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Es sei "absurd", dass derzeit in der EU so viel über Posten geredet werde, sagt die Grünen-Europapolitikerin Ska Keller.
© Gregor Fischer/dpa

Grüne Ska Keller: „Wir stehen uns in der EU vor allem selbst im Weg“

Sie ist Kovorsitzende der Grünen im Europaparlament – und will auch dessen Präsidentin werden. Ska Keller über Posten, Populisten und Positionen. Ein Interview.

Frau Keller, ist der komplizierte Postenpoker in Brüssel Symptom für eine EU, in der jeder nur an sich selbst denkt?
Dass Staats- und Regierungschefs weniger ans große Ganze als an ihre eigenen Leute denken, ist im Europäischen Rat nichts Neues. Das sieht man ja auch beim Klimaschutz, wo jedes Land schaut, wie es die eigene Industrie möglichst von Maßnahmen ausnimmt. Dennoch ist es absurd, dass so viel jetzt über Posten geredet wird. Wir haben so viele andere Probleme, die Seenotrettung zum Beispiel. Und dann sitzt da die Kanzlerin stundenlang mit Conte, dem italienischen Ministerpräsidenten zusammen und verhandelt über Personalien. Dabei könnte man auch darüber reden, dass die Kapitänin Carola Rackete freikommt.

Aber Sie wollen ja jetzt nicht behaupten, dass den Grünen Posten egal wären. Sie selbst möchten Präsidentin des Europaparlaments werden.
Natürlich ist es wichtig, wer welche Position besetzt – es geht schließlich darum, wer für welche Inhalte steht und für einen Aufbruch in Europa. Es kann nicht sein, dass einfach die Staats- und Regierungschefs die Posten verteilen. Wer Parlamentspräsident*in wird, entscheidet das Parlament selbst. Und diesem machen wir als Grüne/EFA ein inhaltliches und personelles Angebot. Aber vor allem haben wir den Anspruch, dass sich signifikant etwas verbessert. Mit kosmetischen Änderungen geben wir uns nicht zufrieden. Ohne grüne Politik wird es keine grüne Unterstützung für eine Mehrheit im Europaparlament geben.

Was fordern Sie?
Wir brauchen einen substanziellen Klimaschutz. Es reicht nicht, dass wir festlegen, welche tollen Ziele wir uns für irgendwann später setzen. Wir müssen konkrete Maßnahmen festlegen und sagen, was wir jetzt tun können. Dazu gehört eine ordentliche CO2-Bepreisung, die wir in der EU durchsetzen wollen, aber auch der Abbau klimaschädlicher Sanktionen. Es wird viel Geld in Straßen gesteckt, das lieber in den Ausbau des Bahnnetzes oder der Radinfrastruktur fließen sollte. Wir fordern zudem, dass in der EU Seenotrettung stattfindet und wir wollen Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit. Das betrifft zum Beispiel die Unternehmensbesteuerung.

In Straßburg konstituiert sich im Moment das neue Europaparlament. Die Rechtspopulisten sind fünfgrößte Fraktion – knapp hinter den Grünen. Beruhigt Sie das?
Nein. Erstens sind in deren Fraktion „Identität und Demokratie“ nicht nur Rechtspopulisten, sondern auch Rechtsextreme. Und zweitens sind Radikale auch in anderen Fraktionen zu finden - beispielsweise in der ECR-Fraktion die spanische Partei Vox, die gegen Migranten und Frauen hetzt. Das hat sich ausgebreitet.

Kann das die EU aushöhlen?
Die Rechten nutzen das Parlament als große Bühne – das kennen wir schon. Problematisch wäre es, wenn der Eindruck entsteht, sie wären die Mehrheit. Das ist nicht der Fall. Insofern muss der Ansatz sein, sich nicht immer an den Populisten abzuarbeiten, sondern in den Vordergrund zu stellen: Was ist unser Angebot, was wollen wir? Wir Grünen müssen auch daran arbeiten, dass wir das, was wir erreicht haben in Brüssel und Straßburg, auch entsprechend transportieren.

Haben Sie die Befürchtung, dass die Rechtspopulisten den Klimaschutz blockieren könnten?
Bei dem Thema kommen die Mehrheiten vor allem auf die Konservativen an. Im Wahlkampf sind sie nicht mit Klimathemen aufgefallen – sondern haben unsere Vorschläge abgewehrt. Ich bin gespannt, ob sich das ändert.

Viel wird zur Zeit gesprochen über eine Krise der EU. Können Sie die erkennen?
Natürlich ist es so, dass wir uns in der EU vor allem selbst im Weg stehen. Ich meine damit die Mitgliedstaaten, die Rechtsstaatlichkeit in Frage stellen und sich gegenseitig blockieren. Wir könnten gemeinsam so viel mehr erreichen, wenn wir ordentlich zusammenarbeiten würden. Ich finde es trotzdem immer ein bisschen billig, von einer Krise der EU zu reden. Wir sehen doch hier im Europaparlament, dass wir konkrete Probleme konkret lösen. Nicht immer so wie wir Grüne uns das vorgestellt haben, aber hier passiert reale Politik. Und die EU hat noch immer das Potenzial, andere zur Reform zu bewegen. Zum Beispiel hat sich Nordmazedonien bereit erklärt, seinen ewig alten Namensstreit mit Griechenland beizulegen – und das hatte mit seiner Beitrittsperspektive zur EU zu tun. Das kann man auch mal wertschätzen.

Der Wahlkampf zum Beispiel war ja bereits sehr pro-europäisch.
Ja, aber wir sollten auch darüber reden, was für ein Europa wir haben wollen. Dann sieht man nämlich auch Unterschiede zwischen den Parteien und die Leute können eine Wahl treffen. Nur Europafahnen schwenken, reicht nicht.

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