zum Hauptinhalt
T-20-Talk zum Klima: Amar Bhattacharya (Brookings Institution), Conny Czymoch (Moderation), Nicholas Stern (London School of Economics), Ludger Schuknecht (Chefökonom im Bundesfinanzministerium) und Kurt Bock (BASF-Vorstand) (v.l.n.r.).
© Tobias Koch / www.tobiaskoch.net

Konferenz "Global Solutions": Wohlstand ohne Ausbeutung

Morgen beginnt der G-20-Gipfel. Führende Forscher und Denker hatten zuvor in Berlin über Lösungen für die drängendsten Probleme der Erde nachgedacht - ihre Ratschläge an die Weltlenker.

Ihre Stärke ist ihre Schwäche. Und umgekehrt wird ihre Schwäche zu ihrer Stärke. In der hohen Politik gehört es zu den Vorteilen von Wissenschaftlern, dass sie keine Rücksicht auf Wiederwahl und Opportunität nehmen müssen. Sie können die Mächtigen der Erde nach bestem Wissen und Gewissen beraten.

Sie haben freilich auch keine Durchsetzungsmacht. Was am Ende des Gipfeltreffens in Hamburg beschlossen wird und was nicht, entscheiden die Staats- und Regierungschefs der G20. Und nicht die Denker, die sich Ende Mai als T20 in Berlin trafen, um den G20 Vorschläge zu machen. Doch vielleicht sind ihre Ideen ansteckend.

Manche sind verblüffend eingängig – wie der Vorschlag, Sonderwirtschaftszonen für Flüchtlinge in den ersten Zufluchtsländern einzurichten, damit sie dort Jobs finden und nicht weiterwandern. Andere rufen erst mal Verwunderung hervor – wie die These, man müsse sich jetzt schon um die Chancen der Männer am Arbeitsmarkt sorgen und nicht um die der Frauen. Wieder andere kommen einem altbekannt vor, darunter Maßnahmen gegen den Klimawandel; da hat die Erde weniger ein Erkenntnis- als ein Durchsetzungsproblem. Berlin aber durfte es bei der Konferenz „Global Solutions“ der Think Tanks (T20) allein schon als Geschenk betrachten, dass Nobelpreisträger und andere brillante Köpfe hier zwei Tage lang über die Zukunft nachdachten.

Vorausschauende Zukunftsarbeit durch wissenschaftliche Beratung

Sofern das so weitergeht, wird daraus umgekehrt ein Geschenk Berlins an die Welt. Wenn der Anstoß Schule macht, den die Bundesregierung als Gastgeber der G20 in diesem Jahr gegeben hat, wird jedem künftigen Gipfel ein solches Vorbereitungstreffen mit führenden Wissenschaftlern aus aller Welt, eine Suche nach „globalen Lösungen“ vorausgehen. Vielleicht bedeutet 2017 also den Beginn einer neuen Ära. Denn die G20 führten lange ein Schattendasein. Ihre Bedeutung bekamen sie in der globalen Finanzkrise, als Reparaturbetrieb für die unmittelbar drängenden Probleme. Gemeinsam stützten sie das Finanz- und Bankensystem und verhinderten eine weltweite Depression. Jetzt soll mehr daraus werden: vorausschauende Zukunftsarbeit durch wissenschaftliche Beratung. Wie retten wir die Welt?

Einfach ist das nicht, sonst wäre sie längst gerettet. Ob Klimawandel, Migrationsströme, Hunger, Zugang zu Bildung und Investitionskapital – politische, ökonomische, soziale und kulturelle Einflüsse wirken zusammen. Also müssen Lösungen interdisziplinär erarbeitet werden.

Schwerpunkte der T20 sind Themen wie nachhaltige Entwicklung, Stabilität der Finanzmärkte, Migration, Digitalisierung, Klimawandel sowie die Bekämpfung von Armut und Hunger. Die Denker zielen auf längerfristige, nachhaltigere Therapien, betont Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Gemeinsam mit Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), leitete er die Konferenz in Berlin. Vier Nobelpreisträger waren unter den Gästen: George Akerlof (Georgetown University, Washington), Edmund Phelps, Michael Spence und Joseph Stiglitz (alle Columbia University, New York).

Gemeinsam mit ihren Kollegen legten sie 20 Kernvorschläge zu den Bereichen Digitalisierung, nachhaltige und widerstandsfähige Wirtschaft, Klima- und Finanzpolitik, Bekämpfung von Hunger und Ungleichheit sowie Umgang mit Migration vor. Alles in allem eine „Agenda 2030“ als universeller Rahmen für die Entwicklung der Menschheit.

Bildung, Klima, Wasser und Land als weltweite Gemeinschaftsgüter

Darunter sind auch Überlegungen, die für viele neu klingen. Der seit Jahrhunderten wirkende Vorteil der Männer auf dem Arbeitsmarkt – sie haben in der Regel mehr Körperkraft als Frauen – verliert an Bedeutung; in der digitalen Wirtschaft ist soziale Kompetenz wichtiger. Das kann sozialen Wandel beflügeln und die These untermauern, man müsse schon heute darüber nachdenken, wie man Männer künftig ausbildet.

Die Vorschläge der T20 treffen freilich auf Staats- und Regierungschefs, die Länder und Kontinente mit sehr unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und Entwicklungsniveaus vertreten. In welchem Maße können sie sich auf gemeinsame Ziele und Herangehensweisen verständigen?

Vielleicht sind die Beharrungskräfte noch auf Jahre hinaus größer, zumindest in den G-20-Staaten, die patriarchalisch organisiert sind. Welche Rolle und welche Rechte Frauen zukommen, wird in diesen Gesellschaften sehr unterschiedlich betrachtet. Und wie setzt man den Aufruf, die Autorität religiöser Führer im Kampf gegen Hunger besser zu nutzen, in einem Bürgerkriegsland wie Somalia mit verfeindeten Clans und Glaubensgemeinschaften um?

Intellektuell sind manche Ideen der T20 faszinierend, politisch bedeuten manche eine Revolution. Wie werden ein absolutistischer saudischer Herrscher oder die Präsidenten Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Donald Trump auf die Forderung reagieren, das Klima, die Finanzsysteme, die Artenvielfalt, Wasser und Land als Gemeinschaftsgüter zu begreifen? Güter zudem, bei denen die Interessen der Menschheit Vorrang haben sollen vor dem Recht auf private oder nationale Nutzung?

Ohne eine Vision wird es keine nachhaltigen Lösungen geben

Ein solches Umdenken wird wohl nicht so schnell in amerikanisches, russisches, türkisches oder saudisches Recht umgesetzt werden, wohl nicht mal in deutsches. Für IfW-Chef Dennis Snower geht es jedoch darum, eine gemeinsame globale Vision zu entwickeln: Wie kommt die Erde zu Wohlstand für alle, zu einer nachhaltig geschützten Umwelt, zu sozialer Inklusion und zu Widerstandskraft gegen plötzliche Schocks für die Systeme? Ohne eine solche Vision werde es keine nachhaltigen Lösungen geben, denn jedes Land sei stark davon abhängig, was in anderen Ländern geschehe. Die Erde sei heute in Wirtschaft, Umwelt und Technologie weitgehend integriert, jedoch in sozialen und politischen Fragen zunehmend fragmentiert.

Eine neue Definition, was heute als privater und was als nationaler Besitz anzusehen sei und was zu den globalen gemeinsamen Gütern gehöre, ist laut Snower eine Frage von Frieden oder Konflikt. Die G20 sollten einerseits in technische und soziale Innovation investieren und andererseits eine neue Kultur globaler Kooperation und Aktion entwickeln. Sie müssten sich als eine Familie der Nationen begreifen. Diese Herangehensweise solle nationale und lokale Instanzen nicht ersetzen, sondern an deren Seite treten.

Mutiges Vorausdenken ist also nötig. Und dann Beharrlichkeit. Die „Global-Solutions“-Premiere im Vorfeld von Hamburg war ein erster Schritt.

Christoph von Marschall

Zur Startseite