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Zwei Jungen vom Volk der Turkana laufen über ausgetrockneten Boden in der Nähe ihres Dorfes Gakong in Kenia.
© dpa/ Stephen Morrison

Klimawandelfolgen und Hunger: „Bei uns schrillt immer öfter die Sirene“

Längst sind Klimaereignisse neben Konflikten Haupttreiber von Flucht. Ein Interview über Klimawandelfolgen, Vorsorge und humanitäre Hilfe.

Gernot Laganda, 47, ist Leiter der Klima- und Katastrophenpräventionsabteilung im Welternährungsprogramm (WFP) der UN. Das Programm erreicht jährlich 90 Millionen Menschen.

Herr Laganda, wie wird es einem Bauern in Namibia in 50 Jahren im Vergleich zu einem in Landwirt Brandenburg gehen?
Die Probleme sieht man schon heute. Ein Kleinbauer in Namibia hat weniger Möglichkeiten, sich an Klimaveränderungen anzupassen. Er hat weniger Zugang zu Technologien und Krediten gegen Ernteausfälle. Selbst sein Zugang zu Wetterinformationen ist geringer.
Wir wissen um die Erderwärmung, die Staatengemeinschaft versucht diese auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch in Afrika ist die Schwelle zu 1,5-Grad bereits durchbrochen. Als würde ein Bauer im südlichen Afrika heute schon in jener Zukunft leben, die wir noch zu verhindern suchen. Wir sehen Ungleichgewichte. Regionen, die heute schon unter dem Klimawandel leiden, werden besonders betroffen. Die Klimawandelfolgen werden in 50 Jahren Kleinbauern weltweit betreffen.

Weltweit betrachtet scheint genug Nahrung für alle Menschen vorhanden. Und doch müssen viele Millionen Menschen hungern. Woran liegt das?
Die Hauptgründe liegen in regionalen Konflikten und extremen Wetterereignissen. Hinsichtlich des Klimawandels unterscheiden wir zwei Formen: Zum einen sprechen wir von „climate shocks“, also Ereignissen wie Stürmen, Überflutungen oder lange anhaltenden Dürren.
Zum anderen sehen wir eine Reihe schleichender Prozesse: Versalzung der Böden, Erosion oder Ernteausfälle durch Schädlinge. In unserer Arbeit haben wir vor allem mit den Extremereignissen zu tun, weil sie die akuten Nahrungsmittelknappheiten auslösen. Wenn wir gerufen werden, um Leben zu retten, sind die Nahrungsmittelsysteme bereits zusammengebrochen. Derzeit gehen wir von 822 Millionen hungernden Menschen weltweit aus.

Die Zahl der Hungernden weltweit ist einige Jahrzehnte lang gesunken, seit drei Jahren steigt sie wieder. Ist dies vor allem dem Klimawandel zuzuschreiben?
Der schlimmste Hunger besteht in Kontexten, wo Klimaereignisse und Konflikte in Wechselwirkung miteinander stehen. Wenn Nahrungsmittelknappheit und fehlende Mobilität wegen des Konflikts zusammenkommen. Unsere Aufgabe ist es, im Kontext des jeweiligen Landes zu arbeiten.

Der Klimawandel führt auch zu mehr extremen Niederschlägen in Europa, den USA und Russland. Doch hier bestehen keine Nahrungsmittelengpässe. In welchen Regionen sieht es schlechter aus?
Über zwei Millionen Bauern in Zentralamerika verloren in der Saison 2018/ 2019 ihre Ernte. Sie verlieren ihre Lebensgrundlage, verkaufen ihre Werkzeuge, nehmen die Kinder aus der Schule. Zyklisch sind auch das Horn von Afrika und das südliche Afrika betroffen, wenn sich längere Trockenperioden und massive Regenfälle abwechseln. Im asiatischen Raum, beispielsweise in Bangladesch, ist eher mit Überflutungen zu rechnen.

Seit den frühen 1990er-Jahren hat sich die Zahl der Klimakatastrophen auf rund 200 mehr als verdoppelt. Derzeit sind 22 Millionen Menschen im Jahr gezwungen aufgrund von Klimaereignissen zu migrieren, weil sie ihre Lebensgrundlagen verlieren. Die meisten innerhalb des jeweiligen Landes. Erzwungene Migration wird ein immer größeres Problem.

Gernot Laganda ist Leiter der Klima- und Katastrophenpräventionsabteilung im Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.
Gernot Laganda ist Leiter der Klima- und Katastrophenpräventionsabteilung im Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.
© World Food Programme

Wie weit wirft Sie der Klimawandel denn zurück?
Der Klimawandel läuft schneller, als wir dies mit humanitärer Hilfe einholen können. Die meisten dieser 90 Millionen Hilfsbedürftigen sind auf das Verteilen von Nahrungsmitteln angewiesen. Doch 40 Prozent des humanitären Bedarfs werden gar nicht abgedeckt. Wir versuchen diese Lücke unter anderem durch bessere Vorhersagen zu schließen – damit wir humanitäre Hilfe leisten können, bevor die Ereignisse eintreten.
Wenn wir in Nepal einen US-Dollar in vorhersagebasierten Methoden investieren, spart uns das etwa drei US-Dollar in der Reaktion auf ein konkretes Ereignis. Doch die humanitären Mittel bleiben zu gering. Damit kann man dem Klimawandel wenig entgegensetzen.

Und gleichzeitig ist Ihr Ziel, bis 2030 Hunger und Mangelernährung zu beseitigen. Ist das nicht utopisch?
Dieses Ziel braucht es – allerdings werden Prävention und humanitäre Hilfe immer Hand in Hand gehen müssen. Wenn beispielsweise ein Kategorie-5-Sturm über die Karibik zieht, sind enorme Schäden und die Notwendigkeit humanitärer Hilfe unvermeidbar. „Zero Hunger“ bis 2030 ist in einem Kontext in dem extreme Wetterereignisse immer häufiger und schwerer werden allerdings nicht sehr wahrscheinlich.

Bestimmte landwirtschaftliche Produkte reagieren besonders empfindlich auf die Klimawandelfolgen. Ist eine Umstellung der Landwirtschaft erforderlich?
Weizen und Mais sind besonders klimaempfindlich. Subventionen für den Maisanbau sind daher nicht unbedingt eine clevere Anpassungsstrategie. Wir befürworten Diversifizierung und Intercropping, also beispielsweise den Anbau von Mais und Bohnen in gemeinsamen Systemen. In Nepal baut man in manchen Gegenden weniger Reis an, gleichzeitig kann man durch die wärmeren Temperaturen aber Bananen ernten.

Trotzdem geht Ihre Organisation im Fall einer idealen Anpassung an die Klimawandelfolgen und bei geringen zusätzlichen Emissionen in vielen Ländern, etwa in Namibia, im Jahr 2050 von einer schlechteren Ernährungssituation aus als heute.
Wir erleben jetzt die Auswirkungen auf das Klima, die wir durch unseren CO2-Ausstoß längst erzeugt haben.  Die Entscheidungen, die wir heute in unseren Volkswirtschaften treffen, bekommt erst die Generation unserer Kinder zu spüren. Die 1,5-Grad-Schwelle wird auf jeden Fall überschritten. In einigen afrikanischen Ländern ist das Durchschnittsklima bereits jetzt bis zu zwei Grad höher als in vorindustriellen Zeiten.

Das ist die Realität, in der wir leben. Auch wenn wir jetzt an allen Rädern drehen, um die Emissionen zu reduzieren, sind wir bereits sehr weit fortgeschritten auf dem Weg zu den zwei Grad globaler Erwärmung, die wir momentan als Limit sehen.

Viele Menschen kennen das Welternährungsprogramm von den Hilfslieferungen, die oft über weite Strecken transportiert werden und viel Verpackungsmüll mit sich bringen. Das ist wiederum schlecht für das Klima. Wie nachhaltig ist Ihre Organisation?
Wir haben ein Null-Emissions-Ziel in unserer Umweltstrategie verankert. Unser Dilemma ist: Je weiter der Klimawandel voranschreitet, desto mehr Krisenhilfe müssen wir leisten. Dadurch ist die ganze Transportflotte vermehrt im Einsatz. Wir konnten unsere Emissionen trotzdem um 14 Prozent reduzieren.
In unseren Büros, die oft in sehr entlegenen Regionen sind, haben wir an der Energieeffizienz gearbeitet oder die Dieselgeneratoren durch Solarpanels ersetzt. Für den Rest der Emissionen müssen wir aber CO2-Zertifikate kaufen.

Die Folgen des Klimawandels müssen Sie vor allem mit Mitteln aus Industrieländern abfedern. Gleichzeitig transportieren diese Staaten zum Beispiel Soja mit fossilen Brennstoffen und betreiben damit eine klimaschädliche Fleisch- und Milchindustrie. Müssen vielleicht nicht nur die Entwicklungsländer nach lokalen, nachhaltigen Lösungen zur Lebensmittelgewinnung suchen?
Wir sind vor allem mit den Auswirkungen des Klimawandels befasst. Das Welternährungsprogramm ist ein bisschen wie eine Feuerwehr. Das heißt, bei uns schrillt immer wieder die Sirene. Vor dreißig Jahren haben die Feuerwehren vielleicht die Autos poliert, wenn sie nichts zu tun hatten. Mittlerweile fahren sie auch raus und betreiben Prävention, damit die Frequenz, in der die Sirenen schrillen, abnimmt. Das ist unser Zugang.

Matthias Jauch, Nantke Garrelts

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