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Das Logo von Uber auf einem Smartphone vor einer Taxi-Spur.
© Reuters

Sharing Economy: Wir müssen es richtig anpacken

Wir können uns in Europa auch bei der Sharing Economy keinen zersplitterten Binnenmarkt erlauben. Ein Gastbeitrag der EU-Binnenmarkt-Kommissarin.

Viele Menschen in Europa würden gerne ein Unternehmen gründen, entschließen sich jedoch letztlich nie dazu. Die Sharing Economy kann mit ihren wesentlich niedrigeren Zugangshürden eine Möglichkeit sein, erste Schritte zu wagen. Arbeitslosen kann sie eine Gelegenheit bieten, ihre Fähigkeiten einzusetzen, und sie kann Dienstleistungen und Waren für Menschen verfügbar machen, die sie normalerweise nicht nutzen können. Außerdem fördert sie das Teilen von Wirtschaftsgütern und eine effizientere Ressourcennutzung und kann somit einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Entwicklung der Wirtschaft leisten.

Nationale Behörden reagieren mit einem Flickwerk an Regulierungsmaßnahmen

Die Sharing Economy fasst in der EU schnell Fuß. In den vergangenen drei Jahren verzeichnete sie ein eindrucksvolles Wachstum. 2015 war der Umsatz fast doppelt so hoch wie 2014. Dabei geht es nicht nur um die wohlbekannten Beispiele wie Uber and Airbnb: Es gibt viel mehr einfallsreiche Menschen, die neue Nischen entdecken, so dass sie ihre Fähigkeiten austauschen und einander helfen können.

Nehmen Sie das Beispiel der deutschen Plattform Sennder, die Paketzustellungen am gleichen Tag anbietet und dabei existierende Transportkapazitäten wie etwa freie Gepäckräume von Langstreckenbussen nutzt. Oder die in Berlin gegründete Online-Plattform Wimdu, die Reisende weltweit mit Gastgebern von privaten Unterkünften verbindet. 

Doch sobald Einzelpersonen beginnen, Tätigkeiten auszuführen, die gewöhnlich von etablierten Unternehmen vorgenommen werden, verwischt die Unterscheidung zwischen gelegentlicher und gewerbsmäßiger Tätigkeit.

Nationale und lokale Behörden reagieren hierauf mit einem Flickwerk verschiedener Regulierungsmaßnahmen. Ein Beispiel hierfür sind Kurzzeitvermietungen. Städte wie London, Paris oder Amsterdam gehen mit diesen Dienstleistungen relativ flexibel um, während das deutsche Zweckentfremdungsgesetz die Nutzung von Wohneigentum für andere Zwecke als die beabsichtigte Verwendung verbietet und ein sehr striktes regulatives Umfeld für Kurzzeitvermietungen vorsieht.

Diese uneinheitliche Behandlung neuer Geschäftsmodelle schafft Unsicherheit für herkömmliche Unternehmen, neue Dienstleistungsanbieter und Verbraucher gleichermaßen. Außerdem kann sie Innovationen, die Entstehung von Arbeitsplätzen und Wachstum behindern.

Wenn Zulassungsanforderungen, Haftungsfragen oder Steuerpflichten unklar sind, werden einige davon abgehalten, den Sprung ins Ungewisse zu wagen. Die Verbraucher wiederum werden diese Dienste nicht in Anspruch nehmen, wenn sie diesen neuen Geschäftsmodellen nicht trauen.

Die Sharing Economy kann keine informelle Parallelwirtschaft sein

Wir können uns keinen zersplitterten Binnenmarkt mit 28 verschiedenen nationalen Regelungen – oder sogar noch mehr auf lokaler Ebene –, die alle von den Gerichten geprüft werden müssen, und einem Defizit an Planbarkeit und Kohärenz erlauben. Wir brauchen ein einheitliches Umfeld, wenn unsere dynamischen neugegründeten Unternehmen, die im Bereich der Sharing Economy tätig sind, gedeihen, wachsen und vom Binnenmarkt profitieren sollen. Wir müssen Wege finden, diese neuen Geschäftsmodelle anzunehmen, oder sie werden an anderen Orten wachsen. 

Zugleich kann die Sharing Economy keine informelle Parallelwirtschaft sein. Steuern sind zu zahlen, die Sicherheit muss gewährleistet sein und der Sozial- und Verbraucherschutz muss gewahrt bleiben. Die etablierten Unternehmen beklagen eine Verzerrung des Wettbewerbs. Die Akteure in der Sharing Economy andererseits geben an, dass ihnen der Marktzugang verwehrt wird. Natürlich ist Regulierung in gewissem Maße notwendig, doch wie in der herkömmlichen Wirtschaft muss es dafür gute Gründe geben wie zum Beispiel die Sicherheit am Arbeitsplatz oder die öffentliche Sicherheit. Etablierte Unternehmen vom Wettbewerb abzuschirmen, ist kein guter Grund. Wir brauchen genug Weitblick, um die Sharing Economy nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu traditionellen Modellen zu begreifen und die Bestimmungen dementsprechend festzulegen. Mit dem richtigen Rechtsrahmen kann sie zahlreiche neue Jobchancen bieten und das Wachstum steigern.

Viele Fragen sind zu beantworten: Sollten für diejenigen, die gelegentlich eine Dienstleistung erbringen, stets dieselben Anforderungen gelten wie für hauptberufliche Anbieter? Was genau bedeutet „gelegentlich“? Im Mittelpunkt der Sharing Economy stehen die Plattformen, doch was für einen Status haben sie? Wie haften sie? Wann werden Dienstleistungsanbieter auf Plattformen zu Beschäftigten?

Mit genug Fantasie sind die Antworten hierauf zu finden, und die Sharing Economy kann gedeihen, ohne dass die Standards untergraben werden. Estland ist mit Reformen im Verkehrssektor vorangeschritten. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder von diesem und von anderen Beispielen lernen kann.

Sie ist keine Gefahr für herkömmliche Unternehmen

Angesichts der unter Marktteilnehmern und Behörden herrschenden Unsicherheit und nach dem Vorbild bewährter Verfahrensweisen in der EU bieten wir nun Orientierungshilfen für die Anwendung bestehenden EU-Rechts auf die Sharing Economy. Beispielsweise stellen wir klar, dass im europäischen Recht bereits festgelegt ist, dass Dienstleistungsanbietern nur in Ausnahmefällen Zugangsanforderungen auferlegt werden sollten, die zudem verhältnismäßig sein müssen – zum Beispiel zum Schutz der öffentlichen Sicherheit. Außerdem ist es vielleicht nicht angemessen, wenn für jemanden, der ein- oder zweimal im Monat eine Dienstleistung erbringt, und einen gewerbsmäßigen Vollzeitanbieter dieselben Bestimmungen gelten. Wir rufen die Mitgliedstaaten auf, die nationalen oder lokalen Vorschriften vor diesem Hintergrund zu prüfen, um eine ausgewogene Entwicklung der Sharing Economy zu ermöglichen.

Wie jede bahnbrechende Innovation können auch neue Geschäftsmodelle Spannungen und Herausforderungen mit sich bringen, denen begegnet werden muss. Doch die Sharing Economy sollte von den herkömmlichen Unternehmen nicht als Gefahr betrachtet werden. Beim richtigen Umgang mit ihr schafft sie Arbeitsplätze und trägt dazu bei, dass mehr Menschen sich in der Wirtschaft einbringen können. Mit den ersten europäischen Leitlinien für diesen dynamischen und sich schnell entwickelnden Bereich wollen wir dafür sorgen, dass dieses Potenzial ausgeschöpft wird.

Die Autorin ist EU-Kommissarin für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und kleine und mittlere Unternehmen (KMU).

Elżbieta Bieńkowska

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