Frauen in der Politik: Wird Saskia Esken benachteiligt?
SPD-Vorständin Klara Geywitz hat gesagt, Saskia Esken werde negativer beurteilt, weil sie eine Frau ist. Aber stimmt das? Ein Kommentar.
In einem Tagesspiegel-Interview hat die SPD-Vorständin Klara Geywitz über die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gesagt: „Weil sie eine Frau ist, wird sie in den Medien negativer beurteilt als Norbert Walter-Borjans.“ Auf Twitter schrieb ein Kommentator: „Dass Saskia #Esken eine Frau ist, müsste auch erst noch bewiesen werden“, twitterte einer. Ein anderer: „Typisch für die ganzen unfähigen Weiber die zu doof sind aber was sein wollen. Drängeln sich in die erste Reihe und wenn es auf die Nuss gibt mimi machen.“ Kommentare wie diese geben Klara Geywitz recht. Allerdings – die Sache ist komplizierter.
Politikerinnen werden ständig gefragt, wie sie Kinder und Familie unter einen Hut bekommen
Einerseits fallen einem natürlich sofort viele Belege dafür ein, dass Politikerinnen anders wahrgenommen und beurteilt werden als Männer. Ihre Kleidung wird häufiger kommentiert (was für ein Getuschel, als Julia Klöckner und Franziska Giffey bei der Kabinettsvereidigung ähnliche Kostüme trugen!) Politikerinnen werden angegriffen, wenn sie nicht stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit entsprechen (siehe Tweet oben) und auch, wenn sie es tun (Manuela Schwesig war lange die „Küstenbarbie“). Sie werden ständig gefragt, wie sie Kinder und Job schaffen (die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock etwa), männliche Politiker so gut wie nie (der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck).
Der Fall Saskia Esken zeigt, wie schwierig es ist, Sexismus und berechtigte Kritik zu trennen
Der Fall Esken aber zeigt, wie schwierig es ist, den Faktor Geschlecht im Einzelfall vom Rest zu trennen. Seit ihrem Amtsantritt hat sie viele ungeschickte bis provokante Auftritte hingelegt. Sie hat in der aufgeheizten Debatte um linksextreme Gewalt gegen Polizisten in Leipzig gesagt, es müsse geklärt werden, „ob die Einsatztaktik angemessen war“ und in einem „Spiegel“-Interview für den demokratischen Sozialismus inklusive möglicher Enteignungen plädiert (der "demokratische Sozialismus" steht zwar im Grundsatzprogramm, für ähnliche Äußerungen war auch Kevin Kühnert scharf angegriffen worden). Dass die Reaktion so heftig ausfiel, hat sicher auch etwas mit ihrer Person zu tun – in erster Linie aber wohl mit den Inhalten. Warum also Geywitz’ Intervention?
Frauen sind in Deutschland weiterhin stark unterrepräsentiert in der Politik. Der Frauenanteil im Bundestag liegt derzeit nur bei 30,9 Prozent. Europaweit ist es ähnlich. Die Gründe dafür sind vielfältig und kompliziert. Studien für Deutschland und die USA zeigen, dass Frauen, wenn sie auf dem Wahlzettel stehen, kaum Nachteile haben. In den USA gibt es sogar so etwa wie „frauensolidarisches“ Wahlverhalten – Kandidatinnen schneiden manchmal bei Wählerinnen besser ab. Aber Frauen engagieren sich in Deutschland seltener in der Lokalpolitik. Sie schrecken zurück, weil sie die politische Kultur nicht mögen, das zeigen Befragungen, und sie fühlen sich anders bewertet, weil Aussehen, Auftreten, persönliche Lebensumstände häufiger thematisiert werden. Subtiler sozialer Druck, dessen Wahrnehmung und realen Faktoren (wie Zeitbudgets) mischen sich.
Merkel, Kramp-Karrenbauer, Elizabeth Warren, Hillary Clinton werden benachteiligt - und wissen, wie man Frau-Sein zu Kapital macht
Gleichzeitig haben Frauen durchaus gelernt, ihr Frau-Sein in politisches Kapital zu verwandeln. Angela Merkel warb um weibliche Power-Frauen. Annegret Kramp-Karrenbauer sucht gelegentlich deren Nähe. Wie das sonst noch funktionieren kann, zeigt sich auch in einer aktuellen Debatte in den USA. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders soll unter vier Augen zu seiner Mitbewerberin Elizabeth Warren gesagt haben, er glaube nicht, eine Frau könne Präsidentin werden. Warren konterte bei der TV-Debatte am vergangenen Dienstag, alle Frauen auf dem Podium hätten jede einzelne Wahl, bei der sie angetreten seien, gewonnen. In einem Vorwahlkampf, in dem „electability“, Wählbarkeit, eine große Rolle spielt, war das ein Punkt für Warren. Die Demokraten hoffen, weibliche Wähler gegen den Sexisten Trump zu mobilisieren. Hillary Clinton wiederum argumentierte mit ihrem Frau-Sein mal so, mal so. Sie hatte tatsächlich mit Sexismus zu kämpfen. Trump sagte einmal: „Sie sieht nicht so aus [wie ein Präsident] und sie hat nicht die Stehkraft.“ Die Möglichkeit, als erste Frau Präsidentin der USA zu werden, gab ihrer Kampagne aber auch ein Momentum. Nach ihrer Niederlage machte sie dann wieder Sexismus dafür verantwortlich.
Geywitz hat Recht: Noch immer macht es einen riesigen Unterschied, ob ein Politiker Frau oder Mann ist. Aber Politikerinnen haben auch gelernt, ihr Frau-Sein strategisch einzusetzen: um Solidarität zu erzeugen – und um Misserfolge zu entschuldigen.