Kampf um Afrin in Syrien: „Wir trauen auch Assad nicht“
Syriens Kurden könnten im Kampf gegen die Türkei auf Damaskus angewiesen sein. Dabei bekämpft auch Assad die kurdische Selbstbestimmung in Rojava.
Während türkische Truppen ihre Angriffe auf das nordsyrische Afrin verstärken, fordert die dort regierenden Kurden die Machthaber in Damaskus auf, die türkisch-syrische Grenze zu verteidigen. „Wir verhandeln dazu indirekt, Russland vermittelt zwischen der Verwaltung in Afrin und Damaskus“, sagt Salih Muslim am Montag in Berlin. „Aber eine Vereinbarung mit der Regierung von Baschar al Assad gibt es derzeit nicht.“ Muslim gehört zur Kurdenpartei PYD und fungiert als De-facto-Außenminister der „Demokratischen Konföderation Nordsyrien“.
Die Rojava genannte Autonomiezone hat im Syrienkrieg sowohl islamistische und protürkische Oppositionelle als auch Regierungstruppen bekämpft. Die säkularen Kurden wurden lange Zeit von den USA unterstützt und von Russland – Assads Schutzmacht – geduldet.
Nun könnten die Kurden und mit ihnen verbündete christliche wie muslimische Araber sogar auf Assad angewiesen sein. Keine Großmacht steht ihnen bei. Russland verlangt auf Wunsch aus Damaskus, dass die PYD-Miliz YPG ihre Waffen an die Regime-Truppen abgibt. „Das tun wir nicht“, betont Muslim. „Wir trauen ihnen nicht.“ Die Kurden sehen nicht nur im türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan eine Gefahr, sondern auch in Assad. „Für uns macht es keinen Unterschied, ob wir von der Türkei unterdrückt werden oder vom Regime in Damaskus. Assad will ganz Syrien – wir aber akzeptieren das Vorkriegssystem nicht.“
Kurden: Westen nimmt Rücksicht auf Nato-Land Türkei
Syrischen Staatsmedien zufolge fuhren Regierungstruppen am Montag trotzdem nach Afrin. Die meisten Kurden wollten aber Demokratie und Föderalismus, sagt Muslim, also keine Aufgabe ihrer Autonomie und alle Minderheiten repräsentierenden Gemeinderäte in Rojava. Er hoffe zwar auf Hilfe der USA und der Europäer im Konflikt mit der Türkei. Der Westen sei jedoch still, womöglich aus Rücksicht auf Geschäfte mit dem Nato-Partner Türkei. Die syrisch-kurdische PYD gilt als Schwesterpartei der türkisch-kurdischen PKK, die auch in Deutschland verboten ist und in der Türkei einen bewaffneten Guerillakampf führt. Salih Muslim steht auf der Liste der „meistgesuchten Terroristen“ der Türkei.
Die mögliche Wende im Konflikt um Afrin wirft auch ein Schlaglicht auf zwei Protagonisten des Syrienkriegs. Erdogan und Assad verbindet seit Jahren ein ambivalentes, wenn nicht sogar widersprüchliches Verhältnis. Vor Beginn des Aufstands gegen den syrischen Herrscher waren die beiden Präsidenten so etwas wie Männerfreunde. Aber Assad setzte 2011 alles daran, die Opposition mit Gewalt zu unterdrücken. Sein anfänglicher Reformeifer war verflogen – zum Unmut der Führung in Ankara. Erdogan forderte als einer der ersten Stadtchefs den Sturz des syrischen Herrschers und rüstete dessen islamistische Gegner aus.
Nicht zuletzt, weil sich Erdogan als Schutzpatron der sunnitischen Muslime inszeniert, gegen die Assads alawitisch-dominiertes Regime wiederum seine Truppen aufmarschieren ließ. Mit der Zeit wurde dem türkischen Präsidenten klar, dass sein Amtskollege nicht ohne Weiteres zu stürzen war. Und es gab ja noch den „Islamischen Staat“ als gemeinsame Bedrohung sowie die außenpolitische Isolation der Türkei. Also schwenkte Ankara auf Wiederannäherung um: Erdogans Premier Binali Yildirim erklärte Mitte 2016, er sei sicher, man werde zu „normalen Beziehungen“ mit dem Nachbarn zurückkehren. „Stabilität“ lautete damals das Zauberwort.
Einigen sich Erdogan und Assad noch?
Doch rasch zeigte sich: Es gab keinen nachhaltigen türkischen Kurswechsel. Wohl auch, weil Assad nach Ankaras Lesart den syrischen Kurden zu viel Autonomie ließ. Nun will Erdogan in seinem Anti-Kurden-Kampf Fakten schaffen. Dafür scheint er eine direkte Konfrontation mit Assad in Kauf zu nehmen.
Andererseits könnte Erdogan wohl gut damit leben, wenn Assad die kurdische Regionalverwaltung unter Kontrolle bekäme. Der Einmarsch in Afrin könnte die Machthaber in Damaskus nun genau dazu zwingen. Allein kann die Türkei die Kurden jedenfalls kaum besiegen. Zu groß ist dabei auch das Risiko, einen Kurdenaufstand in der Türkei selbst zu provozieren. Und der am 20. Januar gestartete Einmarsch im vergleichsweisen kleinen Afrin kommt nur mühsam voran – Ankara hat den Widerstand unterschätzt.
Für die AKP-Regierung ist schon der sich in den nichtkurdischen Gebieten Syriens abzeichnende Sieg Assads ein Rückschlag. Die von Erdogan unterstützten Milizen, die nun nach Afrin vorstoßen, hatten sich aus anderen Teilen Syriens zurückziehen müssen. Dazu noch einen kurdischen De-facto-Staat an der eigenen Südgrenze zu dulden, käme einer kompletten Niederlage Ankaras gleich.