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Seit 2017 ist Karin Prien Bildungsministerin in Schleswig-Holstein.
© imago images / Uwe Steinert

CDU-Politikerin Prien zur Neuaufstellung der Partei: „Wir schaffen es nicht ohne Frauenquote“

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien spricht im Interview über die Krise ihrer Partei, den Gang in die Opposition und das Frauenproblem der CDU.

Die CDU-Politikerin und Juristin Karin Prien saß von 2011 bis 2017 in der Hamburgischen Bürgerschaft. Danach wurde sie Bildungsministerin in Schleswig-Holstein im Kabinett von Ministerpräsident Daniel Günther. Auf dem letzten CDU-Parteitag wurde Prien in den CDU-Bundesvorstand gewählt. Die 56-Jährige zählt zu den aufstrebenden Frauen in der CDU und kämpft für einen Kurs der Mitte. Armin Laschet berief sie in sein „Zukunftsteam“.

Frau Prien, haben Sie sich in den letzten Wochen manchmal geschämt für die Union?
Wir haben jedenfalls kein sympathisches Bild in der Öffentlichkeit abgegeben. Es war auch nicht immer einfach, sich als Verantwortlicher gut zu schlagen.

Welche Reaktionen haben Sie erlebt?
Die Menschen wollen, dass wir klar und deutlich aussprechen, dass wir die Botschaft verstanden haben. Wir haben diese Wahl verloren. Wir haben ein dramatisch schlechtes Ergebnis erzielt. Die Wähler erwarten von uns auch angemessene Konsequenzen.

Manche sagen ja: Der Kandidat war schlecht, und mit einem Besseren wird das schon wieder.
Es wäre zu einfach, das Ergebnis nur auf den Kandidaten zu schieben. Armin Laschet hat die Wählerinnen und Wähler nicht überzeugt. Aber das alleine erklärt diese Niederlage nicht. Die CDU braucht insgesamt einen Neuanfang.

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Neuanfang klingt immer gut - aber wo sind denn die Defizite?
Wir haben in Wahrheit seit Angela Merkels Rückzug vom Parteivorsitz im Jahr 2018 die Nachfolgefrage nicht richtig gelöst und viel zu lange eine destruktive Nabelschau betrieben. Das hat zuletzt noch dazu geführt, dass der Kanzlerkandidat viel zu spät nominiert wurde, und das auch noch in einem Verfahren, für das ich mich tatsächlich schäme. Wir haben viele Fragen im Regierungsprogramm nicht ausreichend diskutiert und hatten dann oft keine klaren Antworten. Unser letztes Grundsatzprogramm stammt aus 2007. Der Anlauf, ein neues zu schreiben, ist auf halbem Weg steckengeblieben. Gleiches gilt für die Parteistruktur. Es gibt einen ganzen Berg ungelöster inhaltlicher Fragen und Probleme, die nicht zuletzt die Corona-Pandemie offen gelegt hat.

Gehören Markus Söder und seine Querschüsse auch in diese Kategorie?
Markus Söder war auch nicht hilfreich. Ich fand schon die Art der Auseinandersetzung um die Kanzlerkandidatur sehr unglücklich. Und er hat in den folgenden Monaten dazu beigetragen, dass die Union keinen geschlossenen und einen unsympathischen Eindruck vermittelte. Über die Motive kann man spekulieren. Aber für einen Neuanfang müssen wir sicherlich auch über das Verhältnis zur CSU sprechen und uns gemeinsamer strategischer Ziele vergewissern. Auch dort sind Konflikte aus der Vergangenheit nicht wirklich befriedet, die noch aus der Flüchtlingszeit der Jahre 2015/16 stammen. 

Wenn das Motiv nun aber lautet: Ich mach' den Kandidaten kaputt, damit ich selbst der nächste werde - dann wird das mit Neuanfang schwierig?
Dann wird es schwierig. Aber Markus Söders Verhalten nach der Wahl nährt ja eher die Zweifel an seiner Eignung, die schon bei der Auswahl der Kanzlerkandidaten vorhanden waren. Und die CSU ist ebenfalls in keiner guten Verfassung. Sie steht in den Umfragen keineswegs blendend da. Das Marketing ist vielleicht besser. Von einem CSU-Vorsitzenden wird immer eine starke  Performance erwartet. Auch Markus Söder befindet sich in keiner bequemen Situation.

 Was kann man denn tun, um das Verhältnis zu verbessern?
Wir müssen ehrlich und offen darüber sprechen, was die jeweiligen und die gemeinsamen strategischen Ziele sind in den nächsten Jahren. Dann müssen wir sehen, wo es dafür eine hinreichend große Schnittmenge gibt. Nicht noch einmal passieren darf uns jedenfalls, dass wir uns gegenseitig das Leben so schwer machen.

Das haben wir zuletzt 2017 gehört und davor auch schon öfter ...
Ich bin ja nicht historisch naiv. Das Verhältnis zwischen CDU und CSU war immer schon ein besonderes. Aber wir müssen jetzt mal ernsthaft überlegen, ob das noch genau so zeitgemäß ist, oder was wir verändern und verbessern können.

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Zurück zur CDU. Die Entscheidung über den Vorsitz ist zwei Mal Halbe-Halbe ausgegangen. Droht diese Spaltung nicht jetzt wieder? 
Deshalb brauchen wir ein Personalangebot, das nicht nur aus einem Vorsitzenden oder einer Vorsitzenden besteht, sondern in der Lage ist, die Partei tatsächlich zu befrieden. Denn da steckt unser eigentliches Problem. Wir sind eine Partei in Unruhe und im Umbruch. Wir brauchen ein Team von Frauen und Männern, die sich vertrauen, die anständig miteinander umgehen und die einen Plan haben, wie man die CDU nicht zu alter Stärke, sondern zu neuer Stärke führt. 

Aber das muss doch wohl zuerst ein neuer Vorsitzender sagen?
Er muss sagen, wie seine Strategie aussieht. Aber ich halte es für illusorisch, dass ein Vorsitzender allein kraft seiner Person den Karren aus dem Dreck ziehen kann. Er kann auch nicht alleine die Befriedung schaffen, die wir jetzt brauchen. Deshalb muss er einen Plan skizzieren und ein Team benennen, das die Partei und die Gesellschaft in der Breite repräsentiert und das dazu beiträgt, dass hinterher alle den Weg mitgehen. Der wird ohnehin alles andere als leicht. 

Weil er diesmal in der Opposition stattfinden muss?
Ja, das kommt noch dazu. Wir müssen die Aufgabe der demokratischen Opposition zwischen AfD und Linkspartei ausfüllen und zugleich die Partei selber erneuern. Das sind zwei unterschiedliche Aufgaben. Als Partei müssen wir wieder so attraktiv werden, dass man Lust hat, sich bei uns zu engagieren. Wir müssen die Mitgliedschaft deutlich verjüngen, die  Strukturen überprüfen, die Kampagnenfähigkeit zurückgewinnen und im Deutungskampf in den (sozialen) Medien deutlich besser werden. Das wird einer alleine nicht schaffen. 

Sie haben ja schon mal eine Art Treuhänder ins Spiel gebracht, der sich ganz der Partei widmet, ohne nächster Kanzler werden zu wollen.
Der Begriff stammt nicht von mir. Ich wollte deutlich machen, dass jeder, der jetzt die Parteispitze anstrebt, sich zunächst auf die Partei konzentrieren und weitere Ambitionen hintanstellen muss. Ich frage mich auch, ob jetzt Partei- und Fraktionsvorsitz wirklich in einer Hand liegen müssen, wie man bisher immer gesagt hat.
Alle Kandidaten, die genannt werden, haben sehr klare Ambitionen!
Machtanspruch gehört zur Politik. Wir leben ja nicht im Mädchenpensionat. Aber die CDU ist in einer existenziellen Krise. Die Gesellschaft verändert sich rasch. Wir müssen uns ebenfalls verändern, sonst droht uns ein Schicksal wie der Democrazia Cristiana in Italien und anderen untergegangenen Volksparteien. Und wir werden das nur gemeinsam schaffen, so wie es 1945 im Gründungsaufruf hieß: "Männer und Frauen, wir rufen euch auf, alles Trennende zurücktreten zu lassen."

Das klingt ja gut, nur: Funktioniert das Prinzip Volkspartei überhaupt noch mit Ultrakonservative auf der einen Seite und Liberalen auf der anderen?
Ich glaube nach wie vor, dass wir die Breite brauchen. Das ist historisch einer der großen Verdienste der Union. Ich war gerade im Urlaub in Südtirol. Da gab es in meiner Pension Zimmer, die waren nach Richard von Weizsäcker und Alfred Dregger benannt. Die beiden haben damals gegensätzliche Positionen zu einer der großen Konfliktfragen ihrer Zeit vertreten: War der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung für Deutschland? Ich würde mir wünschen, dass es uns auch in Zukunft gelingt, derart unterschiedliche Positionen zu vereinen und damit die großen Konfliktlinien in unserer Gesellschaft zu überwinden. Dazu muss uns aber wieder klarer werden, was die Union verbindet.

Robert Habeck hat es als Minister in Schleswig-Holstein geschafft, sich bei einer CDU-Kernklientel, den Bauern, Respekt zu verschaffen, weil er bereit war, die Sichtweisen der anderen Seite anzuerkennen. Ein Vorbild?
Was Robert Habeck auszeichnet, aber auch die gesamte CDU-geführte Landesregierung in Schleswig-Holstein unter Daniel Günther, ist dieser andere Politikstil: Den Menschen zuzuhören und sie zu respektieren in ihren Standpunkten. Das brauchen wir als CDU insgesamt. Wir müssen die wichtigen gesellschaftlichen Diskurse mit der Gesellschaft führen und nicht nur mit uns selber. Und wir müssen unsere Positionen begründen können. Das ist uns auch verloren gegangen.

Inwiefern?
Wir gelten oftmals nur noch als die Verhinderer und die Verzögerer, als diejenigen, die etwas nicht wollen. Natürlich wissen wir, warum wir beispielsweise keine neuen Schulden machen wollen. Aber wir verzichten zu oft darauf, unsere Positionen überzeugend zu begründen. Wir müssen da einfach auch fleißiger werden.

Karin Prien war im Wahlkampf im "Zukunftsteam" von Kanzlerkandidat Armin Laschet.
Karin Prien war im Wahlkampf im "Zukunftsteam" von Kanzlerkandidat Armin Laschet.
© imago images/penofoto

Ist die CDU zu bequem geworden in 16 Jahren als Kanzlerinnenpartei?
Friedrich Merz hat von Denkfaulheit gesprochen. Vielleicht ist da etwas dran. Es hängt sicher mit der langen Regierungszeit zusammen, die uns ausgezehrt hat. Die CDU lädt zu wenig zu spannenden Debatten ein. Und es hängt an der Mitgliederstruktur. Es ist uns nicht gelungen, genug neue und interessante Leute zu gewinnen, die die Partei inhaltlich und personell weiterentwickeln.

Wenn Sie warnend an das Schicksal der Democrazia Cristiana in Italien erinnern: Befürchten Sie eine Implosion der CDU?
Schlimmer geht immer. Aber mir macht es Mut, dass wir uns Anfang der Woche im Bundesvorstand auf einen Prozess geeinigt haben und dass das von niemandem mehr angegriffen wird. Ein gutes Zeichen ist auch, dass wir die elende Durchstecherei beendet haben. Ich denke, alle haben den Ernst der Lage erkannt.

Nächster Schritt in diesem Prozess für einen neuen Parteichef ist eine Kreisvorsitzendenkonferenz. Was genau soll die tun? Abstimmen, Empfehlungen geben, entscheiden?
Das ist kein Gremium, das unsere Statuten vorsehen, aber die Kreisvorsitzenden sind nahe dran an der Basis. Sie können einen sehr guten Eindruck davon vermitteln, was die Basis sich wünscht.

 Sind Sie selbst denn eher für oder gegen eine Mitgliederbefragung?
Ich bin kein großer Freund von plebiszitären Elementen. Ich glaube nicht, dass Entscheidungen damit besser werden. Die Erfahrungen sind nicht ermutigend, die die SPD und auch wir damit gemacht haben. Mitgliederbefragungen lösen Konflikte nicht auf, sondern vertiefen oft die Gräben.

Ihre Kollegin Silvia Breher hat eine Doppelspitze ins Gespräch gebracht, um zu verhindern, dass wieder zwei Testosteron-Züge aufeinander zurasen.
Das Team an der Spitze muss aus Frauen und Männer bestehen – und dabei dürfen die Frauen nicht nur Garnitur sein. Ob eine Doppelspitze zu uns als CDU passt, weiß ich nicht. Ausschließen würde ich es nicht.

Viele Jahre hat die Kanzlerschaft von Angela Merkel überdeckt, dass die CDU ein Frauenproblem hat. Was muss passieren, damit sich mehr Frauen in der Partei engagieren?
Ich würde die Frage weiten: Was muss passieren, damit wir für Frauen, auch für Menschen mit Migrationshintergrund und vor allem für all jene attraktiv werden, die diese Gesellschaft maßgeblich mitgestalten? Wir müssen uns viel mehr öffnen.

Und wie geht das konkret?
Wir sind zu wenig dort unterwegs, wo sich engagierte Menschen treffen, in Bürgerinitiativen, in Elternbeiräten. Wir haben kein Sensorium mehr dafür, was in der Mitte der Gesellschaft gedacht wird. Wenn wir das nicht vernachlässigt hätten, wäre uns diese Niederlage vielleicht erspart geblieben.

Gerade jetzt sind wieder nur Männer im Gespräch für den Parteivorsitz. Warum gibt es keine Frau, die in der Position dafür wäre?
Wir haben in der CDU immer eine echte Frauenquote abgelehnt. Das manchmal ernst gemeinte, manchmal fadenscheinige Argument war: Es geht ja um Leistung und nicht um Geschlecht. Gleichzeitig haben wir aber keine Probleme damit, den Regionalproporz in Reinkultur zu kultivieren. Die nüchterne Realität ist: Wir schaffen es nicht ohne Quote. Auch ich kenne keine Frau, die sich jetzt für den Parteivorsitz bewerben will.

In Berlin kursiert Ihr Name als Teil eines möglichen Teams – nämlich als Generalsekretärin.
Ich habe keine Ahnung, wo dieses Gerücht herkommt. Von mir jedenfalls nicht. Für alle gilt: Persönliche Ambitionen müssen jetzt hinter unserer gemeinsamen Mammutaufgabe zurückstehen.

Was erwarten Sie in seinen letzten Wochen noch von Armin Laschet?
Es kommt darauf an, dass wir die nächsten Wochen und Monate mit Würde und Anstand schaffen. Armin Laschet muss sich ganz in den Dienst des Neuanfangs stellen, obwohl er selbst nicht Teil der neuen Spitze sein wird. Ich habe Respekt davor, dass er sich das antut.

Schon im Frühjahr kommen die nächsten  Landtagswahlen, auch bei Ihnen in Schleswig-Holstein. Wenn bis dahin keine Ruhe eingekehrt ist, wirft Ihnen das nicht Knüppel zwischen die Beine?
Natürlich. Die personelle Neuaufstellung muss noch in diesem Jahr  beginnen. Und es muss bis zur Landtagswahl klar sein, dass die CDU im Bund die Botschaft verstanden hat und am Neuaufbau intensiv gearbeitet wird.

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