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Mehr Gentechnik wagen! Dafür plädiert Julia Klöckner (hier im April bei der Besichtigung einer Wald-Wiederaufforstungsfläche).
© J.Krick/Future Image/imago images

Nicht nur bei Corona, auch in der Agrarwirtschaft: Wir müssen auf Experten hören – und mehr Gentechnik wagen!

An der Virusfront hören alle auf ausgewiesene Wissenschaftler. Warum das auch bei Fragen zu Züchtungstechnologien wünschenswert wäre. Ein Gastbeitrag.

- Julia Klöckner ist Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft (CDU)

In diesen Tagen schenken wir Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen viel Gehör. Ob es um den Klimawandel oder die Corona-Pandemie geht – ihre Worte haben bei uns zurecht Gewicht. Ich wünsche mir, dass wir die Impulse der Wissenschaft auch für die Debatte über den Einsatz neuer Züchtungstechniken in der Landwirtschaft aufnehmen. Pro oder contra Gentechnik, die Fronten sind seit Jahrzehnten verhärtet. Zwischen Heilsversprechungen einerseits und Verteufelung andererseits bleibt kaum Platz für Zwischentöne.

Die Züchtungsforschung geht derweil rasend schnell voran: Schon seit Beginn der Landwirtschaft, hat die Wissenschaft besonders geeignete Pflanzenexemplare ausgewählt und vermehrt. Unsere heutige Ernährung wäre ohne diese Züchtung nicht denkbar. Seit Jahrzehnten werden zufällige Veränderungen beispielsweise durch Bestrahlung forciert und nach dem Prinzip von „trial and error“ für die Züchtung eingesetzt. Gleicht dies oft der Suche nach der Nadel im Heuhaufen, so können neue Techniken wie Crispr/Cas das Erbgut viel gezielter bearbeiten. Wir sprechen hier von "genome editing".

Dabei müssen nicht unbedingt fremde Gensequenzen in den Organismus eingefügt werden. Es können auch Veränderungen herbeigeführt werden, die sich nach heutigem Stand der Technik nicht unterscheiden lassen von spontanen Zufallsmutationen, wie sie in der Natur ständig vorkommen.

Züchtungsprozesse können wir auf diese Weise massiv beschleunigen. Je nach Kulturart werden Zeiteinsparungen von sechs bis 50 Jahren genannt. Diese Zeit könnten wir dort klug nutzen, wo der Innovationsdruck besonders hoch ist. Bis 2030 strebt die Europäische Kommission an, die Hälfte der Pflanzenschutzmittel einzusparen. Neue Techniken können dabei helfen: Die Forschung arbeitet mit den neuen Techniken an pilz- und krankheitsresistenten Sorten, die Erträge mit weniger Chemie sichern.

Bis zum Jahr 2030 haben wir uns mit den globalen Nachhaltigkeitszielen vorgenommen, den Hunger zu beenden. Genomeditierte hitze- und trockentolerante Sorten könnten dazu einen Beitrag leisten, gerade auch in Gegenden, in denen die Selbstversorgung eine Herausforderung ist.

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Aber sind die Weichen auch so gestellt, dass wir die Potenziale der neuen Techniken gut nutzen können? In der EU sind diese neuen Techniken als Gentechnik streng reguliert. Das ist in vielen Teilen der Welt anders. In der EU müssen Pflanzen, die mit ihrer Hilfe gezüchtet wurden, aufwändige Zulassungsverfahren durchlaufen, die insbesondere klein- und mittelständische Zuchtunternehmen kaum stemmen können.

Für mich ist das Vorsorgeprinzip ein hohes Gut. Wir müssen bei seiner Anwendung aber auch den aktuellen Stand der Wissenschaft berücksichtigen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler plädieren für eine differenzierende Sichtweise auf neue Züchtungstechniken. Es komme für die Risikobewertung einer veränderten Pflanze nicht auf das eingesetzte Werkzeug, sondern auf die konkret bearbeiteten Eigenschaften an – also auf das Produkt, nicht auf das Verfahren.

Wir können uns den Technikverzicht nicht leisten

Daher müssen wir uns im Einzelfall ansehen, ob eine genomeditierte Pflanze tatsächlich Gefährdungspotenzial für Mensch, Tier oder Umwelt birgt. Davon muss abhängen, ob eine vertiefte Risikoprüfung in einem Zulassungsverfahren durchgeführt wird. So können wir vermeiden, dass beispielsweise zwei genetisch identische Organismen unterschiedlichen Zulassungsanforderungen unterliegen. Dem Vorsorgeprinzip würde Rechnung getragen und gleichzeitig dringend benötigten Innovationen der Weg geebnet. Ich bin überzeugt: Angesichts der globalen Herausforderungen, können wir es uns nicht leisten, die neuen Techniken links liegen zu lassen. Wir sollten sie zu unseren Bedingungen nutzen – für eine nachhaltige und leistungsfähige Land- und Ernährungswirtschaft.

Julia Klöckner

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