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Bundeskanzler Olaf Scholz empfing am Montagabend Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, samt Fototermin vor dem Brandenburger Tor.
© Michael Kappeler/dpa
Update

Scholz empfängt Macron in Berlin: „Wir wollen einen Waffenstillstand – und zwar so schnell wie möglich“

Im Mittelpunkt des Treffens zwischen Kanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron steht der Ukraine-Krieg. Sie stellen Kiew eine engere EU-Anbindung in Aussicht.

Zumindest etwas atmen sie im Kanzleramt auf, wenngleich alles ungewiss bleibt. „Wenn man es abgleicht mit den Befürchtungen, muss man konstatieren, dass es keine weitere Eskalation gegeben hat“, heißt es dort mit Blick auf die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum „Tag des Sieges“. Keine offizielle Kriegserklärung, keine Generalmobilmachung, keine neuen Atomdrohungen.

Es sei wichtig, dass es mit Putins Rede zu keiner weiteren Verschärfung gekommen sei, „jedenfalls was die Rhetorik betrifft“, sagt Kanzler Olaf Scholz (SPD) denn auch am Montagabend im Kanzleramt während eines Treffens mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Das Pariser Horrorszenario blieb dem Kanzler erspart

Nach der Wiederwahl Macrons ist dem Kanzler das Horror-Szenario der Rechtsradikalen Marine Le Pen im Elysée-Palast erspart geblieben, das hätte alles noch komplizierter und gefährlicher gemacht. Scholz hatte Macron zu dem Arbeitsessen ins Kanzleramt eingeladen. Der Besuch ist ein besonderes Zeichen. Denn es ist in Frankreich keineswegs ein ungeschriebenes Gesetz, dass auch für einen wiedergewählten Präsidenten die erste Auslandsreise nach Deutschland führen muss.

Dennoch entschloss sich Macron dazu - nicht zuletzt deshalb, weil er in Berlin einen entscheidenden Partner für seine Projekte einer europäischen Energie- und Verteidigungspolitik sieht. Durch den Krieg sind sie noch dringlicher geworden. Während das Luftkampfsystem FCAS von Le Pen beerdigt worden wäre, wollen Scholz und Macron das europäische Projekt nun weiter vorantreiben.

Ab 2040 soll FCAS (Future Combat Air System) einsetzbar sein. Das Rüstungsprojekt soll nicht nur einen hochmodernen Kampfflieger umfassen, sondern auch Drohnen und Satelliten steuern. Der französische Flugzeugbauer Dassault ist mit Airbus dabei federführend. Ein weiteres großes Projekt ist die Entwicklung der Eurodrohne. Die türkischen Bayraktar-Drohnen im Besitz der Ukraine zeigen im aktuellen Krieg, welche strategische Bedeutung eine gute Drohnenausstattung bei der modernen Kriegsführung haben kann.

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Im Mittelpunkt des Treffens zwischen Scholz und Macron steht indes die Frage, wie die Ukraine weiter unterstützt werden kann. „Wir wollen einen Waffenstillstand – und zwar so schnell wie möglich“, sagt Macron. Um ihren Schulterschluss auch nach außen zu dokumentieren, gehen Scholz und Macron anschließend am Europatag gemeinsam zum in den Ukraine-Farben beleuchteten Brandenburger Tor. Auch eine engere EU-Anbindung stellen sie Kiew in Aussicht.

Am Abend vor seiner Begegnung mit dem französischen Staatschef hatten 13 Millionen Menschen die TV-Ansprache des Kanzlers bei RTL, ARD und ZDF gesehen. Es war eine auch nach innen gerichtete Rede, die Scholz‘ Kurs, einen Kriegseintritt der Nato-Staaten auf jeden Fall verhindern zu wollen, noch einmal einordnete.

Denn vieles war zuletzt in der Debatte durcheinandergeraten. So hatte Scholz seine Warnung vor einem dritten Weltkrieg, sein Ziel, dass es zu keinem Atomkrieg kommen darf, zwar auch im Kontext schwerer Waffenlieferungen geäußert - aber er nannte in der entsprechenden Passage in einem „Spiegel“-Interview explizit weitergehende Maßnahmen wie das Durchsetzen einer Flugverbotszone als Gefahr für eine unkontrollierte Eskalation.

Zwischen Solidarität mit der Ukraine und der Sicherheit Deutschlands

Für Scholz geht es bei der Wanderung auf einem schmalen Grat einerseits um maximale Solidarität mit der angegriffenen Ukraine, zum anderen um „die Sicherheit unseres Landes und unseres Bündnisses“. Der Aufgabe, das miteinander in Einklang zu bringen, stelle er sich Tag für Tag, sagte er in der Ansprache. Und: Angst dürfe die politischen Entscheidungsträger nicht lähmen. Aber wer genau zugehört hat, versteht nun das Bremsen an einigen Stellen vielleicht besser.

Das Presseecho finden sie im Kanzleramt erwartbar. In der veröffentlichen Meinung gebe es gerade sehr viel Selbstgewissheit und sehr wenig Zweifel, wird angemerkt. Viel Schwarz und Weiß, viele selbsternannte Waffenexperten und auch Vereinfacher. Die öffentliche Meinung sei mitunter ein wenig anders, gerade bei der Nachkriegsgeneration.

Scholz: Niemandem ist geholfen, wenn hier die Lichter ausgehen

Scholz betonte ähnlich wie in seiner TV-Ansprache am Montag beim DGB-Bundeskongress, dass man bei weiteren Schritten gegen Russland nichts tun dürfe, das Deutschland mehr schade als Russland. „Ich muss hier niemandem sagen, was etwa ein sofortiger Stopp von Gas für die Chemie-, Stahl- oder Metallindustrie bedeuten würde. Niemandem ist damit geholfen, wenn hier die Lichter ausgehen, uns nicht und der Ukraine auch nicht“, so Scholz.

Er zeigte sich besorgt, dass angesichts des Krieges Russlands bei einer Umfrage, ob man lieber in der Zukunft oder in der Vergangenheit leben würden, die Mehrheit in Deutschland die Vergangenheit bevorzuge. „Und zwar nicht nur bei den Älteren, sondern auch in der Generation zwischen 18 und 34 Jahren.“ Demnach habe es früher mehr Gemeinschaft und Zusammenhalt gegeben, auch mehr Sicherheit. Das sei auch Aufgabe der Politik, dieses Gefühl zu ändern.

Nach den jüngsten Entscheidungen zur Lieferung auch von Gepard-Panzern und Panzerhaubitzen, die helfen soll, dass Russland den Krieg nicht gewinnt, forciert Scholz aber auch die diplomatischen Bemühungen - im Fokus stehen dabei die von ihm ausgemachten Schlüsselländer, die auf Putin anders als der Westen einwirken könnten.

Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Bundeskanzleramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Bundeskanzleramt.
© Michael Kappeler/dpa

Deshalb hat Scholz am Montag eine Stunde mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping per Videoschalte gesprochen. Xi Jinping hält noch seine Hand über Putin. Es ging bei dem Gespräch mit dem chinesischen Staatschef auch um die Frage, wie eine globale Nahrungskrise verhindert werden kann, wenn die Getreideproduktion in der Ukraine ausbleibt.

Zudem hat Scholz mit Südafrika und Indien zwei Staaten zum G7-Gipfel nach Elmau vom 26. bis 28. Juni eingeladen, die den russischen Angriffskrieg nicht verurteilt haben. Anfang März hatten 141 Länder Russlands Aggression in der UN-Generalversammlung verurteilt. 35 hatten sich enthalten, darunter Indien und Südafrika, vier mit Russland dagegen gestimmt. Das Kanzleramt ist derzeit sehr bemüht, diese großen Demokratien mehr auf die Seite des Westens zu ziehen – in dem Wissen, dass gerade eine neue, unübersichtliche Weltordnung im Entstehen ist.

Mit Putin beim G20-Gipfel an einem Tisch?

Bei allem Eigenlob für die Geschlossenheit des Westens sehen sie auch im Kanzleramt nüchtern, dass die Länder, die den Krieg nicht verurteilt haben, fast 50 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Berlin wie Paris treibt längst die Frage um, ob man sich im Herbst beim G20-Gipfel auf Bali mit Putin an einen Tisch setzen kann. Etliche G20-Länder hätten einen Ausschluss Russlands abgelehnt, eine solche Entscheidung müsse aber im Konsens getroffen werden, betont Scholz' Staatssekretär Jörg Kukies. Man werde aber sicherstellen, dass die russische Aggression im G20-Rahmen ausreichend adressiert werde, sagte Kukies zuletzt bei einer Veranstaltung des American Council of Germany.

Mit Blick auf Scholz' Fernsehansprache heißt es im Elysée-Palast, man informiere sich vorab stets gegenseitig, um Überraschungen zu vermeiden. Auch der Kanzler macht gebetmühlenartig deutlich, dass er sich mit allen in EU und Nato eng abstimme, und es auch beim Waffenthema keine deutschen Alleingänge oder Sonderwege gebe.

In Berlin hatten einige nach den rumpeligen letzten Wochen darauf gesetzt, dass Macron und Scholz nach dem Treffen in Berlin gemeinsam nach Kiew aufbrechen könnten. Als Signal eines führungsstarken EU-Tandems in Zeiten von Krieg und Frieden - Macron hat die EU-Ratspräsidentschaft inne, Scholz die G7-Präsidentschaft. Im Elysée-Palast hieß es aber, dass es nach gegenwärtigem Stand keine solchen Planungen gebe. Aus dem Scholz-Lager hieß es zur Frage, ob beide kurzfristig per Nachtzug nach Kiew reisen könnten: „Ausgeschlossen“.

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