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Kinder in einer Grundschule in der Nähe von Harare, der Hauptstadt Simbabwes.
© dpa/UNICEF

Globale Nahrungsknappheit und Coronakrise: „Wir müssen betroffene Regionen widerstandsfähiger machen“

Die Pandemie hat den weltweiten Hunger drastisch verschärft. Ein Gespräch mit Dominik Ziller über die Ausrichtung der Hilfen, den Klimawandel und Lieferketten.

Herr Ziller, die Vereinten Nationen sprechen von zwei Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben – ein Viertel der Weltbevölkerung. Ist die Lage um Nahrungsmittel in der Coronakrise ebenso dramatisch?
Derzeit rechnen wir mit 700 bis 800 Millionen Hungernden weltweit. Rund 150 Millionen Menschen sind allein durch die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie hinzugekommen. Die Lage ist also sehr ernst und ein positiver Trend nicht zu erkennen. Zudem ist die Zahl der Hungernden weltweit seit 2014 wieder angestiegen. 79 Prozent der ärmsten Menschen weltweit sind in ländlichen Regionen beheimatet, leben von der Landwirtschaft und müssen dennoch Nahrung einkaufen, um zu überleben. Dort ist auch der Hunger am gravierendsten.   

Und gleichzeitig ist es Ihr Ziel, bis 2030 Hunger und Mangelernährung zu beseitigen. Könnten dann sogar mehr Menschen hungern als heute?
Wir liegen derzeit nicht auf dem richtigen Weg. Wir fallen zurück. Wenn die Weltgemeinschaft ihre Maßnahmen nicht anpasst, wird sich die durch die Pandemie gewachsene Hungerinzidenz verfestigen. Es ist sogar möglich, dass die Zahl der Hungernden weiter zunimmt. Die strukturellen Gründe hierfür müssen bereits jetzt öffentlich diskutiert werden. Denn wir können nicht von einem Notfall in den nächsten laufen. Wenn die nächste Krise aufkommt, sei es eine globale Pandemie oder ein extremes Wetterereignis, müssen betroffene Regionen widerstandsfähiger sein, um das Schlimmste zu verhindern.   

Die Pandemie wird zeitlich begrenzt bleiben. Welche weiteren Ursachen hat die Entwicklung? 
Eine große Rolle spielen Konflikte und das Bevölkerungswachstum. Viele afrikanische Staaten etwa verzeichneten vor Beginn der Pandemie ein starkes Wirtschaftswachstum. Aber das tatsächliche Wachstum pro Kopf fiel geringer aus. Die Erfolge, die man im Kampf gegen den Hunger erzielt, werden also überkompensiert. Heute zählen wir in Afrika rund 250 Millionen hungernde Menschen – das sind fast 20 Prozent der Bevölkerung des Kontinents.  

Die absolute Zahl der Hungernden in Asien ist höher. Wird Afrika also zum Hotspot der Zukunft? 
In Asien hingegen konnten vor allem die Schwellenländer Erfolge im Kampf gegen den Hunger erzielen. Sie sind wirtschaftlich enorm gewachsen, während ihre Bevölkerung weniger rasant steigt. So sind hier nur noch acht Prozent der Bevölkerung von Hunger betroffen, was angesichts der dort lebenden Bevölkerung noch immer viel ist. Wagt man eine Prognose, wird Afrika vom Hunger künftig stärker betroffen sein. Das Bevölkerungswachstum ist nur einer der Gründe dafür.  

Dominik Ziller, Vizepräsident des International Fund for Agricultural Development (IFAD), Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN.
Dominik Ziller, Vizepräsident des International Fund for Agricultural Development (IFAD), Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN.
© IFAD

Der Klimawandel ist ein anderer. Welche Rolle hat er in der aktuellen Entwicklung – und wurden die Folgen für die Ernährungssicherheit zu lange vernachlässigt?
Seine Wirkung ist enorm und gerade in Afrika zu erkennen, etwa in der Sahelzone oder im südlichen Afrika. Wir sehen eine Zunahme von Naturkatastrophen und extremen Wetterereignissen wie Starkregen. Die Phänomene zerstören Ernten und die landwirtschaftliche Infrastruktur. In vielen Regionen nimmt auch die Dürre rasant zu. Die Trockenheit erschwert es, landwirtschaftliche Flächen überhaupt effektiv zu nutzen. Das Problem: Gerade die Länder, in denen Hunger schon heute weit verbreitet ist, sind fragil. In ihnen sind die Regierungen oft nicht in der Lage, ohne externe Hilfe Maßnahmen gegen die Klimawandelfolgen zu ergreifen.   

Was kann gerade gegen die Klimawandelfolgen unternommen werden?
Wir müssen bei jedem Projekt darauf achten, die landwirtschaftliche Produktion klimaresilient zu gestalten, etwa durch hitzebeständige Pflanzen oder solche, die wenig Wasser benötigen. Auch effiziente Formen der Bewässerung wie Tröpfchenbewässerung spielen eine Rolle, oder kleinere Staudämme und Bewässerungsleitungen, damit Wasser ganzjährig zur Verfügung steht. 25 Prozent unserer Mittel gehen in Maßnahmen, die gezielt die Folgen des Klimawandels betreffen.

Wichtig ist klimaresistenteres Saatgut zur Verfügung zu stellen. Denn blieben wir bei den verwendeten Sorten, würden die Erträge bei Weizen, Reis und Mais und Soja erheblich reduzieren, wenn auch im einstelligen Prozentbereich. In den Regionen, die vom Klimawandel erheblich betroffen sind, könnten sich die Erträge sogar halbieren.  

Die Erträge zu erhöhen, ist das eine. Während der Pandemie war auch der Zusammenbruch der Lieferketten zu beobachten.
Auch deshalb ist die Errichtung regionaler Strukturen sinnvoll. In wenigen Jahrzehnten werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Allerdings: Afrika könnte ohne Weiteres sechs Milliarden Menschen ernähren, wenn die Bewirtschaftungsmethoden angepasst würden und das landwirtschaftlich nutzbare Land eingesetzt wird – noch immer naturnah und nachhaltig. 

Bauern bei der Feldarbeit in Nsanje, Malawi.
Bauern bei der Feldarbeit in Nsanje, Malawi.
© DPA

Warum ist die Diskrepanz dann so groß?  
Das Geschäftsmodell vieler Länder ist der Export von Rohstoffen, mit dessen Profiten die Entwicklung und der Nahrungsmittelimport finanziert werden. Doch sobald die Öl- und Gaspreise sinken, wie im Zuge der Pandemie, leidet die wirtschaftliche Kraft und die Fähigkeit des Imports – vor allem dann, wenn Lieferketten zusammenbrechen. In vielen Staaten beobachten wir nun ein Umdenken. Know-how und technische Beratung werden erfragt. Das ist ein Lichtblick.  

Reichen die Mittel, um eine Trendwende im Kampf gegen den Hunger zu erreichen?
Die vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie „Ceres2030“ beziffert den Bedarf auf 14 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Denn die Herausforderungen der Weltgemeinschaft sind groß, wenn sie gleichzeitig Fragilität, Konflikt sowie Hunger und Klimawandel adressieren muss. Landwirtschaftliche Entwicklung kann viel Not lindern und wirtschaftliche Stabilität schaffen. Hierfür haben wir jährlich rund 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung.

IFAD steht mitten in den Verhandlungen für den Dreijahreszeitraum ab 2021, die Geldgeber sind überwiegend Staaten, zudem einige staatliche Banken. Da wir neben langfristigen Krediten auch Zuschüsse auszahlen, braucht es diese Auffüllungen. Wir rechnen damit, dass wir bei erfolgreicher Wiederauffüllung unsere Wirkung verdoppeln und so das jährliche Einkommen von Millionen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in ländlichen Regionen erhöhen könnten.

Dominik Ziller ist seit August 2020 Vizepräsident des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen.

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