Joe Bidens Billionen-Programme: Wird Amerika plötzlich links?
Revolutionärer Bruch mit US-Traditionen: Umbau des Staats und der Gesellschaft von oben statt von unten, höhere Steuern und viel höhere Schulden. Ein Kommentar.
Joe Bidens „New Deal“ ist eine kleine Revolution für die USA. Ihre Demokratie unterschied sich bisher von der europäischen: durch weniger Staat – also auch weniger Sozialstaat -, einen fast religiös anmutenden Glauben an die Privatinitiative der Bürger und niedrigere Steuersätze für Unternehmen und Reiche.
Bidens Regierungsprogramm, das er in der Nacht zu Donnerstag im Kongress ausbreitete, markiert einen radikalen Bruch mit diesen Traditionen. Vor allem im Vergleich mit Donald Trump.
Der hatte den Steuersatz für Unternehmensgewinne von 35 auf 21 Prozent gesenkt. Und als Corona das Land in eine Rezession stürzte und staatliche Hilfsprogramme auch in den USA erzwang, floss unter ihm der Großteil an Konzerne und nur ein geringer an notleidende Bürger.
Biden ändert den Kurs drastisch: viel mehr Staat, höhere Steuern und eine explosionsartige Vermehrung der Schulden. Auf die Corona-Rezession antwortet er mit dreifachen Konjunkturprogrammen, die nun stärker den Bürgern und weniger den Konzernen zugute kommen. Sie übertreffen die Coronahilfen in Europa – das Amerikaner doch gern als „sozialistisch“ verspotten.
Drei Megaprogramme, Kosten rund 6 Billionen Dollar
Mitte März hatte der Präsident Coronahilfen im Wert von 1,9 Billionen Dollar vom Kongress verabschieden lassen. Kurz darauf stellte er Pläne zur Verbesserung der Infrastruktur im Wert von zwei Billionen vor.
Er verpackte sie als Arbeitsbeschaffungsprogramm, mit dem er Straßen, Brücken, Schulen modernisieren möchte. Diese Initiative stellte er bewusst in einem Gewerkschaftshaus in Pittsburgh vor, früher ein Zentrum der Stahlindustrie.
In der Rede vor dem Kongress folgte der dritte Teil des Umbaus von oben: der "American Family Plan", ein Sozialpaket in der Größenordnung von weiteren 1,8 Billionen Dollar.
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]
Was für eine radikale Verschiebung der Rolle des Staats Biden vornimmt, sticht noch klarer hervor, wenn man das traditionelle Finanzgebaren der USA in den Blick nimmt.
Die USA geben zwar seit Jahren unter demokratischen wie unter republikanischen Präsidenten deutlich mehr Geld aus als sie einnehmen. 2020 standen Steuereinnahmen von rund 3,5 Billionen Dollar Ausgaben von rund 4,5 Billionen Dollar gegenüber.
Biden aber packt auf das reguläre Budget die drei Sonderprogramme im Wert von annähernd sechs Billionen Dollar obendrauf. Die Steuererhöhungen, die er für Unternehmen und Superreiche plant, werden das wohl kaum finanzieren.
Der Staats soll's richten - mit Roosevelt als Vorbild
Das führt in der Summe zur Frage: Wird Amerika jetzt sozialistisch?
Der Staat soll's richten, nicht die Privatwirtschaft: Das erinnert an Franklin D. Roosevelt, auch er ein Demokrat. Mit dem „New Deal“ holte er das Land aus der Weltwirtschaftskrise und führte „Social Security“ ein: eine Grundsicherung. Die USA blieben aber auch unter ihm ein kapitalistisches Land.
Ändert sich das jetzt unter Biden? Teils ja, teils nein. Die Ausweitung der Zuständigkeit des Staats ist revolutionär. Bei der Finanzierung hingegen verlässt ihn der Mut. Bidens Steuererhöhungen sind moderat.
Unternehmen sollen 28 Prozent bezahlen, mehr als unter Trump, aber weniger als unter Obama. Und deutlich weniger als in Deutschland. Die Reichensteuer beschränkt sich auf sehr wenige Superreiche. Mehr traut sich Biden auch da nicht. Statt dessen wächst der Schuldenberg.
Bidens „New Deal“ macht die USA ein Stück weit sozialer und europäischer. Sozialistisch werden sie nicht, ja nicht einmal sozialdemokratisch im europäischen Verständnis.