Wahlen in Russland: Wladimir Putins imitierte Demokratie
Die Russen wählen am Sonntag ein neues Parlament. Präsident Putin hat dabei alles unter Kontrolle. Ein Kommentar.
Wagt der Kreml ein bisschen Demokratie? Wenn an diesem Sonntag in Russland ein neues Parlament gewählt wird, sind mehr Parteien zur Wahl zugelassen als vor fünf Jahren. Die Sieben-Prozent-Hürde wurde abgeschafft, nun reichen fünf Prozent der Stimmen für den Einzug in die Staatsduma. Die Hälfte der Abgeordneten wird wieder direkt gewählt. Der umstrittene Leiter der Wahlkommission wurde abgesetzt, seine Nachfolgerin ist die frühere Menschenrechtsbeauftragte. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kreml vom Modell der „gelenkten Demokratie“ abrückt. Mit diesen öffentlichkeitswirksamen Schritten soll nur die potemkinsche Fassade einer fairen Wahl erschaffen werden.
Er hat als junger KGB-Mann die Wende in der DDR erlebt
Nur zu gut hat die politische Elite in Moskau noch den Winter 2011/2012 in Erinnerung. Nach der Parlamentswahl formierte sich erstmals eine Protestbewegung in Russland, Auslöser waren massive Wahlfälschungen. Den Kreml hat diese Bewegung nach Jahren der relativen Apathie der Bevölkerung kalt erwischt. Erinnerungen an die farbigen Revolutionen in der Ukraine und Georgien wurden wach. Aus Sicht von Wladimir Putin sind diese Proteste ein Schreckensszenario – schließlich hat er als junger KGB-Mann in der DDR erlebt, dass Bürgerproteste ein stabil scheinendes System zum Einsturz bringen können.
Umso entschlossener war die Kreml- Elite, bei dieser Wahl nichts dem Zufall zu überlassen. In den vergangenen Jahren wurde alles getan, um eine neue Protestbewegung zu verhindern. Demonstranten, die an einer unerlaubten Kundgebung teilnehmen, müssen Geldstrafen in einer Höhe befürchten, die für die meisten Russen existenzbedrohend wäre. Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, werden als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt – dahinter steckt der düstere Verdacht, mit ihrer Hilfe könne von außen ein Umsturz geplant und finanziert werden. Putin ließ sogar eine Nationalgarde gründen, die nur seinem Kommando untersteht und ausdrücklich die Erlaubnis erhielt, im Ernstfall in eine Menschenmenge zu schießen. Erst im Juni beschloss Putin überraschend, die für Dezember geplanten Wahlen um drei Monate vorzuziehen. Zeit für einen richtigen Wahlkampf blieb kaum. In den Regionen kann sich die Regierungspartei „Einiges Russland“ ohnehin auf Unterstützung von den örtlichen Machthabern verlassen. Schon jetzt ist in der Duma keine der drei anderen Parteien wirklich in der Opposition – auch das gehört zur Imitation von Demokratie. Wenn es darauf ankommt, stimmen sie mit der Regierungspartei.
Nawalnys Bruder wurde für mehrere Jahre hinter Gitter geschickt
Bei Putins Gegnern wirkt der Mord an dem Oppositionsführer Boris Nemzow bis heute nach. Nach der letzten Wahl war Nemzow einer der Wortführer der Protestbewegung. Die unausgesprochene Botschaft dieses Verbrechens: Wenn selbst ein früherer Vizepremier in Sichtweite des Kremls erschossen wird, kann sich kein Oppositioneller wirklich sicher fühlen. Andere Politiker wie der Schachweltmeister Garri Kasparow leben heute im Ausland. Diejenigen, die für die kleine, liberale Opposition antreten, werden wohl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Eine weitere Führungsfigur der Proteste, Alexej Nawalny, der Korruption in höchsten Kreisen öffentlich macht, durfte wegen einer Bewährungsstrafe nicht antreten. Auch er könnte wohl nicht mehr so sorglos agieren wie 2011: Sein Bruder wurde für mehrere Jahre hinter Gitter geschickt.
Eine neue Protestbewegung wird es nach dieser Abstimmung also nicht geben. Bei vielen Russen hat sich ohnehin der Eindruck festgesetzt, dass Wahlen für sie persönlich nichts ändern. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Beliebtheitswerte von „Einiges Russland“ seit Jahresbeginn deutlich gesunken sind. Eine ähnliche Entwicklung war auch vor den letzten Wahlen zu beobachten. Darin äußert sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage, den niedrigen Renten oder korrupten Beamten. Gleichzeitig kann sich Putin als über den Parteien stehender politischer Führer präsentieren, dessen Umfragewerte nach wie vor hoch sind.
Die Verluste für „Einiges Russland“ in den Umfragen sind längst nicht so groß, dass die Machtbasis ernsthaft gefährdet wäre. Von der Direktwahl der Hälfte der Abgeordneten wird zudem vor allem die Regierungspartei profitieren. Umso bezeichnender ist die Reaktion der Staatsmacht: Kurz vor den Wahlen wurde das Institut, das die sinkende Beliebtheit der Kreml-Partei konstatiert hatte, zum „ausländischen Agenten“ erklärt – ein Zeichen dafür, dass die Unruhe und Unsicherheit bei den Behörden groß ist. Auch die innere Stabilität des Landes ist zum großen Teil Fassade. Aus Kreml-Sicht steht die entscheidende Abstimmung erst 2018 an, wenn ein neuer – oder alter – Präsident gewählt wird. Bis dahin soll in Putins Russland für Protest kein Platz mehr sein.