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Die Zeit rast vorbei: Zwischen Ende 20 und Anfang 40 versuchen Familien, Kinder, Karriere und Partnerschaft unter einen Hut zu bekommen.
© pa

Familienpolitik: Die Politik entdeckt die gehetzte junge Generation

Wer tags Überstunden macht und nachts die Kinder tröstet, kommt schnell an die Belastungsgrenze. Die SPD will sich nun zum Anwalt der "Rushhour-Generation" machen, der jungen Familien, in denen beide arbeiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Charlie Chaplins Darstellung des gehetzten Fabrikarbeiters ist ein Meilenstein der Kinogeschichte. „Modern Times“ heißt der Film bezeichnenderweise, in dem der gnadenlose Takt des Fließbands den Tramp Charlie zurichtet und auf dessen eigenes, menschliches Tempo keinerlei Rücksicht nimmt. Mit seinen großen Schraubenschlüsseln und panisch aufgerissenen Augen wird Charlie vom Räderwerk der Maschine schließlich fast zermalmt. So gehetzt und gebeutelt ist der arme Mann am Ende, dass er überall nur noch Schrauben sieht und in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden muss.

Das Paradoxe ist: Der Fortschritt hat das Dilemma erst erzeugt

Achtzig Jahre später hat sich die Welt der Fabriken und hat sich die Gesellschaft insgesamt nachhaltig verändert. Die Hetze und der Stress aber machen vielen Menschen nicht weniger zu schaffen als damals dem Tramp Charlie, auch wenn nicht jeder wie er gleich in der Psychiatrie landet. Besonders unter Druck stehen junge Mütter und Väter, die beides unter einen Hut bringen wollen: die in ihrem Beruf erfolgreich sein und gleichzeitig selbst für ihre Kinder sorgen wollen. Die Belastung von Männern und Frauen im Alter zwischen Ende 20 und Anfang 40 hat im Vergleich zur Vorgängergeneration nicht ab-, sondern sogar noch zugenommen. Das ist paradoxerweise eine Folge gesellschaftlichen und politischen Fortschritts, nämlich einer immer besseren und längeren Ausbildung und einer zunehmend gerechteren Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen in der Familien- und Erziehungsarbeit.

Junge Eltern investieren heute mehr Zeit in ihre Kinder als früher. Das schlaucht.

Denn die Leistungs- und Wissensgesellschaft braucht nicht wie noch in den 70ern und 80ern vor allem Produktionsfacharbeiter, die schon mit Mitte 20 ihr höchstes Gehalt bekommen. Sie ruft nach immer mehr Hochschulabsolventen, die oft erst mit Ende 20 in den Beruf einsteigen und erst im sechsten Lebensjahrzehnt das obere Ende ihrer Verdienstskala erreichen. Die Ausbildungsabschlüsse der Frauen, auch das ein Fortschritt, sind heute sogar besser als die der Männer. Eine Generation früher wurde noch viel häufiger das traditionelle Familienmodell gelebt, in dem sich die Mutter als Hausfrau um die Kinder kümmerte und der Vater als Alleinversorger seiner Erwerbsarbeit nachging und das Geld nach Hause brachte. Damals mussten Eltern auch noch weniger Zeit für ihre Kinder aufwenden als heute, da inzwischen die Bildungsansprüche vieler Familien gestiegen sind. Auch Hausaufgabenbetreuung verschlingt schließlich Zeit und Nerven. Junge Eltern der heutigen Generation verfolgen oft das Ziel partnerschaftlicher Familienarbeit und handeln dann untereinander aus, wer wann Fürsorgezeit leistet, in seinem Job pausiert und dafür am Arbeitsmarkt mit systematischer Benachteiligung bezahlen muss. Noch immer trifft das häufiger die Frauen, auch wenn die Partnermonate beim Elterngeld den Anteil der Väter vervielfacht haben, die für die Versorgung ihres Babys pausieren.

"Rushhour des Lebens" nennt der Berliner Soziologe Hans Bertram die Phase

„Rushhour des Lebens“ nennt der Berliner Soziologe Hans Bertram die Phase, in der Männer und Frauen zwischen Ende 20 und Anfang 40 alles unter einen Hut kriegen wollen – Karriere machen, heiraten, Kinder kriegen. Bertram spricht von einer „überforderten Generation“, die in fünf Jahren all das leisten müsse, wofür junge Erwachsene in den 70er und 80er Jahren noch zehn Jahre Zeit hatten.
Mit Anfang bis Mitte 30 kommen zu den Überstunden im Job noch jene nervenaufreibenden Stunden hinzu, in denen tagsüber oder nachts quengelnde oder nähebedürftige Kinder beruhigt und bespielt werden müssen. Paare dieser Altersklasse, so zeigen Untersuchungen, fühlen sich wesentlich gestresster als jüngere und ältere und leiden nicht selten an körperlichen Symptomen wie Rückenschmerzen oder Bluthochdruck oder müssen sich mit psychischen Leiden herumplagen.
Lässt sich die „Rushhour“ im Lebenslauf wieder entzerren – und was kann die Politik dazu beitragen? SPD-Chef Sigmar Gabriel hat nun angekündigt, er wolle seine Partei zum Anwalt der „gehetzten Generation“ machen. Ein starkes Argument kann die SPD schon auffahren: Ihre Familienministerin Manuela Schwesig präsentierte schon vor einem Jahr ihren Vorschlag für eine reduzierte „Familienarbeitszeit“. Zwar sprach der Regierungssprecher anschließend von einer „persönlichen Vision“ der Ministerin und machte deutlich, dass der Bund kein Geld für einen Ausgleich der zugunsten von Familienarbeit reduzierten Löhne und Gehälter bereitstellen werde. Doch auch Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht längst davon, wie wichtig die Bürger das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie nehmen. Der politische Wettbewerb um die beste Lösung für die „Rushhour des Lebens“ ist damit eröffnet. Die gestressten Eltern, so sie denn überhaupt Zeit für einen Blick in die Zeitung finden, können das nur begrüßen.

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