Weltflüchtlingstag: 65,6 Millionen Menschen auf der Flucht
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat zum Weltflüchtlingstag einen Bericht mit globalen Trends unfreiwilliger Migration vorgelegt. Ein Überblick über die Krisenherde dieser Welt.
Krieg, Terror, Verfolgung und Armut zwingen immer mehr Menschen, ihre Heimat zu verlassen. 65,6 Millionen Menschen waren Ende 2016 auf der Flucht – fast so viele, wie Frankreich Bürger hat. Vor 20 Jahren war die Zahl nur halb so groß, zeigt der UN-Bericht zum Weltflüchtlingstag. 40,3 Millionen sind Vertriebene im eigenen Land, 25,3 Millionen suchen anderswo Schutz. Europa bleibt wegen der Entfernung und der hohen Reisekosten für die meisten unerreichbar. Die Flucht übers Mittelmeer ist die gefährlichste – mit mehr als 5000 Toten allein 2016. Woher kommen die Menschen und wohin ziehen sie?
Nahost - 5,5, Millionen Flüchtlinge allein aus Syrien
Die mit Abstand meisten Flüchtlinge sind Syrer. Der überwiegende Teil von ihnen flieht vor den Bomben des Regimes von Baschar al Assad. Auch der sogenannte „Islamische Staat“ und andere islamistische Milizen begehen massive Menschenrechtsverletzungen. Mehr als sechs Millionen Syrer irren ohne feste Bleibe als Vertriebene durchs eigene Land. Wenn die Flucht über die Grenze gelingt, gibt es Schutz vor allem in Nachbarstaaten: in der Türkei, in Jordanien und dem Libanon. Die wenigsten leben dort in gut organisierten Flüchtlingscamps, sondern campieren in stillgelegten Garagen, verfallenen Häusern, simplen Baracken und unter Plastikplanen auf Feldern. Am schlimmsten trifft es die Kinder: Millionen gehen seit Jahren nicht zur Schule. Verheerend ist auch die Lage im Jemen. Das Armenhaus der arabischen Welt leidet unter dem Konflikt zwischen schiitischen Huthi-Milizen und einer von Saudi-Arabien angeführten Militärallianz, die den geflohenen Präsidenten wieder ins Amt bringen will. Im Land wüten Hunger und Cholera.
Afghanistan - 5,5, Millionen Flüchtlinge
Die Lage in Afghanistan stand gerade wieder im Mittelpunkt der politischen Debatte in Deutschland: Nach einem Bombenattentat in Kabul wurden Abschiebungen in das Land am Hindukusch bis auf Weiteres ausgesetzt. Afghanen stellen eine der größten Flüchtlingsgruppen in Deutschland, 2016 waren es mehr als 46 000. Und die Lage in Afghanistan verschlechtert sich weiter: Taliban und ein Ableger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ terrorisieren die Bevölkerung und greifen in fast allen Landesteilen Sicherheitskräfte an. In dieser Situation kehrten 2016 fast 400 000
Afghanen aus Pakistan und dem Iran zurück. Teilweise lebten sie dort schon seit den 1990er Jahren, als schon einmal hunderttausende Afghanen vor Bürgerkrieg und Talibanherrschaft flohen. Die wenigsten kommen nun freiwillig zurück, denn in ihrer Heimat finden sie nur schwer Arbeit oder eine Bleibe.
Sahelzone, Horn von Afrika - 1,4 Millionen Flüchtlinge allein aus Südsudan
Ausgerechnet der jüngste Staat der Erde, Südsudan, hat die am schnellsten wachsende Flüchtlingszahl weltweit: Sie stieg in nur wenigen Monaten um mehr als 60 Prozent. Die meisten Flüchtlinge sind Kinder. Der 2011 von Sudan unabhängig gewordene Staat war von Anfang an ein gescheiterter. Interne Machtkämpfe in der neuen Staatsführung und ethnische Spannungen trieben das bitterarme Land in einen Bürgerkrieg, der Hunger und Cholera nach sich zieht. Die hohe Zahl der Flüchtenden belastet vor allem den südlichen Nachbarn Uganda. Auch in Sudan (650.600 Flüchtlinge) haben regionale Konflikte, staatliche Repressionen gegen Oppositionelle und wirtschaftliche Not 2016 wieder Hunderttausende in die Flucht getrieben. Auch Somalia und Eritrea haben sich kaum stabilisiert: In Somalia (1 Million Flüchtlinge) marodiert und terrorisiert die islamistische Schabab-Miliz weiter das Land, in dem schon lange kaum noch staatliche Strukturen existieren. In Eritrea (459.400 Flüchtlinge) provoziert der sogenannte Nationaldienst den Exodus einer ganzen Generation. Männer werden dort gezwungen, über Jahre, teilweise über Jahrzehnte gegen einen Hungerlohn beim Militär, in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder bei Behörden zu arbeiten. Menschenrechtsorganisationen vergleichen den Dienst mit Zwangsarbeit und Sklaverei.
Zentralafrika - 537.500 Flüchtlinge allein aus der Demokratischen Republik Kongo
Afrika ist ein Kontinent vergessener Konflikte. So tobt in der Zentralafrikanischen Republik (490.900 Flüchtlinge) seit vier Jahren ein Bürgerkrieg zwischen christlichen und muslimischen Milizen, der international kaum wahrgenommen wird. In Burundi (408.100 Flüchtlinge) schwelt seit zwei Jahren eine Verfassungskrise, weil Präsident Pierre Nkurunziza nicht abtreten will. Massenproteste ließ er niederschlagen, tausende Oppositionelle verhaften. Die Opposition spricht von mehr als 3000 Todesopfern. Auch in der Demokratischen Republik Kongo ereignen sich täglich grausamste Gewalttaten; die Welt nimmt davon kaum Notiz. Im Osten des Riesenreichs, wo Regierungstruppen und Milizen um die Kontrolle über die Rohstoffvorkommen des Riesenreichs kämpfen, werden Zivilisten nicht verschont. In den vergangenen Tagen eskalierte auch ein Machtkampf um die Provinz Kasai. Präsident Joseph Kabila weigert sich, den dort traditionell ernannten Stammesführer anzuerkennen. Mindestens 1000 Menschen kamen schon ums Leben, die Zahl der Flüchtlinge hat sich im Vergleich zu 2016 inzwischen mehr als verdoppelt.
Myanmar - 490.300 Flüchtlinge
Bei den Flüchtlingen aus Myanmar handelt es sich vor allem um Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya. Sie werden in dem buddhistisch geprägten Land immer wieder Opfer von Gewalt und Verfolgung, Menschenrechtsorganisationen sprechen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Daran hat sich nicht viel geändert, seit die ehemalige Militärdiktatur demokratische Reformen eingeleitet und die frühere Oppositionspolitikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi politischen Einfluss hat: Auch sie verweigert unabhängigen Beobachtern den Zugang zu den Gebieten, in denen die Rohingya leben.
Kolumbien - 360.000 Flüchtlinge
Angesichts des jahrzehntelangen Bürgerkriegs unter Beteiligung der linksgerichteten Farc-Rebellen ist die Zahl der Menschen, die aus Kolumbien geflohen sind, mit 360 000 vergleichsweise gering. Doch Kolumbien hat gleichzeitig die weltweit höchste Zahl der Binnenvertriebenen im Land: rund 7,4 Millionen Menschen. 2016 ist diese Gruppe noch einmal um eine halbe Million Menschen angewachsen. Der nun geschlossene Friedensvertrag mit der Farc könnte die Situation allmählich entschärfen.