Thüringens Verfassungsschutzchef Kramer: "Wir sollten dem Iran keine Zugeständnisse mehr machen"
Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer spricht über Teherans Verstöße gegen den Atomvertrag und notwendige Konsequenzen.
Herr Kramer, das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt in seinem Bericht für 2015 davor, dass der Iran trotz des Nuklearvertrages versucht hat, Material für sein Atomprogramm in Deutschland zu kaufen. Gibt es Hinweise darauf, dass Teheran an dieser Praxis 2016 festhält?
Ich habe derzeit keine Hinweise, die mich annehmen lassen, dass diese Tätigkeiten des Iran im neuen Jahr eingestellt worden wären. Neben dem BfV haben ja übrigens auch die Ämter für Verfassungsschutz aus acht Bundesländern ähnliche Erkenntnisse zu Proliferationstätigkeiten in ihren Berichten veröffentlicht.
Kanzlerin Merkel sprach bislang nur davon, dass Zubehör für das Raketenprogramm beschafft wurde. Gibt es Anlass zur Annahme, dass Iran nach Vertragsabschluss auch weiterhin Zubehör für sein Nuklearprogramm in Deutschland beschafft hat?
Das Bundesamt ist diesbezüglich ja schon sehr deutlich geworden: 2015 lagen die festgestellten illegalen Beschaffungsversuche weiterhin auf quantitativ hohem Niveau. Und das übrigens auch im internationalen Vergleich. Einerseits gilt das vor allem für Güter, die im Bereich Nukleartechnik eingesetzt werden können. Andererseits haben die Landesämter in ihren jeweiligen Berichten auch darauf hingewiesen, dass der Iran sogar versucht, Technologie für biologische und chemische Waffenprogramme auf dem deutschen Markt zu erwerben. Und dass Teheran seine Beschaffungsversuche keineswegs eingestellt hat, dafür sprechen auch die aktuellen Vorwürfe gegen den Tüv Saarland oder die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkks), die beide gegen die Embargovorgaben verstoßen haben sollen. Wichtig ist, dass wir jeden Embargoverstoß umfassend und schnell aufklären – und letztlich daraus auch rechtliche Konsequenzen ziehen. Andernfalls ist Deutschlands Glaubwürdigkeit in Gefahr.
Stellen die iranischen Proliferationstätigkeiten einen Bruch der UN-Vorgaben und somit auch einen Bruch des Nuklearabkommens dar?
Bei den Landesämtern sprechen wir von „illegalen Beschaffungsversuchen“ für Nukleartechnik. Das berührt also sehr wohl grundlegende Verpflichtungen des Abkommens. Eine ernsthafte Prüfung der Sachverhalte und die Anwendung des Nuklearabkommens sind daher mehr als angezeigt. Deutlich wird jedenfalls – und das sind keine neuen Bedenken – dass es nicht ausreicht, dem Regime in Teheran nur zu vertrauen.
Wie muss die Politik auf die fortgesetzten Beschaffungsmaßnahmen reagieren?
Wir haben klare gesetzliche Vorschriften und außerdem Vereinbarungen im Atomdeal mit dem Iran, die konkrete Maßnahmen vorsehen, wenn grundlegende Verpflichtungen verletzt werden. Wir sollten uns – besonders aus eigenem Sicherheitsinteresse, wenn schon nicht aus Gründen der Glaubwürdigkeit – an unsere eigenen Roten Linien halten und vor allem auch Taten folgen lassen. Appeasement ist jedenfalls keine vertrauenswürdige Versicherungspolice.
Welche Gefahr sehen Sie für den Nahen Osten und womöglich auch für Deutschland angesichts des Trägerraketenprogramms?
Der stellvertretende Kommandeur der Iranischen Revolutionsgarden, Brigadegeneral Hossein Salami, hat erst kürzlich in einer Rede darauf hingewiesen, dass die Islamische Republik über 100.000 Raketen im Libanon und zehntausende im Iran verfügt, deren einziges Ziel es ist, den Staat Israel zu vernichten. Der Mittelstreckenraketentest im März hat dabei gezeigt, dass seine Rede nicht einfach nur Säbelrasseln ist, sondern es das Mullah-Regime tatsächlich ernst meint. Trägerraketenprogramme mit größerer Reichweite und geeignet für Nuklearwaffen vergrößern auch das Bedrohungspotenzial weit über den Nahen Osten hinaus für Deutschland. Da helfen auch keine Stillhalteabkommen mehr.
Befürworten Sie eine Wiedereinführung von Sanktionen gegen Iran?
Die illegalen und konspirativen Beschaffungsversuche des Iran sind kein Kavaliersdelikt, und auch die Motive des Mullah-Regimes sind offen erkennbar. Vor allem sollten wir jetzt unsere eigenen Verhandlungspositionen und roten Linien ernst nehmen. Wir sollten damit aufhören, dem Iran mehr und mehr wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen, und ihn stattdessen an der Missachtung des Nuklearabkommens, der Unterstützung des weltweiten Terrors, der Missachtung der Menschenrechte im eigenen Land und der Leugnung des Holocausts zu messen, statt immer neue Ausreden, Rechtfertigungen und Entschuldigungen für die Verstöße zu finden.
Dem Verfassungsschutzbericht zufolge agiert die Hisbollah in Deutschland als Teherans „terroristischer Arm“. Gibt es Hinweise darauf, dass die Organisation auch an Proliferationstätigkeiten für Teheran beteiligt ist?
Die Hisbollah profitiert bisher von der Proliferation, beispielsweise bei der Ausbildung von Kämpfern, Drohnen und anderen intelligenten Waffen etwa aus Nordkorea oder dem Iran und biologischen und chemischen Waffen auch aus syrischen Labors. Mit Blick auf die globalen Netzwerke der Organisation müssen wir davon ausgehen, dass der Iran die Hisbollah, wenn nötig, auch im Bereich der Proliferation von Nukleartechnologie für die Beschaffung einsetzt.
Die Arabische Liga hat im März die Hisbollah als Terrororganisation gelistet. Halten Sie die Position der Bundesregierung und der Europäischen Union, zwischen politischem und militärischem Arm der Hisbollah zu unterscheiden, noch für zeitgemäß?
Das Bundesverwaltungsgericht hat dieser Unterscheidung ja bereits Ende letzten Jahres in einem Urteil widersprochen. Die Richter waren überzeugt davon, dass es sich bei der Hisbollah um ein einheitliches Gebilde handelt, bei dem soziale, politische und militärische Aktivitäten eine Einheit bilden. Ich weiß natürlich auch, dass juristische und politische Bewertungen nicht immer deckungsgleich sein müssen, aber gerade in Fragen der Terrorismusbekämpfung darf es keine faulen Kompromisse geben.