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Der Mauerpark im Bezirk Prenzlauer Berg in Berlin
© dpa/Gregor Fischer

Dobrindt und der Prenzlauer Berg: Wo Mami zu Hause bleibt und man sonntags in die Kirche geht

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt glaubt, der Prenzlauer Berg in Berlin sei links – wie seltsam! Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Antje Sirleschtov

Mittags um zwölf in der Hufelandstraße, am Helmholtzplatz, irgendwo im Kiez: Enddreißigerinnen schieben ihre Kinderwagen über die Chaussee oder bevölkern die Cafés. Wickeltische sind hier ein Muss, der als OL bekannte Comiczeichner Olaf Schwarzbach verdient gutes Geld: mit den immer besorgten „Müttern vom Kollwitzplatz“.

Willkommen in Prenzlauer Berg, dem wohl bürgerlichsten Teil Ost-Berlins. Ausgerechnet hier vermutet der Christsoziale Alexander Dobrindt die Keimzelle des linken Kollektivismus, von der aus die Enkel der 68iger sein Deutschland mit „Ideologie, sozialdemokratischem Etatismus und grünem Verbotismus“ überziehen. Dabei ahnt er nicht, wie falsch er damit liegt. Die Leute hier mögen seit Jahren eher links wählen. Die Milieus allerdings sind wahrscheinlich konservativer als in so manch anderem Teil Deutschlands. Nur ist dies ein bürgerlicher Konservatismus, der den herkömmlichen Definitionen nicht mehr gehorchen will und deshalb von den Politikern, ganz gleich welcher Richtung, auch nicht wirklich verstanden wird.

Dieser eher linke und zugleich auch liberale Konservatismus entzieht sich noch der parteipolitischen Zuordnung. Das macht Dobrindts Furcht vor der Hegemonie des Linken, die vom Prenzlauer Berg aus die öffentliche Debatte in Deutschland bestimme und mit einer konservativ bürgerlichen Revolution bekämpft werden müsse, so lächerlich. Auch grüne und sozialdemokratische Politik stoßen hier immer wieder auf Unverständnis, denn ihre Bekenntnisse stehen nicht selten im Widerspruch mit dem den Prenzlauer Berg beherrschenden Gesellschaftsbild.

Beginnen wir mit dem christlichen Glauben und dem Wert von Familie als zentralem Ort der gesellschaftlichen Entwicklung, beides nach tradierten Vorstellungen Merkmale urkonservativer Lebensweise. Seit Jahren freuen sich die Gemeinden im Prenzlauer Berg über Zulauf und Engagement gleichermaßen. Zahllose Zuzügler, die nach der Wende aus dem Rheinland, dem Schwäbischen oder aus Bayern hierherkamen, brachten die christlichen Familientraditionen mit.

Renaissance längst überkommen geglaubter Lebensmodelle

Tauf- und Hochzeitstermine sind seither Mangelware, die Kirchen längst Heimat gesellschaftlichen Lebens. „Wachet und betet“ stand über dem Tor der Gethsemane-Kirche, als der Menschenrechtler Peter Steudtner in türkischer Haft saß. Und die, die allabendlich hierherkamen, hatten nichts Linkskollektivistisches an sich. Ihre Kinder singen im Kirchenchor, zur Weihnacht spendet man Kuchen und Bücher. Aufgemerkt, Herr Dobrindt: Im Prenzlberg nennt man den Martinszug einen Martinszug, nicht Lichterfest. Und den Glühwein nimmt man in familiärer Begleitung auf Weihnachtsmärkten, nicht Wintermärkten, ein.

Überhaupt: die Familie in Prenzlauer Berg. Wer hier Jahrzehnte verbracht hat, beobachtet nicht selten eine Renaissance längst überkommen geglaubter Lebensmodelle. Hetzten die berufstätigen Mütter der neunziger Jahre noch abgekämpft vom Job in die Kita, gönnen sich die Familien heute ausgedehnte Pausen vom Beruf für die Erziehung. Dabei ist die klassische, heißt konservative, Aufgabenteilung von Mann und Frau die Regel. Selbstverständlich wird in Kita und Schule für gesundes Essen, ausgedehnte Naturerlebnisse und gleichzeitig den frühzeitigen Erwerb von Sprach- und Digitalkompetenzen geachtet.

Und natürlich übernehmen die Prenzlberger Verantwortung für die Welt und diejenigen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen – auf eine konservative Art und Weise. Mit Kleiderspenden, so umfangreich, dass die Annahmestellen bersten. Mit Patenschaften, damit die Flüchtlinge rasch die deutsche Lebensart und die Sprache kennenlernen. Und mit Hilfen in der Schule ebenso. Wobei mancher Schuldirektor sich nur schwer der Klagen besorgter Eltern erwehren kann, die die Ankunft der Flüchtlinge einst zwar begrüßten, sich nun aber um die Zukunftschancen ihrer eigenen Sprösslinge sorgen, wenn allzu viel Aufmerksamkeit der Lehrkräfte den Geflüchteten zuteilwird. Wie gesagt: Der Konservatismus in diesem Teil Berlins, das Bürgerliche, ist im Himmelsgestirn der deutschen Politik nur sehr schwer zu verorten.

Und weil dies ein Befund ist, der sich hier auf zahlreiche andere Bereiche des Lebens ausdehnen ließe, von der Bewahrung des Lebens und der natürlichen Ressourcen bis hin zur Erhaltung von Wohlstand, taugt der Prenzlauer Berg vielleicht doch mehr zum Ausgangsort einer Debatte über das Bürgerliche in Deutschland, als das Alexander Dobrindt wahrhaben will.

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