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Eine Frau mit Nikab in Leipzig.
© Peter Endig/dpa

"Berliner Erklärung" zur Inneren Sicherheit: Wir dürfen uns nicht mit Symptomen aufhalten

Bildungssystem, Sozialarbeit und öffentlicher Diskurs müssen demokratisches Wissen, Denken und Empfinden vermitteln. Das ist wichtiger als die demonstrative Härte der Unions-Innenminister. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Angst, Ärger und Unmut brodeln unter der Sommerlaune der Deutschen: Zu viele Fremde sind gekommen, wer weiß, was sie alles anstellen! Zu wenig wird gegen die Gefahr getan, der Staat schützt uns nicht genug! Verursacht wird das Gebrodel durch eine Mixtur aus realen Befürchtungen und irrealen Ressentiments, und das nicht erst seit den Attacken in Würzburg und Ansbach. Schon vorher brannten Asylunterkünfte und erschollen tausendfach Hassparolen. Zwei Gruppen der Gesellschaft radikalisieren sich: religiös fundamentalistische Fanatiker deutscher wie nichtdeutscher Herkunft und rechtspopulistische Akteure, die meinen, sie dürften zur Verteidigung des Abendlandes Selbstjustiz mobilisieren. Beide baden in Opferaffekten.

Noch einmal verschärft hat sich das Klima, seit zigtausende Deutschtürken öffentlich ihre Loyalität für das wachsende Gewaltregime des Autokraten Erdogan bekundeten. Wie kann das sein? Warum gehört ihre Loyalität nicht der Demokratie, in der sie leben?

Die Innenminister der Union wollen jetzt massiv gegensteuern. In der "Berliner Erklärung", die am 18. August unterzeichnet werden soll, fordern sie mehr Personal, mehr Mittel, mehr Befugnisse zum Schutz vor islamistischen, rechten und linken Extremisten, vor Cyberkriminellen, Hooligans und generell, wie der Entwurf sagt, vor der „Verrohung unserer Sprache und Hassbotschaften“.

Eine Haltung will die "Berliner Erklärung" vermitteln. Es geht um die kompromisslose Verteidigung zivilisierter Verhältnisse im demokratischen Rechtsstaat, im Kern um das Verhindern deutscher "Molenbeeks". Unmissverständlich soll klar werden, dass gewaltsames Agieren und Gewaltpropaganda strafbewehrt sind, ganz gleich, ob es um religiösen Fundamentalismus, profitgeleitete Mafiamethoden, rechte Lynchjustiz oder das Malträtieren von Frauen und Minderjährigen geht. Die "Berliner Erklärung" gilt dem Erhalt des staatlichen Gewaltmonopols.

Lang und hart ist die Wunschliste der Innenminister

Lang und hart ist die Wunschliste der Innenminister. Sie wollen mehr Daten, mehr Videokameras, bessere Gefährderdateien, schnellere Abschiebung, die Finanzen radikaler Moscheevereine kontrollieren, die Vollverschleierung verbieten. Zur Disposition gestellt werden soll die doppelte Staatsbürgerschaft. Gedacht war die als Angebot zur Integration, etwa um das Erbrecht im Herkunftsland zu behalten und dennoch den deutschen Pass erlangen zu können. Die Union scheint das Vertrauen in den Effekt verloren zu haben. Das Echo der Alarmrufe gegen den Überwachungsstaat hallt beim Lesen des Entwurfs schon voraus. Demokratie braucht solche Diskussion.

Burkas verbieten kostet wenig – sie sind eh selten – und befriedigt Populisten. Ob aber eine Frau sich verhüllt oder nicht, ob jemand zwei Pässe besitzt oder einen, das ändert leider kein Jota daran, was im Kopf der oder des Betroffenen passiert. Doch genau darum geht es, an erster Stelle und auf lange Sicht.

Solange Bildungssystem, Sozialarbeit und öffentlicher Diskurs nicht dafür sorgen, dass konsequent, gefestigt und selbstbewusst demokratisches Wissen, Denken – und Empfinden! – vermittelt werden, arbeiten sich noch die besten Sicherheitskräfte an Symptomen ab. Zur Sicherheit würde übrigens vermutlich als Erstes ein Internet gehören, das nicht mehr rechtsfreier Raum ist, sondern wo wir alle, wie Autofahrer, mit eigenem Kennzeichen unterwegs wären. „Ohne Sicherheit keine Freiheit“, dieses Zitat von Wilhelm von Humboldt stellen die Unionsminister ihrer Erklärung voran.

Staatliches Augenmerk auf dunkle, undemokratische Nischen ist richtig, nötig, wichtig. Wer aber verhindern will, dass die Destruktivität der unethischen Nischen attraktiv bleibt, ob bei Brandstiftern, in Moscheen oder im Internet, der muss die größte Energiemenge, die höchsten Summen, in demokratisches Bewusstsein und Transparenz investieren. Sonst verliert Freiheit die Substanz, die Humboldt meint. Härte ist schwächer als Festigkeit. Um die geht es.

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