Kritik an Gesundheitsminister Spahn: Wissenschaftler befürchten sinkende Impfbereitschaft
Jens Spahn fordert verpflichtende Masernimpfungen. Manche Wissenschaftler halten seinen Vorstoß für wenig hilfreich, anderen geht er nicht weit genug.
Die Impfpflicht gegen Masern, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für Kita- und Schulkinder vorgeschlagen hat, stößt auf Kritik aus Politik und Wissenschaft.
"Spahn sollte auf Überzeugung und niedrigschwellige Angebote setzen, statt auf Zwang", fordert Kordula Schulz-Asche, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Ein Impfzwang würde sich negativ auf das Impfverhalten auswirken, sagt sie und beruft sich auf das Robert-Koch-Insitut (RKI) und die Ständige Impfkommission (Stiko).
„Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte ist ganz klar für eine Impfpflicht“, sagt der Berliner Verbandssprecher Jakob Maske – allerdings für alle von der Stiko vorgeschlagenen Impfungen. Die Bereitschaft für andere Impfungen gehe zurück, sobald es eine Impfpflicht gegen eine einzelne Krankheit gibt. In Frankreich und Italien sei diese Entwicklung zu beobachten. „Ganz oder gar nicht“, fordert der Arzt mit Praxis in Schöneberg.
Eine Impfpflicht nur gegen Masern hält er auch aus technischen Gründen für schwierig: Der Impfstoff gegen Masern wird als Teil eines Dreifachimpfstoffs verabreicht. Laut RKI ist der Einzelwirkstoff in Deutschland zugelassen, wird hier aber nicht vertrieben. Wenn eine Impfpflicht für Masern besteht, Patienten aber automatisch auch gegen Mumps und Röteln immunisiert werden, seien Klagen vorprogrammiert, befürchtet Maske. Ferner zweifelt er an der Durchführbarkeit, eine Impfpflicht zu überwachen und Verstöße zu sanktionieren. „Technisch gesehen ist es Quatsch, was Herr Spahn sich da ausgedacht hat.“
Allgemeine Impfpflicht gefordert
Das RKI selbst nimmt keine Stellung zum Für und Wider einer Impfpflicht, wie eine Sprecherin auf Nachfrage mitteilt. Das Science Media Center jedoch hat Experten aus Medizin, Ethik und Politikwissenschaft um eine Einschätzung zur Impfpflicht gebeten und diese veröffentlicht.
Der Arzt und Stiko-Mitglied Ulrich Heininger spricht sich ebenfalls dafür aus, dass die Impfpflicht alle Standardimpfungen umfassen sollte. Eine allgemeine Impfpflicht hätte den Vorteil, dass Impfungen zur Normalität würden und es daher weniger Diskussion gebe. Zudem argumentiert er, dass Impflücken eher auf Gleichgültigkeit und Unwissenheit beruhen würden als auf Ablehnung. Durch verpflichtende Impfungen würden so weniger Fälle vergessen.
Information statt Zwang
Eine Impfpflicht für Kinder würde die wichtige Zielgruppe der unzureichend geimpften Erwachsenen nicht erreichen, kritisiert die Psychologin Cornelia Betsch. Das Problem liegt für sie im Informationsdefizit – 75 Prozent der unter 50-Jährigen würden nicht wissen, dass sie ihren Impfstatus überprüfen sollten. Sie spricht sich dafür aus, die Impfverfahren zu vereinfachen, um den Zugang zu erleichtern und so Versäumnissen entgegenzuwirken. Auch Betsch kritisiert eine Impfpflicht, die nur Masern betrifft. Impfkritische Personen würden eine Impfpflicht als Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit auffassen und die übrigen, weiterhin freiwilligen Impfungen in diesem Fall vermehrt ausgelassen.
In Australien habe es Hinweise darauf gegeben, dass verpflichtende Impfungen zu Gegenreaktionen führen können, sagt die Wissenschaftlerin Julie Leask. Unentschlossene Eltern könnten verprellt werden, wenn ein Impfstoff verordnet wird, andere aber nicht. Würden Impfverweigerer in ihrer Ablehnung bestärkt, könnte der Konflikt eskalieren.
Sebastian Krüger