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Verzweifelte Väter der mutmaßlich von Boko Haram entführten Mädchen erhoffen sich vom Militär keine Hilfe. Sie haben angefangen, auf eigene Faust zu suchen.
© Reuters

Nigeria: Öl, Terror und eine Wahl

Nigeria lebt nun schon seit vier Jahren mit dem Terror der islamistischen Sekte Boko Haram. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres sind 1500 Menschen durch Terroranschläge oder Gegenoffensiven der Armee getötet worden.

Elf Tage ist es her, dass im nordöstlichen Bundesstaat Borno in Nigeria 230 Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren aus einer höheren Schule entführt worden sind. 43 von ihnen ist es gelungen zu flüchten, die anderen werden vermutlich im Sambisa-Wald nahe der Grenze zu Kamerun festgehalten. Am gleichen Tag kamen bei einem Anschlag auf eine Busstation in der Hauptstadt Abuja mindestens 70 Menschen ums Leben, in den Tagen zuvor hatten Angreifer mehrere Dörfer angegriffen und mindestens 200 Menschen getötet. Die Taten gehen wohl auf das Konto der islamistischen Sekte Boko Haram. Und die meisten ereigneten sich in einer Region, in der seit einem Jahr der Notstand ausgerufen und das Militär mit Sondervollmachten ausgestattet ist. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres sind bei Terrorangriffen und Anti-Terroraktionen des Militärs nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International 1500 Menschen getötet worden.

Nigerias Präsident Goodluck Jonathan hat im Mai 2013 den Ausnahmezustand über die drei nordöstlichen Provinzen Borno, Yobe und Adamawa verhängt. Die Gewalt dort nahm aber nicht ab sondern weiter zu. Im kommenden Jahr wird in Nigeria gewählt. Es wird erwartet, dass Jonathan wieder antreten wird.
Nigerias Präsident Goodluck Jonathan hat im Mai 2013 den Ausnahmezustand über die drei nordöstlichen Provinzen Borno, Yobe und Adamawa verhängt. Die Gewalt dort nahm aber nicht ab sondern weiter zu. Im kommenden Jahr wird in Nigeria gewählt. Es wird erwartet, dass Jonathan wieder antreten wird.
© dpa

Man stelle sich diese Nachrichten in Deutschland vor. Nach elf Tagen hätten Fernsehsender längst alle Eltern aufgespürt, die Namen der Mädchen wären öffentliches Allgemeingut, und der Druck auf die Polizei wäre so hoch, dass selbst die Nachrichten über die sich weiter zuspitzende Lage in der Ukraine in die zweite Reihe verbannt würden. Aber dies ist Nigeria. Das Ausland interessiert sich nicht besonders für das bevölkerungsreichste Land Afrikas, und wenn, dann doch lieber für „gute Nachrichten“, wie die, dass Nigerias Wirtschaft durch eine Neuberechnung der Statistikbehörde die südafrikanische an Größe überholt habe.

Zehn Tage nach der Entführung von 230 Mädchen aus einer öffentlichen Sekundarschule besuchte der Gouverneur die Eltern. Diese Mütter befürchten das schlimmste für ihre Töchter.
Zehn Tage nach der Entführung von 230 Mädchen aus einer öffentlichen Sekundarschule besuchte der Gouverneur die Eltern. Diese Mütter befürchten das schlimmste für ihre Töchter.
© Reuters

Aber selbst in den nigerianischen Medien haben die Mädchen keine Namen. Dort wurde zunächst sogar die haltlose Behauptung der Armee verbreitet, es seien höchstens 80 Mädchen entführt worden, und bis auf acht seien alle befreit. Es war die Schulleiterin der staatlichen Sekundarschule in Chibok, die dem britischen Sender BBC sagte, wie die Lage wirklich ist: „Nur unsere Zahlen sind richtig, denn die basieren auf dem Register der Schule“, sagte Asabe Kwambura. Und dann fügte sie noch hinzu, dass keines der Mädchen, das entkommen konnte, „vom Militär befreit wurde“.

Was tut der Westen? Feiert die Wirtschaft und schweigt

Inzwischen berichten die nigerianischen Medien routiniert über neue Kämpfe zwischen Boko Haram und dem Militär. In der Nacht zum Samstag sollen dabei 40 „Terroristen“ und vier Soldaten getötet worden sein. An eine Befreiung der Mädchen glaubt in Nigeria niemand, und niemand will die Geschichten der verzweifelten Eltern hören, die inzwischen auf eigene Faust den Sambisa-Wald absuchen. Die Nigerianer leben seit vier Jahren mit den Terroranschlägen von Boko Haram und den nicht minder blutigen Gegenschlägen des Militärs. Sie sind abgestumpft, und sie haben Angst vor Boko Haram.

Und was tut die Regierung? Die beschäftigt sich mit ihrer Wiederwahl 2015. Die Opposition versucht derweil, den Terror politisch zu nutzen, um die Regierung zu stürzen. Und was tun die westlichen Ölkunden und Entwicklungspartner? Sie schmieden neue wirtschaftliche Partnerschaften – und stellen keine Fragen. Nicht einmal 190 entführte Mädchen, die als Dienstmädchen, Sexsklavinnen und im schlimmsten Fall als künftige Boko-Haram-Kämpferinnen enden werden, können diesen politischen Tiefschlaf durchdringen. Armes Nigeria.

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