Familienministerin Manuela Schwesig im Interview: "Wir machen Druck"
Die SPD will sich 2015 zum Anwalt der 30- bis 50-Jährigen machen - jener Altersgruppe, die SPD-Chef Sigmar Gabriel die „gehetzte Generation“ nennt. Vor allem auf eine Sozialdemokratin wird es dabei ankommen: Familienministerin Manuela Schwesig. Hier spricht sie darüber, wie sie ihr Projekt Familienarbeitzeit auch gegen Widerstände vorantreiben will.
Frau Schwesig, warum ist die SPD für viele in der Generation der 30- bis 50-Jährigen keine attraktive Partei?
Bislang haben wir uns nicht genug um diese Generation gekümmert. Das ändert sich. Wir erleben jetzt eine Trendwende. Die Familienpolitik stößt neben der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auf die höchste Zustimmung. Jetzt muss nur noch gelingen, diese Zustimmungswerte in Stimmen für die SPD umzuwandeln.
Wie soll das gehen?
Nicht nur die Familienministerin, sondern alle Sozialdemokraten müssen sich für die 30- bis 50-Jährigen ins Zeug legen. Die Generation der arbeitenden Mitte, also die Leistungsträger dieser Gesellschaft, muss wissen, dass wir für sie da sind. Sie steht jeden Tag unter einem enormen Druck, muss sich im Beruf beweisen, ohne die eigene Familie zu vernachlässigen.
SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht von der "gehetzten Generation". Ist das übertrieben?
Er beschreibt damit die Erfahrung vieler Familien treffend. Die Menschen der "gestressten Generation" erleben diese Doppelbelastung:. Sie wollen etwas leisten, sie wollen Erfolg im Beruf haben und sie wollen Familie. Das sind berechtigte Wünsche. Aber sie erleben jeden Tag, dass sie es in dieser Arbeitswelt schwer haben, allem gerecht werden. Die SPD muss diese Themen ansprechen und Unterstützung anbieten. Es ist wichtig, dass Familien spüren, dass es Politiker gibt, die Ahnung von ihren Nöten haben.
Was ist das größte Problem der "gehetzten Generation"?
Für Familien ist nicht nur Geld wichtig, sondern auch Zeit. Die Unternehmen in Deutschland verlassen sich noch immer darauf, dass der Mann Vollzeit rund um die Uhr verfügbar ist, weil die Frau im Zweifel ja für die Kinder sorgt. Die Arbeitswelt geht von einem völlig überholten Familienmodell aus. In Wahrheit wollen die meisten jungen Frauen Kind und Job. Und viele junge Männer wollen selbstverständlich gleichberechtigt für ihre Kinder da sein. Diesem Wandel müssen wir Rechnung tragen.
Was unterscheidet die "gehetzte Generation" von der ihrer Eltern und Großeltern, die ja auch nicht auf Rosen gebettet war?
Man darf die Generationen nicht gegeneinander ausspielen, jede hat ihre eigenen Herausforderungen. Ich weiß aus vielen Gesprächen: Die Großeltern treibt es genauso um, wie sehr ihre Kinder oder Enkelkinder nun herausgefordert werden und unter Stress stehen. Und sie wünschen sich genauso dringend, dass die Politik darauf eine Antwort gibt.
Die Ministerin spricht über ihre eigene Zerrissenheit
Wie kann die Antwort aussehen?
Ich habe vor einem Jahr eine Familienarbeitszeit vorgeschlagen. Mütter und Väter wollen heute beides: Familie und Beruf. In der Arbeitswelt stoßen sie hierbei an Grenzen, weil in der Regel nur ein Vollzeitjob ein ausreichendes Einkommen und Perspektiven sichert. Deshalb arbeiten die meisten Männer in Vollzeit und die Frauen überwiegend ungewollt in Teilzeit. Mir geht es darum, dass die Arbeitszeit für Familien besser verteilt wird. Es muss für Männer und Frauen möglich sein, in Familienphasen Teilzeit, zum Beispiel 32 Stunden zu arbeiten, auch ohne große Nachteile zu haben. Damit würden wir Eltern sehr entlasten. Für ein solches Modell brauchen wir das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit, so wie es Arbeitsministerin Andrea Nahles plant. Außerdem müssen wir finanzielle Unterstützung für die Familien ausloten.
Das Vorhaben steht nicht im Koalitionsvertrag, die Union zeigt sich sehr reserviert.
Schon jetzt haben wir zwei Gesetze verabschiedet, die Schritte hin zur Familienarbeitszeit sind: Ich spreche vom ElterngeldPlus, das einen längeren und flexibleren Bezug von Elterngeld ermöglicht. Wir unterstützen damit Teilzeitarbeit jüngerer Eltern finanziell besser. Dazu kommt die Familienpflegezeit. Sie ermöglicht eine finanzielle Unterstützung, wenn ein berufstätiges Familienmitglied sich um einen Angehörigen kümmert.
Die SPD zeigt, dass sie das moderne und soziale Gesicht dieser Bundesregierung ist und wichtige Vorhaben vorantreibt. Wir werden bei der Familienarbeitszeit weiter Druck machen. Das Wichtigste ist doch, dass viele Menschen spüren, dass mein Vorschlag einen Nerv trifft. Ich bin sicher, dass niemand in der Politik dieses Thema ignorieren kann.
Was kostet die Familienarbeitszeit - und woher soll ohne neue Schulden das Geld dafür kommen?
Da rechnen wir verschiedene Modelle, bei der auch die positiven Effekte für Wirtschaft, Gesellschaft und Staat berücksichtigt werden.
Was meinen Sie damit?
Ich bin überzeugt: Es rechnet sich für unsere Gesellschaft und für den Staat, wenn der Bund Geld für die Familienarbeitszeit ausgibt. Das haben Berechnungen des Deutschen Institutes für Wirtschaft gezeigt. Frauen mit Kindern wollen lieber 30 statt 19 Stunden arbeiten, Männer mit Kindern lieber 35 statt 40 Stunden. Wenn sich das annähert, erhöhen sich die Gesamtarbeitsstunden und damit das Familieneinkommen - und es bleibt trotzdem Zeit für Familie. Das Einkommen ist dann auch stabiler. Außerdem ist die Familienarbeitszeit auch ein großer Beitrag zur Gleichberechtigung.
Das müssen Sie uns erklären.
Sie hilft, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern zu schließen. Es ist eine der größten Ungerechtigkeiten in Deutschland, dass der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern bei 22 Prozent liegt. Wenn sich die Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen anders verteilt, kann man die Lohnlücke schließen. Somit verhindern wir auch Altersarmut für Frauen.
Politischer Spitzenjob in Berlin, Familie mit siebenjährigem Sohn und Ehemann in Schwerin - wie kommen Sie eigentlich persönlich mit diesem Druck klar?
Es ist für mich genauso ein Spagat wie für andere Frauen. Viele Frauen spüren sehr stark diese Zerrissenheit: Wenn sie im Job nicht voll präsent sind, erfahren sie Nachteile. Wenn sie für ihre Kinder nicht voll da sind, werden ihnen Vorwürfe gemacht oder sie machen sie sich selbst. Mein Mann ist auch berufstätig, hat seine Arbeitszeit aber reduziert. Wir sitzen jeden Sonntag zusammen, legen unsere Terminkalender nebeneinander und schauen, wie wir gut zusammen durch die Woche kommen.
Und das klappt immer?
Nicht immer, aber meistens. Wenn allerdings eine Situation eintritt, wie nun, da mein Vater ins Krankenhaus muss und ich ihn nächstes Wochenende besuchen will, müssen wir das organisieren. Er wohnt ein ganzes Stück weg von Schwerin.
Dabei sind Sie als Ministerin privilegiert.
Das stimmt. Mein Mann und ich haben sicher finanziell bessere Möglichkeiten als viele andere Familien in Deutschland. Dennoch erlebe auch ich diese Zerrissenheit. Es gibt immer noch Aufgaben in der Familie und im Job, für die ich gern mehr Zeit hätte. Es wird immer ein Spagat sein zwischen Beruf und Familie. Politik und Arbeitswelt müssen es den Familien leichter machen. Und da gibt es noch eine Menge zu tun.