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In Rom schaut eine junge Frau aus dem Fenster, während einer der vielen Flashmobs gegen Einsamkeit, die durch die Isolierung angesichts des Coronavirus-Ausbruchs verursacht wurden.
© Alessandra Tarantino/dpa

Einsamkeitsforscherin zur Coronakrise: „Wir sitzen alle in einem Boot– vielleicht ist das auch eine Chance“

Abstand halten, Kontakte einschränken in Zeiten der Corona-Krise: Vor allem Ältere und Alleinstehende können vereinsamen, sagt Psychologin Susanne Bücker.

Susanne Bücker ist Persönlichkeitspsychologin und Einsamkeitsforscherin an der Ruhr-Universität Bochum.

Corona-Infizierte stehen unter Quarantäne, in vielen Firmen wird im Homeoffice gearbeitet und soziale Kontakte sollen eingeschränkt werden. Kann das Virus einsam machen?
Die Auswirkungen des Corona-Virus auf unser soziales Leben können problematisch werden. Das gilt vor allem – aber nicht nur – für diejenigen, die alleine leben. Die ganzen Maßnahmen, die getroffen werden, schränken unsere sozialen Aktivitäten massiv ein. 

Besonders ältere Menschen, die sowieso schon gefährdet sind, einsam zu werden, betrifft das. Es werden bereits Besuche bei den Großeltern gestrichen, nähere Kontakte zu älteren Menschen reduziert. 

Es ist sehr gut möglich, dass sich diese Menschen dann isolierter, ausgeschlossener oder einsamer fühlen. 

Wie kann man gegen diese Einsamkeit angehen?
Ich denke, dass da virtueller und telefonischer Kontakt helfen kann. Das wird auch ein wichtiger Bestandteil in der nächsten Zeit für uns sein. Vollständig werden solche virtuellen Kontakte die sozialen Interaktionen aber nicht ersetzen können. 

Es ist eben etwas anderes, ob man nur mit jemandem telefoniert oder schreibt oder wenn man jemandem Gegenüber steht und sieht, wie derjenige direkt auf Äußerungen reagiert. Ich glaube, dass Telefonate und Videoanrufe sicherlich diesen direkten persönlichen Kontakt zeitweise etwas ersetzen können, aber eben nicht vollständig.

Kann das Alleinsein in der Wohnung, etwa in der Quarantäne, auch zu Depressionen führen?
Es gibt da individuelle Unterschiede bei den Menschen, wie gut sie mit dem Alleinsein zurechtkommen. Wer ein oder zwei Wochen isoliert lebt, wird nicht gleich in eine Depression stürzen. 

Das kommt aber auch auf die Person an. Wer generell dazu tendiert, traurig und nachdenklich zu sein, der könnte in so einer Zeit schon mehr Schwierigkeiten haben. Einige erleben so eine Isolation aber als sehr angenehm oder sogar als eine Art Entschleunigung. 

Sie können endlich lesen oder Filme schauen. Dazu muss man aber auch sagen, dass das Alleinsein nicht automatisch bedeutet, dass man sich einsam fühlt.

Die Psychologin Susanne Bücker ist Einsamkeitsforscherin an der Ruhr-Universität Bochum.
Die Psychologin Susanne Bücker ist Einsamkeitsforscherin an der Ruhr-Universität Bochum.
© privat

Inwiefern?
Man kann auch in einer Beziehung leben oder in einer Familie, unter Freunden sein und sich dabei einsam fühlen. 

Und umgekehrt sind bei weitem nicht alle alleinstehenden Menschen einsam. Das Gefühl der Einsamkeit muss also nicht damit zusammenhängen, dass man alleine ist.

Was kann man denn in solchen Momenten der Einsamkeit tun?
Ganz unabhängig zu Corona: Wir wissen, dass es einfacher ist, bestehende Kontakte zu reaktivieren, als ganz neue zu knüpfen. Wenn man sich einsam fühlt, kann man sein Adressbuch durchzugehen und versuchen, Kontakte aufzufrischen. 

Die Coronavirus-Lage kann auch eine Chance sein, eine gemeinsame Strategie zu finden. Auf einmal sitzen sehr viele Menschen im gleichen Boot. Man kann zusammenrücken und bewusst benennen, dass man sich einsam fühlt. 

Wenn man darüber redet, hilft das in so einer Ausnahmesituation.

Hintergrund über das Coronavirus:

Wie bewerten Sie denn, dass man die sozialen Kontakte einschränken sollte?
Die Empfehlung ist ja, dass man in erster Linie große Menschenmassen vermeiden soll. Man sollte sich eben nicht mit Freunden in einer Bar treffen. Und in einigen Firmen soll man auch nicht mehr ins Büro gehen. 

Aber das heißt ja nicht automatisch, dass wir jetzt alle alleine in unseren Wohnung isoliert leben müssen. Die Empfehlungen schließen nicht aus, dass man sich zuhause bei Freunden trifft.

Allerdings kann sich die Empfehlungslage auch jederzeit weiter verschärfen. Das sollte gut beobachtet werden. Auch wenn ein physischer Kontakt nicht immer möglich ist, ist es wichtig, dass man Kontakt hält. 

Gerade auch mit Menschen, die sich große Sorgen machen, etwa Eltern oder Großeltern.

Sollte man in diesen Fällen versuchen, den Kontakt zu verstärken?
Ja, das kann auf jeden Fall helfen. Der Kontakt muss ja nicht physisch sein. Viele Menschen machen sich eben große Sorgen. 

Es hilft ihnen, wenn man viel über die eigenen Ängste spricht. Das Problem ist, dass wir alle verschiedene Informationen haben. Einige wissen Dinge über das Virus, die andere nicht wissen. 

Diese verschiedenen, zum Teil widersprüchlichen Informationen lösen bei vielen Menschen Angst und Stress aus. Zudem dominiert Corona mittlerweile die sozialen Netzwerke. Dieser ganze Umgang mit Corona macht das Thema nur noch größer und die Angst wird dadurch verstärkt. Andere Themen sind auch wichtig, das sollten wir nicht vergessen.

Also sollten wir in dieser Hinsicht etwas zurückfahren?
Das ständige Reden über Corona, die Berichte über jeden Todesfall, das macht alles Angst und löst Verunsicherung aus. Das ist ja auch verständlich. Es ist eben ein schwer greifbares Risiko für die Allgemeinbevölkerung.

Für uns alle ist die Situation neu, für Wissenschaftler, Politiker, Ärzte, Virologen. Wir sind letztendlich alle in derselben Situation. Das kann Angst machen. Aber wir sollten diese Angst nicht noch verstärken.

Sie haben an diesem Montag eine Studie gestartet, in der Sie die psychologischen und sozialen Konsequenzen von Covid-19 untersuchen wollen. Was wollen Sie damit erreichen?
Wir wollen untersuchen, wie die Menschen in den nächsten Wochen und Monaten ihr Verhalten hinsichtlich des Corona-Virus verändern. Es geht uns aber auch darum herauszufinden, wie sich unsere Zufriedenheit, unsere sozialen Beziehungen und unser Wohlbefinden verändern

Das Virus ist ja ein Faktor, der von außen kommt, den viele Menschen als unkontrollierbar wahrnehmen und der uns einschränkt, gerade in den sozialen Aktivitäten. Wir wollen untersuchen, wie unterschiedlich die Menschen mit dem Coronavirus umgehen. 

nd wir erhoffen, besser zu verstehen, warum man wie in so einer Ausnahmesituation reagiert.

Was vermuten Sie, werden Sie herausfinden?
Ganz klare Erwartungen haben wir an dieser Stelle nicht. Auch für uns ist das eine neue Situation. 

Es kann in die eine oder andere Richtung gehen. Die Einschränkungen, der geringe Kontakt zu Mitmenschen, aber auch die Angst, sich bei anderen anzustecken – all das kann zum einen negative Konsequenzen für die Qualität unserer sozialen Beziehungen haben. 

Es kann aber auch sein, dass wir durch das Virus viel mehr zusammenrücken und anderen Mitmenschen unter die Arme greifen. Denn wir stehen letztendlich alle vor demselben Problem. 

Niemand weiß, wie es weitergeht. Wir sitzen alle in einem Boot - und vielleicht ist das auch eine Chance.

Elena Matera

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