Partei tagt in Bochum: Wo stehen die Piraten vor ihrem Bundesparteitag?
Sie wollen nicht nur Netzpartei sein. Und sie möchten im Bund mitmischen. Am Wochenende treffen sich die Piraten zum Bundesparteitag in Bochum. Sind sie reif für die große Politik?
Die einen halten sie für eine Chaostruppe, die anderen sehen in ihr eine ernst zu nehmende politische Alternative. Wie immer man zur Piratenpartei steht – ihr Bonus als schillernder Neueinsteiger ist verbraucht, die Partei muss sich im alltäglichen politischen Geschäft bewähren. Auf ihrem Bundesparteitag in Bochum will sie die Fähigkeit dazu nachweisen.
Welchen Weg sind die Piraten in den letzten Monaten gegangen?
Einen steinigen auf jeden Fall. Dabei sah es bis zum Sommer so aus, als müssten die Piraten kaum noch etwas tun, um in den Bundestag einzuziehen. Konstant im zweistelligen Bereich lagen die Umfragewerte, der Einzug in drei Landtage glückte. Heute ist die Lage eine andere: Erst kürzlich fiel ein Abgeordneter in Nordrhein-Westfalen durch antisemitische Twitter-Beiträge auf und ruderte nur umständlich zurück. Die einstige Hoffnungsträgerin Marina Weisband lieferte sich Anfang November ein offenes Scharmützel mit dem „Spiegel“ über angeblich falsch wiedergegebene Zitate und hat sich seitdem öffentlich nicht mehr zu Wort gemeldet. Und der Bundesvorstand, den die Piraten im Frühjahr wählten, hat sich bisher vor allem durch interne Querelen ausgezeichnet.
Dabei stand ein Mann im Mittelpunkt: der Politische Geschäftsführer Johannes Ponader. Er provozierte mit einem Sandalen-Auftritt bei Jauch, mit einer Spendenaktion zu seinen Gunsten, inszenierte sein Leben als Hartz-IV-Empfänger als Lebensphilosophie und Protestaktion. Das kam nicht nur in der Öffentlichkeit schlecht an, sondern auch in der Partei. Der Vorstand wurde gedrängt, Ponader aus dem Fernsehen rauszuhalten, der wiederum wollte sich keinen Maulkorb verpassen lassen. Piraten-Chef Schlömer forderte Ponader schließlich öffentlich auf zu arbeiten, anstatt Modelle vorzustellen, die die Berufstätigkeit umgehen. Doch Konsequenzen zogen andere, beispielsweise Matthias Schrade, der noch Beisitzer im Bundesvorstand ist. Er wird wegen Ponader zurücktreten (siehe Interview). Ein weiteres Mitglied des Bundesvorstandes ist bereits zurückgetreten: Julia Schramm. Sie wurde massiv angefeindet, weil sie ihr Buch „Klick mich“ nicht zum kostenlosen Herunterladen ins Netz stellte – bis es ihr zu viel wurde. Nun will der Vorstand weitermachen, so gut es eben geht.
Ohnehin wäre eine Neuwahl in Bochum formal gar nicht möglich, eine Abwahl eines einzelnen Vorstandsmitglieds, etwa Ponader, nur über Umwege. Dafür gibt es keine ernsthaften Bestrebungen – doch der Vorstand steht unter verschärfter Beobachtung. Für Freitagabend, noch vor Beginn des Parteitags am Sonnabend, ist eine informelle Aussprache zwischen Basis und Bundesvorstand angesetzt. Man will sich Luft machen, um am Sonnabend konstruktiv mit der inhaltlichen Arbeit zu beginnen.
Was haben die Piraten auf ihrem Parteitag vor?
„Inhalte, Inhalte, Inhalte“, geben Spitzenpiraten als Losung aus: Endlich soll es einmal nicht um Köpfe gehen. Denn auch wenn die Piraten selbst immer wieder versuchen, diese Diagnose als oberflächlich abzutun: Noch immer klaffen im programmatischen Angebot der Partei entscheidende Lücken. Möglicherweise wird sich daran nur wenig ändern, denn wieder einmal scheint es, als seien den Piraten Verfahren wichtiger als Inhalte. Rund 650 Anträge zu Bundestagswahlprogramm und Grundsatzprogramm gibt es, aus zeitlichen Gründen werden wohl nicht mehr als 50 bis maximal 80 diskutiert und verabschiedet werden können. Wie also auswählen? Die Parteiführung hat vier unterschiedliche Tagesordnungen entworfen, bei denen die Anträge nach ganz verschiedenen Kriterien in eine Rangfolge gebracht wurden – mit entsprechend stark unterschiedlichen Ergebnissen. Dazu werden alternative Tagesordnungsvorschläge aus der Basis kommen. Welche Themengebiete also überhaupt diskutiert werden, weiß niemand. Strategisch wichtige Themen auf jeden Fall auf die Tagesordnung zu setzen, etwa in Form der in anderen Parteien üblichen Leitanträge – bei den Piraten undenkbar.
Eine heftige Debatte ist auch darüber zu erwarten, ob die Piraten ihre Meinungsfindungsplattform Liquid Feedback bundesweit zur ständigen Mitgliederversammlung ausbauen wollen, die verbindliche Beschlüsse fasst. In Berlin hat dies viele Anhänger, aus den südlichen Landesverbänden kommt heftiger Widerstand.
Können die Piraten den Einzug in den Bundestag schaffen?
In den kommenden zehn Monaten kann noch viel passieren. Erst einmal aber wählen die Niedersachsen einen neuen Landtag. Dort könnte sich der Abwärtstrend das erste Mal in einer echten Niederlage ausdrücken. Denn derzeit sieht es nicht so aus, als würden die Piraten den Einzug in den Landtag schaffen. Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass schon die Teilnahme an der Wahl auf der Kippe steht: Wegen formaler Fehler hatten die Piraten mehrere Landesparteitage gebraucht, um eine Landesliste aufzustellen. Am Freitag entscheidet der Landeswahlausschuss, ob am Ende alles mit rechten Dingen zuging und die Piraten antreten dürfen.
In den bundesweiten Umfragen liegen die Piraten derzeit mal knapp unter, mal knapp über der Fünfprozenthürde. Gerade auf Bundesebene aber könnten die Piraten, auch wenn sie keine Protestpartei sind, noch einmal für Protestwähler attraktiv sein. Umfragen zeigen auch, dass das zentrale Thema Transparenz für die Wähler durchaus wichtig ist. Kurioserweise könnte es passieren, dass die Piraten zwar um den Einzug zittern müssen, doch wenn sie es schaffen, gleich zum Zünglein an der Waage werden und über Regierungskonstellationen mindestens indirekt mitbestimmen.
Mehr aber ist nicht denkbar: Zu fremd sind die Piraten dem etablierten Politikbetrieb noch immer, und zu stolz sind sie auf ihre Eigenarten, als dass eine direkte Zusammenarbeit mit anderen Parteien denkbar wäre. Die Piraten sinnieren zwar durchaus öffentlich über Schnittmengen mit anderen Parteien, stoßen bei denen aber auf wenig Interesse. Ein Anstoß, die Themen Basisbeteiligung und Transparenz auf die Tagesordnung zu setzen, sind die Piraten für die Konkurrenz durchaus – mehr aber auch nicht.
Karin Christmann, Christian Tretbar
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