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Schülerinnen in Lagos protestieren. Die Proteste wegen der Entführung von 300 Mädchen im Nordosten des Landes haben inzwischen das ganze Land erfasst.
© AFP

Nigeria: „Wir werden die Mädchen rausholen“

Nigerias Präsident Goodluck Jonathan gerät wegen des Entführungsdramas unter Druck – will aber lieber über Wirtschaft reden Inzwischen gibt es im ganzen Land Proteste.

1500 Tote in den ersten drei Monaten des Jahres haben nicht ausgereicht, um die Aufmerksamkeit der nigerianischen und schließlich der internationalen Öffentlichkeit auf das nun schon Jahre währende Drama im Nordosten des westafrikanischen Landes zu lenken. Noch vor drei Wochen wäre die Meldung, dass bei einem erneuten Angriff der Islamistengruppe Boko Haram („Westliche Bildung ist verboten“) mehr als 100 Menschen nahe der Grenze zu Kamerun getötet worden sind, allenfalls eine Kurzmeldung wert gewesen. Doch seit der Protest gegen die Entführung von rund 300 Schulmädchen durch die islamistische Sekte täglich wächst, werden solche Nachrichten wieder wahrgenommen.Wie Augenzeugen und der umstrittene Senator Ahmed Zannah dem Sender BBC berichteten, verübten Kämpfer der extremistischen Gruppe mehrere Angriffe nahe der Stadt Gamboru Ngala. Sie sollen auch Nahrung und Motorräder geraubt haben.

Nachdem Boko Haram am 14. April 300 Schulmädchen aus ihren Schlafräumen in Chibok entführt hatte, passierte tagelang erst einmal gar nichts. Schon zuvor hatten Kämpfer von Boko Haram mehrfach Schulen angegriffen, weshalb die meisten Schulen im Bundesstaat Borno geschlossen sind. Die Mädchen im Alter von 16 bis 18 Jahren waren nur zurückgekehrt, um ihr Abschlussexamen zu machen. Schon vor mehr als einem Jahr hat der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan über drei nordöstliche Bundesstaaten den Ausnahmezustand verhängt.

Am Mittwoch hat der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan den chinesischen Premierminister Le Keqiang in der Hauptstadt Abuja empfangen. Le ist mit seiner Frau Cheng Hong angereist. Das Foto zeigt sie im Gespräch mit Patience Jonathan.
Am Mittwoch hat der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan den chinesischen Premierminister Le Keqiang in der Hauptstadt Abuja empfangen. Le ist mit seiner Frau Cheng Hong angereist. Das Foto zeigt sie im Gespräch mit Patience Jonathan.
© dpa

Dass das Militär offenbar nicht weiß, wo die Mädchen sind – mit hoher Wahrscheinlichkeit sind sie in kleinen Gruppen im Nordosten Nigerias und womöglich auch in den angrenzenden Ländern Kamerun und Tschad verteilt worden –, empört seit einer guten Woche die nigerianische Öffentlichkeit. Eine Kampagne im Kurznachrichtendienst Twitter #BringBackOurGirls (Bringt unsere Mädchen zurück) hat schnell Fahrt aufgenommen. Täglich laufen tausende Nachrichten mit diesem Suchbegriff ein – zunächst nur in Nigeria, inzwischen aus aller Welt. Der amerikanische Sender CNN hat eine Reporterin nach Nigeria geschickt. Und seit Mittwoch ist die Hauptstadt Abuja voll mit Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums. Neben afrikanischen Staats- und Regierungschefs, unter ihnen auch der chinesiche Premier Le Keqiang sind auch Manager wichtiger Unternehmen und Repräsentanten von internationalen Nichtregierungsorganisationen angereist, um über „soziale Inklusion“ zu diskutieren. Diese doppelte Aufmerksamkeit auf Nigeria hat die Regierung in Abuja stark unter Druck gesetzt.

Am Sonntag hat sich Goodluck Jonathan erstmals öffentlich zu den entführten Mädchen geäußert. In einer im Fernsehen übertragenen Talkrunde gab er sich merkwürdig unbeeindruckt und sagte: „Lassen Sie mich den Eltern versichern, dass wir ihre Töchter rausholen werden.“ Zudem bat er um Hilfe bei der Suche und Rettung der Mädchen. Am selben Tag traf sich seine Frau Patience mit den Frauen, die seit Tagen die Demonstrationen in Abuja organisieren. Kaum hatte eine der Initiatorinnen, Naomi Matah Nyadar, die Präsidentenvilla verlassen, wurde sie verhaftet und erst einen Tag später wieder freigelassen. Patience Jonathan beteuerte später in einem tränenreichen Fernsehauftritt, sie sei daran nicht schuld gewesen, ließ aber zugleich öffentlich erklären: „Sie spielen politische Spielchen. Nutzen Sie nicht Schulkinder und Frauen für Demonstrationen aus. Lassen Sie das in Borno, lassen Sie es dort enden!“

Der Auftritt befeuerte den Protest eher noch. Am Dienstag und Mittwoch fanden in vielen größeren Städten Nigerias Demonstrationen aus Solidarität mit den Eltern der Mädchen statt. Am Dienstag war bekannt geworden, dass Boko Haram weitere acht Mädchen aus einem Dorf entführt hat. Und auch der internationale Druck lässt nicht nach. Ein Präsidentensprecher sah sich am Mittwoch genötigt, dem Sender CNN zu sagen: „Wir haben eine Menge gemacht, aber wir sprechen nicht darüber. Wir sind keine Amerikaner.“ Die USA haben derweil angekündigt, eine Delegation nach Nigeria zu schicken, der auch Militärs angehören sollen, um die nigerianische Polizei und die Armee zu unterstützen. Darunter sollen auch Experten für „Verhandlungen mit Entführern“ sein, sagte die amerikanische Außenamtssprecherin Jen Psaki.

Die ehemalige australische Premierministerin Julia Gillard, die seit diesem Jahr den Aufsichtsrat der Globalen Partnerschaft für Bildung (GPE) führt, sagte dem Tagesspiegel: „Es bricht einem das Herz, die Eltern leiden zu sehen.“ Sie verurteilte die Tat und sagte: „Es darf nicht sein, dass Mädchen ins Visier genommen werden, weil sie ausgebildet werden.“ Sie hoffe, dass es den nigerianischen Sicherheitskräften gelinge, die Mädchen zu finden, fügte sie hinzu. Die nigerianische Onlinezeitung „Premium Times“ zitiert eine Bildungsaktivistin mit den Worten: „Das wird mindestens zehn Jahre dauern, bis die Eltern im Nordosten wieder Mädchen in die Schule schicken.“

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