SPD-Vize Klara Geywitz kritisiert unfairen Umgang: „Saskia Esken wird negativer beurteilt, weil sie eine Frau ist“
Was hat die neue SPD-Führung mit ihrer Partei vor und welche Rolle spielen die beiden neuen Vorsitzenden? Ein Gespräch mit Parteivize Klara Geywitz.
Die Potsdamerin Klara Geywitz (43) ist seit Dezember stellvertretende Vorsitzende der SPD. Zuvor hatte die langjährige Abgeordnete im Brandenburger Landtag gemeinsam mit ihrem Partner Olaf Scholz den Mitgliederentscheid über die SPD-Führung gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verloren.
Frau Geywitz, wie lange hält die große Koalition im Bund noch, wenn es nach der SPD geht?
Die nächsten Bundestagswahlen sind für Herbst 2021 geplant. Die Gesellschaft steht vor neuen Herausforderungen, die die große Koalition angehen muss. Dazu gehören eine deutliche Erhöhung der Investitionen und des Mindestlohns. Darüber werden wir nun mit CDU und CSU verhandeln.
Die neuen Vorsitzenden, vor allem Saskia Esken, hatten vor ihrer Wahl die große Koalition scharf kritisiert. Gilt das nun nicht mehr?
Der Parteitag hat mit den Stimmen der neuen Vorsitzenden festgestellt, dass die Bilanz der SPD in der großen Koalition gut ist. Viele sozialdemokratische Projekte wurden auf den Weg gebracht, etwa mehr Unterstützung für Familien, höheres Bafög oder die Mindestausbildungsvergütung für Azubis. Es ist vollkommen richtig, dass die beiden Vorsitzenden auch immer darauf hinweisen, dass wir weitergehende Ziele haben, die mit der Union nicht zu machen sind, die also über dieses Regierungsbündnis hinausreichen.
Nach jüngsten Umfragen kann die SPD unter den neuen Vorsitzenden nicht zulegen. Was läuft da schief?
Niemand hatte erwartet, dass sich die ganze Welt ändert, weil die SPD-Mitglieder zwei neue Vorsitzende gewählt haben. Die Probleme der SPD sind nicht von einem Tag auf den anderen entstanden. Allen war klar, dass es dauern wird, bis wir wieder zu alter Stärke finden. Wir sind aber nun inhaltlich gut aufgestellt.
Wer ist denn eigentlich deutscher Finanzminister – Olaf Scholz oder Norbert Walter-Borjans?
Olaf Scholz.
Schon klar, aber Forderungen wie höhere Rentenbeiträge für Gutverdienende, eine neue Steuer auf den Wertzuwachs von Grundstücken oder die Streichung aller Ausnahmen für Firmenerben hört man nur von Walter-Borjans, nicht von Scholz…
Das sind Beschlüsse des Parteitags, auf die der Vorsitzende verweist. Die SPD-Mitglieder haben Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans doch gerade gewählt, weil sie wollen, dass die neuen Vorsitzenden unabhängiger von der Regierung agieren.
Wie will die neue SPD-Führung die Partei wieder nach vorne bringen?
Inhaltlich geht es in diesem Jahr um mehr Investitionen, einen besseren Klimaschutz, gute Arbeit und demokratische Digitalisierung. Ich meine, man sollte dem neuen Team an der Spitze der SPD hundert Tage einräumen, in denen sie sich einarbeiten. Die Häme, mit der manche Journalisten den neuen Vorsitzenden begegnen, finde ich befremdlich.
Woher, glauben Sie, kommt diese Häme?
Als Frau in der Politik reagiere ich sensibel darauf, wenn Frauen mit anderen Maßstäben gemessen werden als Männer. Ich beobachte, dass vor allem an Saskia Esken sehr harte und hämische Kritik geübt wird. Weil sie eine Frau ist, wird sie in den Medien negativer beurteilt als Norbert Walter-Borjans. Das ist unfair.
Im Bundestag wurde am Donnerstag ein Gruppenantrag „Mehr Frauen in den Deutschen Bundestag“ verhandelt. Sind Sie dafür, dass der Bundestag weiblicher wird – und ebenso viele Frauen wie Männer ins nationale deutsche Parlament einziehen?
Es ist doch sehr verwunderlich, dass einhundert Jahr nach der Einführung des Frauenwahlrechts der Anteil der Frauen in deutschen Parlamenten immer noch wesentlich geringer ist als in der Bevölkerung. Der Anteil sinkt sogar. Viele andere europäische Länder haben Gesetze, die da gegensteuern. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass wir in Brandenburg ein Parité-Gesetz mit quotierten Wahllisten beschlossen haben. Aber es gibt auch andere Modelle, die Frauen fördern. Leider sperrt sich die Union und ist allenfalls bereit, unverbindliche Empfehlungen auszusprechen – geholfen ist damit aber niemandem.
Der Ministerpräsident Ihres Bundeslandes, Dietmar Woidke, kann sich eine große Koalition im Bund auch nach der nächsten regulären Wahl im Jahr 2021 vorstellen. Sie auch?
Demokratische Parteien müssen immer in der Lage sein, miteinander eine Regierung zu bilden. Deshalb ist die Union theoretisch auch nach dem Herbst 2021 ein Partner. Ich glaube aber nicht, dass die Union dann praktisch ein Koalitionspartner für die SPD sein kann. Viele wichtige Projekte können wir mit der Union nicht durchsetzen. Die großen Herausforderungen, die vor uns liegen, sind nur mit einer progressiveren, dynamischeren Regierung als einer großen Koalition zu bewältigen.