Stadtplaner entwickelten damals das Modell, das heute zum Rahmen der städtebaulichen Entwicklung geworden ist: Die Stadt soll nicht wild ins Umland hinaus wuchern, sondern entlang der wichtigen Verkehrsachsen wachsen, und das sind mit deutlichem Vorrang die S-Bahn-Linien, über deren Verlängerung ja gerade nachgedacht wird. Sage also niemand, wir stünden vor einem Erkenntnisproblem.
Sind fast 20-geschossige Hochhäuser auf der Fischer-Insel eine angemessene Antwort?
Nein, es geht um Umsetzung. Und da bewegen sich die Wunschbilder der offiziellen Stadtpolitik und der Bevölkerung irgendwo zwischen Manhattan und Posemuckel. Andreas Geisel, Müllers Nachfolger als Stadtentwicklungssenator, hat die beachtenswerte Vision entwickelt, auch künftig müssten Normalverdiener innerhalb des S-Bahn-Rings leben können. Das ist schon deshalb richtig, weil die soziale Mischung im Interesse des gesamtstädtischen Friedens von hoher Bedeutung ist. Ob fast 20-geschossige Hochhäuser wie von Geisel jetzt auf der Fischer-Insel befürwortet, eine angemessene Antwort auf die Herausforderung sind, schnell mehr Wohnraum zu schaffen, muss man allerdings bezweifeln. Bei der Vorstellung, in einem solchen Monstrum könnten Familien mit kleinen Kindern unterkommen, sträuben sich einem die Haare. Vielleicht betrachtet man das Vorhaben auch einmal unter dem Aspekt der Sozialverträglichkeit und nicht nur daraufhin, ob historische Zusammenhänge negiert oder Sichtachsen verstellt werden.
Wie allergisch Anwohner reagieren, wenn sie sich von der offiziellen Stadtplanung nicht eingebunden, sondern übertölpelt fühlen, hat man am Tempelhofer Feld gesehen. Da sollte den Anrainern zwischen Autobahn und Tempelhofer Damm nicht nur eine Stadtbibliothek untergejubelt werden, die man an anderer Stelle weit günstiger hätte haben können, nein, da versteckten sich auch sechs- und siebengeschossige Bauwerke in der gefällig wirkenden Planung. Das Ergebnis: Auf ewig Posemuckel da, wo bei zurückhaltender Dimensionierung maßstabgerechtes Wohnen möglich gewesen wäre. Sage niemand, man könne so viele Zuzügler nur unterbringen, wenn in die Höhe gebaut wird. Die Stadt ist groß genug, Platz ist da.
Der nächste Konflikt entwickelt sich demnächst in der Ostecke des Flughafens Tegel, wo 5000 Wohnungen geplant sind. Die Angst, es könne ein Brennpunkt entstehen, wenn 10.000 Menschen in einem Neubaugebiet ohne gewachsene soziale Strukturen unterkommen, ist keine Panikmache. Das Märkische Viertel ist Warnung genug. Das hatte schon einen schlechten Start, und dann vertrieb der Nachwende-Senat durch eine happige Fehlbelegungsabgabe auch noch die stabilisierenden Mieter nach Brandenburg in die neuen Eigenheimsiedlungen.
Nicht tricksen, transparent planen, Bürger einbinden – vielleicht ist in der Präambel der nächsten Koalitionsvereinbarung noch Platz für diesen Satz.