Italien: „Wir erleben eine Radikalisierung der Opposition“
Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Gianni Pittella, hält nichts von einem Sparkurs nach deutschem Vorbild. Im Interview spricht er sich gegen weitere Einschnitte im italienischen Haushalt für das kommende Jahr aus.
Herr Pittella, fast alle italienischen Oppositionsparteien setzen sich inzwischen für einen Euro-Austritt in irgendeiner Form ein. Macht Ihnen diese Entwicklung Angst?
Man muss differenzieren. Die gesamte Opposition in Italien hat nicht ein und dieselbe Haltung zu Europa und zum Euro. Zum Beispiel teilt Berlusconi nicht den Populismus der Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung. In meinen Augen besteht die Gefahr in Italien allerdings darin, dass sich hier eine ähnliche Entwicklung vollzieht, wie wir sie in Frankreich mit dem Front National von Marine Le Pen erleben. Wir haben es auch in Italien mit einer Radikalisierung der Oppositionsparteien zu tun. Dabei wird der Forza Italia von Berlusconi die eigene Schwäche zum Verhängnis – sie wird von der rechtspopulistischen Lega Nord regelrecht kannibalisiert.
Wie kommt es, dass der Euro bei Italiens Oppositionsparteien immer mehr an Popularität einbüßt?
Alle diese Parteien spekulieren auf eine Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Krise. Sie nutzen die Verzweiflung der Leute aus. Es gibt nur eine Methode, die betreffenden Parteien aus dem Feld zu schlagen: Wir müssen konkrete Ergebnisse bei der Krisenbekämpfung liefern – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.
Haben EU-Partner wie Deutschland genug getan, um die Krise in Italien zu entschärfen?
Als Initiator des Sparkurses ist Deutschland Täter und Opfer zugleich. In den vergangenen Jahren hat Deutschland die europäische Wirtschaftspolitik ganz entscheidend beeinflusst. Dank der Sozialdemokraten im Europaparlament, der italienischen EU-Ratspräsidentschaft und wichtiger Partner wie Frankreich hat sich nun die Erkenntnis durchgesetzt, dass Europa neben der Stabilität auch Wachstum braucht.
Deutschland plant für das kommende Jahr einen Haushalt ganz ohne neue Schulden. Ist das denn kein Vorbild für die übrigen Euro-Staaten?
Für Italien ist das jedenfalls nicht das richtige Modell. Natürlich müssen wir eine übermäßige Verschuldung vermeiden. Aber eine gemäßigte Neuverschuldung hat uns in der Vergangenheit stets geholfen, Wachstum, Arbeitsplätze und den sozialen Zusammenhalt zu sichern.
Italien gehört zu den sieben Euro-Staaten, deren Haushalt für 2015 bei der EU-Kommission bis zum kommenden März weiter auf dem Prüfstand steht. Muss Italiens Regierungschef Matteo Renzi nun Einschnitte planen, um den Brüsseler Vorgaben gerecht zu werden?
Nein, denn Italiens Neuverschuldung liegt unter der vorgegebenen Grenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung.
Aber Brüssel hat ein Problem mit der hohen Gesamtverschuldung Italiens – sie liegt bei über 133 Prozent.
Italien durchleidet eine Rezession. Aus diesem Grund ist ein strikter Konsolidierungskurs gar nicht möglich. Es geht jetzt vor allem darum, Wachstum zu schaffen – das sieht auch die EU-Kommission so.
Also muss Renzi bis zum kommenden Frühjahr keine zusätzlichen Anstrengungen unternehmen, um die Brüsseler Vorgaben zu erfüllen?
Doch. Die Regierung von Matteo Renzi hat schon eine ganze Reihe von Strukturreformen auf den Weg gebracht, vor allem beim Arbeitsrecht. Als Nächstes müssen die Verfassungs- und Wahlrechtsreform durchs Parlament in Rom gebracht werden.
Frankreich muss im kommenden Frühjahr Sanktionen der EU-Kommission befürchten, wenn Paris bei der Etatpolitik nicht gegensteuert. Was muss Frankreich tun, um Strafzahlungen zu vermeiden?
Ich glaube, dass Strafen nicht auf der Tagesordnung stehen. Die Regierung in Paris wird – so wie das Kabinett in Rom – nach meiner Einschätzung alles Mögliche unternehmen, um Sanktionen abzuwenden. Für die Kommission wird es im kommenden Frühjahr keine Notwendigkeit geben, gegen Frankreich oder Italien vorzugehen.