CDU-Politiker Röttgen im Interview: „Wir sind ohne die Unterstützung der USA schwach und ohnmächtig“
US-Präsident Joe Biden will eine Zäsur in der Außenpolitik. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen meint: Deutschland muss sich nun viel stärker selbst verteidigen.
Norbert Röttgen (56) sitzt seit 1994 für die CDU im Bundestag. Von 2009 bis 2012 war er Umweltminister. Seit 2014 ist er auch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Wir haben mit ihm über die Lage der deutschen Außenpolitik gesprochen.
Herr Röttgen, die USA vollziehen nach dem Abzug aus Afghanistan eine Rückkehr in isolationistische Zeiten. US-Präsident Joe Biden betont de facto, dass die Zeit, die Demokratie in andere Staaten zu exportieren, vorbei sei.
Diese Aussage von Joe Biden findet vor dem Hintergrund statt, dass er stark in der Kritik steht. Weniger wegen der Tatsache des Abzugs, sondern wegen der Art und Weise. Er etikettiert jetzt diesen Afghanistaneinsatz mit dem Ziel, seine fatale Entscheidung des Abzugs zu rechtfertigen. Allerspätestens seit 2015, als die Kampfmission umgewandelt wurde in eine Trainings-, Ausbildungs- und Stabilisierungsmission, ging es nicht um Regime Change, sondern um Stabilisierung und Ermöglichung von Entwicklung und Hilfe. Insofern hat er Recht mit der Aussage, dass die Zeit des Demokratieexports vorbei sei. Das ist aber schon seit über zehn Jahren der Fall.
Was folgt daraus?
Das hat gefährliche Konsequenzen. Die Formulierung, es gehe von nun an nur noch um fundamentale amerikanische Interessen, sorgt für Verunsicherung. Sie wirft die Frage auf, ob die globale Ordnung noch ein fundamentales amerikanisches Interesse ist oder nicht. Die Taiwanesen werden sich fragen: Sind wir jetzt noch amerikanisches Interesse oder nicht? Und die Demokratien dieser Welt, von denen es schon nicht mehr so viele gibt, fragen sich, ob Bidens Narrativ vom Wettbewerb der Demokratien gegen die Autokratien wirklich ernst gemeint ist.
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Erleben wir hier eine Zeitenwende?
Ich glaube, dass das in Wahrheit eine taktische Rechtfertigung für den Abzug ist und keine programmatische Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik. Tatsache ist aber, dass sich die Prioritäten der Administration verschieben und sich damit auch die Rolle der USA verändert. Für uns hat das Konsequenzen, denn wir haben erlebt, dass wir ohne die Unterstützung der USA als Europäer schwach und ohnmächtig sind.
Deutschland und Europa sind nicht darauf vorbereitet.
Aus dem Verhalten der USA erwächst für uns eine absolut existenzielle Frage, nämlich: Welche Rolle wollen wir selber spielen, wenn es um unsere Interessen geht? Wollen wir unsere Interessen und Werte nur dann verteidigen können, wenn die USA sich auch dafür interessieren und uns unterstützen, oder notfalls auch alleine, wenn die USA anderer Meinung sind als wir. Das ist die absolut existentielle europäische Frage. Wir müssen entscheiden, wer wir sein wollen und was wir sein wollen in dieser Welt und in dieser Zeit zwischen untergegangener alter und noch nicht entstandener neuer Ordnung. Das muss jetzt entschieden werden. Ich plädiere dafür, dass wir den Willen aufbringen und die Fähigkeiten schaffen, uns selber zu behaupten.
Wie schaffen wir diese Fähigkeiten?
Am Anfang stehen ein gemeinsames Verständnis von Interessen und der Wille zu handeln. Dafür müssen wir europäische Partner finden. Es müssen nicht zwingend alle 27 EU-Staaten sein, das ist aktuell auch nicht realistisch, weil wir noch zu uneinig sind. Deshalb bin ich für eine Gruppe von Staaten, die – offen für alle – bereit und fähig ist, gemeinsam außenpolitisch zu handeln. Zu einer europäischen Außenpolitik in Partnerschaft gehört dann auch eine einsatzfähige militärische Komponente. Ohne militärische Grundlage und die Fähigkeit der Absicherung und Durchsetzung, werden wir auch nicht außenpolitikfähig werden. Dann nimmt uns in Washington, Moskau und Peking keiner ernst.
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Die SPD sträubt sich schon gegen die Bewaffnung von Drohnen für die Bundeswehr.
Eine bewaffnete Drohne als Selbstschutz zur Sicherheit eines Einsatzes zählt zu den Selbstverständlichkeiten der militärischen Ausstattung. Wenn wir handlungsfähig werden wollen, dann braucht die europäische Außenpolitik auch eine entsprechend ausgestattete Bundeswehr. Wir können nicht immer nur auf andere zeigen. Aber es wird noch mehr bedürfen. Das hat sich jetzt bei der Evakuierung in Kabul gezeigt. Wir brauchen eine dauerhafte, angemessene Ausstattung in Ausbildung, Personal und Material.
In Europa gibt es viele verschiedene Waffensysteme, zu einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik würde auch eine stärkere Vereinheitlichung gehören…
Absolut. Das sind nur deutlich längerfristige Prozesse, weil es dabei auch um eine Umgestaltung bedeutsamer nationaler Industrien geht. Das schafft man nicht von heute auf morgen. Aber wir können darauf nicht warten, sondern müssen jetzt mit dem beginnen, was machbar ist, nämlich mit einer außenpolitischen Agenda und der Weiterentwicklung unserer militärischen Fähigkeiten. Die müssen wir dann vor allem zu gemeinsamer Einsatzfähigkeit bringen, indem wir in Europa mehr gemeinsam üben und Kommandostrukturen integrieren.
Mehr Verantwortung übernehmen ist das eine. Das Ende in Afghanistan stellt aber zunächst einmal auch den Mali-Einsatz der Bundeswehr in Frage...
Afghanistan hat auf dramatische Weise allen Zweiflern dieses Einsatzes den Sinn vor Augen geführt. Es ist nämlich der Unterschied zwischen einer relativ freien und sicheren Gesellschaft und der Herrschaft der Taliban. Das hat den Unterschied ausgemacht.
In Mali geht es um die Stabilisierung der gesamten Sahelregion. Das ist in unserem Interesse. Aber wir brauchen eine Debatte, welche Ressourcen notwendig sind, um in einer so großen Region überhaupt etwas zu erreichen. Deshalb ist eine Bewertung des bisherigen Einsatzes notwendig. Wir haben bislang keine Verbesserung der Sicherheitslage erreicht, sie hat sich sogar verschlechtert. Deshalb muss definiert werden, welche Ziele wir verfolgen, was wir dafür an Einsatz realistischerweise brauchen und ob wir dazu politisch bereit sind.
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