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Papst Franziskus mit dem Album "Wake up" auf CD.
© dpa

UN-Klimagipfel: Wir müssen unseren Lebensstil ändern!

Papst Franziskus fordert eine radikale "ökologische Umkehr". Damit sie gelingt, ist nicht nur die Politik gefragt. Jeder einzelne muss seine Eigeninteressen zurückschrauben und Kompromisse eingehen. Ein Gastkommentar.

Anfang nächster Woche treffen sich in Paris Delegationen aus aller Welt, um über ein weltweites Klimaschutzabkommen zu verhandeln. Seit langem wird in mühsamen Vorbereitungstreffen um einen Vertragstext gerungen. In nationalen oder multilateralen Klimadialogen und -konferenzen werden erste Vereinbarungen vorbereitet. Klimaschutzzusagen der USA und Chinas oder die Beschlüsse des G7-Gipfels im Juni 2015 sind weitere wichtige Schritte auf dem Weg zu mehr Klimaschutz. Diese Signale und die Zusage einer großen Zahl von Staats- und Regierungschefs, gleich zu Beginn der Konferenz nach Paris zu kommen, unterstreichen die außerordentliche Bedeutung dieses Gipfels. Die Erwartungen sind hoch und die Hoffnung ist groß, dass in Paris der Durchbruch gelingt.

Jetzt kommt es darauf an, die Erderwärmung wirksam zu begrenzen. Viele sehen in der Pariser Klimakonferenz die letzte Chance, eine weltumspannende Klimaschutz-Vereinbarung in der Nachfolge des Kyoto-Protokolls zu verabschieden. Richtschnur ist das sogenannte Zwei-Grad-Ziel. Jenseits dieser Grenze sind die Folgen des Klimawandels nicht absehbar und die Risiken wachsen deutlich an. Am stärksten betroffen sind schon jetzt und auch längerfristig die schwächsten und ärmsten Teile der Weltbevölkerung. Es ist also höchste Zeit, den Ausstoß von Treibhausgasen wirksam zu begrenzen, um die Folgen des Klimawandels einzudämmen.

 Franziskus sieht eine "Spirale der Selbstzerstörung"

Die am 18. Juni 2015 veröffentlichte Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus ist ein kraftvoller Appell an die Weltgemeinschaft, angesichts des auch durch den Menschen verursachten Klimawandel einen couragierten Schritt nach vorne zu wagen. Allerdings sieht der Papst die Notwendigkeit einschneidender Veränderungen nicht nur beim Klimawandel, sondern er weitet den Blick und fordert eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Gefährdungen unserer Erde durch menschliches Fehlverhalten. Dabei verweist der Papst sowohl auf die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen als auch auf die damit einhergehenden, gravierenden sozialen Verwerfungen. Beides, die ökologischen und sozialen Probleme, schränken die Lebenschancen von Mensch und Natur ein und deuten hin auf „eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise“ (LS 139).

Als Titel seiner Enzyklika wählt Papst Franziskus einen Lobpreis aus dem Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi: „Laudato si’, mi’ Signore – Gelobt seist du, mein Herr“. Etwas im Schatten dieser Überschrift steht der Untertitel: „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“. Dieses Bild vom gemeinsamen Haus verweist eindringlich auf die globale Lebensgemeinschaft aller Menschen – eine Sichtweise, die sich, so der Papst, erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts allmählich durchgesetzt habe: Der Planet wird als Heimat und die Menschheit als ein Volk begriffen, das dieses gemeinsame Haus bewohnt. Diese weltumspannende Perspektive spiegelt sich im Übrigen auch im Adressatenkreis der Enzyklika wider. Der Papst richtet sein Schreiben nicht nur an Katholiken, nein, Papst Franziskus möchte ausdrücklich mit allen Menschen auf diesem Planeten ins Gespräch kommen.

Bischof Franz-Josef Overbeck.
Bischof Franz-Josef Overbeck.
© Thilo Rückeis

Die ökologischen Krise und die globalen sozialen Probleme machen einen Kurswechsel notwendig, um aus der „Spirale der Selbstzerstörung“ (LS 163) herauszukommen. Der Papst fordert deshalb eine „ökologische Umkehr“, eine Umkehr, die den Weg bereitet für eine Stärkung des ökologischen Bewusstseins, das wiederum die Voraussetzung ist für ein verantwortliches Handeln gegenüber der Schöpfung. Dies ist die zentrale Botschaft, die Papst Franziskus uns mit seiner Enzyklika Laudato si’ nahebringen möchte. Angesichts des Zustands der Welt findet der Papst deutliche Worte: „Niemals haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten“ (LS 53). Mit der Sorge um den Erhalt des gemeinsamen Lebenshauses der gesamten Menschheitsfamilie mahnt er zugleich die Verantwortung aller Menschen an, sich für das Wohl unseres Planeten einzusetzen. Denn „die Umwelt ist ein kollektives Gut, ein Erbe der gesamten Menschheit und eine Verantwortung für alle. Wenn sich jemand etwas aneignet, dann nur, um es zum Wohl aller zu verwalten“ (LS 95). In der Realität wird aber allzu oft gegen diesen Grundsatz verstoßen. Einzelinteressen, seien sie politischer oder wirtschaftlicher Art, gewinnen die Oberhand über das Gemeinwohl – mit tiefgreifenden Folgen für die Umwelt und die Entwicklungschancen der Ärmsten einer Gesellschaft.

Die Schwächsten sind am stärksten betroffen

Wenn Papst Franziskus in seinem Schreiben auf das Gemeinwohl verweist, dann muss dies in einen engen Zusammenhang mit seinem Ansatz einer „ganzheitlichen Ökologie“ gesehen werden. Der Papst versteht darunter eine Ökologie, die auch den Menschen und seine Beziehungen zu der ihn umgebenden Wirklichkeit mit einbezieht. Dahinter steht die Einsicht, dass der Lebensraum des Menschen und die Natur nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Vor diesem Hintergrund erweitert der Papst den Horizont der Gemeinwohlvorstellung. Es entspricht seiner Überzeugung, dass die volle Entfaltung des Menschen nicht nur gerechter und menschenwürdiger Lebensbedingungen bedarf, sondern auch einer intakten und gesunden Umwelt. Die Verwirklichung des Gemeinwohls korrespondiert somit mit dem Anspruch einer ganzheitlichen Ökologie.

In der Regel ist der Staat der primäre Garant des Gemeinwohls. Er steht in der Pflicht, für einen guten Zustand des Gemeinwesens zu sorgen und dem Wohl aller seiner Bürger zu dienen. Da es eine „echte politische Weltautorität“ (LS 175), an die Papst Franziskus in der Tradition seiner Vorgänger erinnert, nicht gibt, bedarf es im Hinblick auf die Forderung eines globalen Gemeinwohls des Ausbaus beziehungsweise der Weiterentwicklung „wirkkräftig organisierter internationaler Institutionen“ (LS 175). Des weiteren fordert der Papst wirksame Formen internationalen Leaderships, um die schwerwiegenden Umweltprobleme und die ernsten sozialen Schwierigkeiten zu lösen. Damit weist er den Weg hin zu global governance. Wenn „in der Welt alles miteinander verbunden ist“ (LS 16), dann muss diese Komplexität auch in der Politik zum Ausdruck kommen. Nötig ist nach Ansicht des Papstes „eine Politik, deren Denken einen weiten Horizont umfasst und die einem neuen, ganzheitlichen Ansatz zum Durchbruch verhilft, indem sie die verschiedenen Aspekte der Krise in einen interdisziplinären Dialog aufnimmt“ (LS 197).

Staaten, internationale Organisationen und die Wirtschaft müssen in engen Dialog treten 

Zur Realisierung eines globalen Gemeinwohls ist es notwendig, dass die Staaten und die internationalen Organisationen sowie die Wirtschaft in einen engen Dialog treten und sich alle „entschieden in den Dienst des Lebens stellen“ (LS 189). Dagegen schwächt eine Haltung, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist und nationale Interessen über das globale Gemeinwohl stellt, die internationale Politik. Letztlich ist darin, so der Papst, auch die „Erfolglosigkeit der Weltgipfel über Umweltfragen“ (LS 54) begründet. Er fordert eine „Ethik der internationalen Beziehungen“ und erinnert Staat und Politik an ihre Aufgabe, angemessene Rahmenbedingungen zu setzen, um Missstände zu vermeiden.

Papst Franziskus greift in seiner Enzyklika auch die historische Verantwortung der Industrienationen auf, wenn er feststellt, dass es „eine wirkliche ökologische Schuld – besonders zwischen dem Norden und dem Süden“ (LS 51) – gibt. Ohne die Bereitschaft der reichen Länder zu einer gerechteren Verteilung der Lasten, die sich aus der Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt ergeben, wird sich dieses Ungleichgewicht nicht überwinden lassen. Als Verursacher sind die Industrienationen unmittelbar verpflichtet, die eigenen Treibhausgas-Emissionen deutlich zu vermindern und die südlichen Länder bei Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Da das westliche Modell weiterhin weltweit nachgeahmt wird, sind Fortschritte auf dem Weg zu nachhaltigen Wirtschafts- und Wohlstandsmodellen wesentlich für eine globale Neuorientierung.

Das Bewusstsein einer globalen Lebensgemeinschaft verträgt sich außerdem nicht mit der Wirklichkeit sozialer Ungerechtigkeit. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation, in der es weltweit so viel soziale Ungerechtigkeit gibt und in der immer mehr Menschen ausgeschlossen und ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt werden, verwandelt sich „das Prinzip des Gemeinwohls als logische und unvermeidliche Konsequenz unmittelbar in einen Appell zur Solidarität und in eine vorrangige Option für die Ärmsten“ (LS 158).

 Auch die nachkommenden Generationen haben Rechte

Die Solidarität, die eine wesentliche Bedingung für die Gemeinwohlverwirklichung darstellt, bezieht auch die zukünftigen Generationen mit ein. Das Wohl aller im Blick zu haben, bedeutet nicht nur, die Rechte und Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation, sondern ebenfalls die der nachkommenden Generationen zu beachten. Zum Anspruch einer intergenerationellen Gerechtigkeit gehört auch die Bewahrung der Schöpfung. Denn die Umwelt ist, so Papst Franziskus, „eine Leihgabe, die jede Generation empfängt und an die nächste Generation weitergeben muss“ (LS 159). Als Bewohner des gemeinsamen Hauses sind wir nicht nur mit denen verbunden, die zu unserer Zeit leben. Deshalb ist es unsere Verpflichtung, die Welt so zu übergeben, dass auch unsere Nachkommen menschenwürdig darin leben können.

Angesichts des weltweit großen Ressourcen- und Umweltverbrauchs ist dies allerdings nur dann zu bewältigen, wenn die reicheren Länder ihre Ansprüche deutlich verringern und für die anderen Länder zu einem überzeugenden Vorbild für einen umweltverträglichen Wirtschafts- und Lebensstil werden. Dabei ist auch die Wirtschaft in der Pflicht, Entwicklungspfade zu finden, die weitere Steigerungen des Ressourcen- und Umweltverbrauchs vermeiden, die Gefahren des Klimawandels berücksichtigen und die Entwicklungschancen der Armen verbessern.

Franziskus gibt die Hoffnung nicht auf

Doch darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die Sorge für das gemeinsame Haus ein Auftrag ist, der nicht nur Staaten und Wirtschaft, sondern allen Menschen aufgegeben ist. Die Verantwortung für das Schicksal unseres Planeten fordert jeden Menschen heraus. Vor allem für die Menschen in den entwickelten Ländern stellt sich die Frage nach dem Umfang ihres ökologischen Fußabdrucks. Nach Ansicht des Papstes bewirken Lebensstiländerungen mehr als nur einen kleinen individuellen Beitrag zum Schutz der Umwelt. Sie können auch „einen heilsamen Druck auf diejenigen ausüben, die politische, wirtschaftliche und soziale Macht besitzen“ (LS 206). Außerdem regt der Papst an, zur Stärkung eines ökologischen Bewusstseins vermehrt auf die Wirkung von Gemeinschaften zu setzen. Seiner Meinung nach ist der Einzelne oft nicht imstande, sich umweltschädlicher Konsumgewohnheiten zu entziehen. Deshalb schlägt Papst Franziskus vor, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und auf diese Weise die notwendige ökologische Umkehr zu bewältigen. Solidarität erschöpft sich somit nicht in einer persönlichen Haltung gegenüber der ökologischen und sozialen Krise, sondern es bedarf auch solidarisch verbundener Gemeinschaften. Diese ist zugleich eine Voraussetzung, um Selbstbezogenheit und individualistische Interessen zu überwinden.

Papst Franziskus findet in seiner Enzyklika klare Worte für Fehler und Defizite in der internationalen Entwicklungs- und Umweltpolitik, im Wirtschaftssystem und im Technik- und Fortschrittsverständnis, aber er verfällt keineswegs in Pessimismus. Der Papst will wachrütteln und ermutigen, Lösungen zu suchen und neue Wege zu beschreiten. Angesichts der globalen Herausforderungen wird dies nur innerhalb der Weltgemeinschaft gehen. Eine große Chance liegt in der anstehenden Weltklimakonferenz. Die Sorge für unser gemeinsames Haus verlangt, zum Wohle des Ganzen – der Menschen und der Natur – Interessen zurückzustellen und echte Kompromisse einzugehen. Jedenfalls hat Papst Franziskus die Hoffnung, „dass die Menschheit vom Anfang des 21. Jahrhunderts in die Erinnerung eingehen kann, weil sie großherzig ihre schwerwiegende Verantwortung auf sich genommen hat“ (LS 165).

Der Autor ist Bischof des Bistums Essen und katholischer Militärbischof.

Franz-Josef Overbeck

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