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Papst Franziskus.
© dpa

Umwelt-Enzyklika: Franziskus, der Papst der Endzeit

In seiner jüngsten Enzyklika zu Umweltfragen festigt Papst Franziskus sein Image als Apokalyptiker. Für Grautöne oder die Akzeptanz einer sozialen Marktwirtschaft ist in einer solchen Dramaturgie kein Platz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Vor rund 50 Jahren erschien ein Buch des italienischen Philosophen Umberto Eco mit dem Titel „Apokalyptiker und Integrierte“. Damit werden zwei extreme Pole einer Haltung beschrieben. Entweder der Mensch stellt sich außerhalb eines Phänomens und verwirft das Bestehende, oder er bildet ein Rädchen im Getriebe. Eco wollte zeigen, dass es einen dritten Weg gibt zwischen Revolution und Anpassung. Man könnte ihn als dynamischen Realismus bezeichnen: Die Dinge sind im Fluss, einiges entwickelt sich gut, anderes schlecht, Werte verändern sich, die Technik kann Freund und Feind des Menschen sein, Eigennutz, Lust und Streben nach Ruhm können die Welt bereichern oder ärmer machen. Je nachdem. Wahrscheinlich ist dies die Haltung der meisten Menschen in der westlichen Welt.

Die Apokalyptiker teilen sich in zwei Lager. Da sind, erstens, die Systemtheoretiker. „Die kapitalistische Produktion“, schreibt Karl Marx, „erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation.“ Der britische Ökonom Thomas Malthus mahnte, die Nahrungsmittelproduktion werde nicht Schritt halten mit der Bevölkerungsexplosion. Bertrand Russell, Philosoph und Literaturnobelpreisträger, veröffentlichte 1948 einen Aufsatz, in dem er einen präventiven Atomkrieg gegen die Sowjetunion forderte („Towards a Short War with Russia“). Nur so könne verhindert werden, dass es zu einem Wettrüsten und dem dritten Weltkrieg komme.

Franziskus scheint die Apokalyptiker von links und rechts zusammenzuführen

Auch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ließ sich der Hang vieler Menschen zur apokalyptischen Rhetorik beobachten, als es plötzlich um ein Armageddon zwischen den Mächten der Freiheit und der Finsternis ging. Und selbst die sonst so trockene Angela Merkel sah in der globalen Finanzkrise eine „Bedrohung unserer Gesellschaftsordnung“.

Dann gibt es, zweitens, die kulturell-moralisch argumentierenden Apokalyptiker. Sie haben den Zeitgeist im Visier, den Verfall der Sitten und Gebräuche. Ihre Vorhaltungen richten sich wahlweise gegen Frauenemanzipation, Abtreibung, Homo-Ehe, Sterbehilfe, Zerstörung der Familie, Pornographie, Islamisierung. Sieht man von der Angst vor Islamisierung ab, berühren sich Tea-Party-, Pegida- und Salafisten-Sympathisanten in der Diagnose des von ihnen abgelehnten Zeitgeistes an vielen Stellen. Allgemein lässt sich sagen, dass die System-Apokalyptiker in kulturell-moralischen Fragen oft liberal sind, während die kulturell-moralisch empfindenden Untergangspropheten meist keine Systemkritik betreiben. Plakativ gesagt: Bei attac ist man für die Homo-Ehe, bei der Tea Party für den Kapitalismus.

Papst Franziskus scheint nun die Symbiose aus beiden Formen des apokalyptischen Diskurses gelungen zu sein. In seiner jüngsten Enzyklika „Laudato Si“ (Gelobt seist du) verknüpft er die Ökologie mit der Armutsbekämpfung („das Stöhnen der Schwester Erde schließt sich dem Stöhnen der Verlassenen der Welt an“), die Kapitalismus- mit der Technikkritik. Das alles verbindet sich mit dem „ethischen und kulturellen Verfall“ des „postmodernen Menschen“ und dessen „hemmungslosem Größenwahn“.

An einer entscheidenden Stelle des Sendschreibens bekennt sich der Papst gar zum Alarmismus: „Die verhängnisvollen Prognosen dürfen nicht mehr mit Geringschätzung und Ironie betrachtet werden. Wir könnten den nächsten Generationen zu viel Schutt, Wüsten und Schmutz hinterlassen. Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Katastrophen enden kann, wie es bereits periodisch in verschiedenen Regionen geschieht.“ Deshalb stünden die Menschen vor der „Dringlichkeit, in einer mutigen kulturellen Revolution voranzuschreiten“.

Neu sind die Gedanken nicht, neu ist aber die Radikalität

Papst Franziskus bezieht sich unter anderem auf die erste Sozialenzyklika von 1891, auf Pius XI., der 1931 vor einem „Imperialismus des internationalen Finanzkapitals“ warnte, auf die Bundestagsrede von Benedikt XVI., in der er von der „Ökologie des Menschen“ sprach und dafür den Titel „grüner Papst“ bekam, sowie auf mehrere Texte der Deutschen Bischofskonferenz. Neu sind die Gedanken nicht, neu aber ist die Radikalität. „Diese Wirtschaft tötet“, hieß es bereits vor gut zwei Jahren im Schreiben „Evangelii gaudium“. Und in einem Interview mit der spanischen Zeitung „La Vanguardia“ sagte Papst Franziskus vor einem Jahr: „Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben. Einen Dritten Weltkrieg kann man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu regionalen Kriegen.“

Für Grautöne oder die Akzeptanz einer sozialen Marktwirtschaft ist in derart endzeitlicher Dramaturgie kein Platz. Dass in den vergangenen Jahrzehnten – auch durch das große Wirtschaftswachstum in Asien und Indien – die globale Armutsrate halbiert werden konnte und die UN-Millenniumsziele fünf Jahre früher erreicht wurden, kommt in dieser Anti-Wachstumsideologie nicht vor. Virtuos spielt Papst Franziskus auf der Klaviatur der apokalyptischen Horrorszenarien. Leider reiht er sich damit in jenes Getöse ein, das im Verdacht steht, die Lautstärke der Botschaft über die Botschaft selbst zu stellen.

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