Ukraine-Krise, Bürgerkrieg in Syrien und Ostsee-Pipeline: Wir brauchen eine realistische Russland-Politik
Am Donnerstag beginnt in Potsdam der Petersburger Dialog. Unser Gastautor fordert das Ende des Idealismus in der deutschen Russlandpolitik.
Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur deutschen Russlandpolitik. Hier finden Sie die übrigen Debattenbeiträge.
Die Annektion der Krim und der von Moskau betriebene Krieg in der Ostukraine waren eine Realitätscheck für die deutsche Russlandpolitik. Die deutsche Modernisierungspartnerschaft mit dem System Putin ist ebenso gescheitert wie das Konzept eines Wandels durch Annäherung.
Der Glaube, dass wachsende ökonomische Interdependenz und ein Netzwerk aus formellen und informellen Beziehungen eine grundlegende Krise mit Russland verhindern kann, hat sich nicht bewahrheitet. Der tiefe Vertrauensverlust zwischen Moskau und Berlin hat das gesamte Denken über die Einflussmöglichkeiten auf Russland in Frage gestellt. Das Interesse der russischen Eliten ist eben nicht die Modernisierung und Europäisierung des Landes, sondern Machterhalt und Selbstbereicherung.
Russland strebt eine neue Weltordnung an
Die Rückkehr Vladimir Putins ins Präsidentenamt 2012 war eine Entscheidung der Eliten für Machterhalt und gegen Reformen. Damit einher gehen mehr Repression und Kontrolle nach innen sowie ein forcierter Konflikt mit dem Westen als zentrale Legitimationsressource des Systems Putin, auch um vom eigenen Versagen in der Wirtschaftspolitik abzulenken.
Den Einflussverlust auf die Ukraine nach den Massendemonstrationen Ende 2013 konnte Moskau nur durch militärische Gewalt verhindern. Damit hat die russische Führung gegen die Prinzipien der Pariser Charta, welche die Ordnung nach dem Ende des Ost-West Konfliktes besiegelte, verstoßen. Russland untergräbt die Souveränität von Staaten und die Unverletzlichkeit von Grenzen in Europa.
Gleichzeitig erscheint es zu einfach zu sagen, dass nur die russische Führung an der aktuellen Krise schuld ist, Warnsignale hat es reichlich gegeben. Neben der Rede Vladimir Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 sollte der russisch-georgische Krieg 2008 auch als Ergebnis einer Debatte über einen möglichen NATO-Beitritt Georgiens verstanden werden. Die Unterzeichnung eines vertieften Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU hätten bei seiner Umsetzung zu einem massiven Einflussverlust Russlands auf das postsowjetische Schlüsselland Ukraine geführt. All das rechtfertig nicht das Handeln Moskaus, zeigt aber, dass die EU-Mitgliedsstaaten zu lange auf ein kooperatives Russland gesetzt und die geopolitischen Implikationen ihrer Nachbarschaftspolitik für Moskau ignoriert haben.
In Syrien fordert Putin die USA ordnungspolitisch heraus
Putins Ziel mit Blick auf die Ukraine ist eben nicht nur, diese im Einflussbereich zu behalten, sondern mit dem Westen einen neuen Modus vivendi mit Blick auf die Sicherheitsordnung in Europa und Wirtschaftsbeziehungen zu verhandeln. Nicht Integration und Interdependenz sind dabei das Ziel der russischen Führung sondern die Akzeptanz der russischen Einflusssphäre sowie eine Absage des Westens auf die russische Innenpolitik irgendwie Einfluss ausüben zu wollen.
Das trifft genau die traditionelle deutsche Russlandpolitik, die mittels Wandel durch Annäherung einen Wandel in der russischen Innenpolitik fördern wollte. Moskau hat sich vom EU-Modell abgewendet und propagiert ein konträres Weltbild zum "westlichen". In Syrien will die russische Führung nicht nur Assad retten und das sicherheitspolitische Vakuum füllen, das Washington hinterlassen hat, sondern die USA auch ordnungspolitisch herausfordern.
Für Moskau besteht die Zukunft in einer multipolaren Welt, in der einige wenige Mächte Entscheidungen treffen und Konflikte lösen. Der Arabische Frühling und die Farbenrevolutionen in den postsowjetischen Staaten sind aus dieser Sicht ein Irrweg, der die legitimen (autoritären) Führungen weltweit schwächen sollte und zu Chaos geführt hat. In Assad spiegelt sich auch das Regime Putin wieder. Indem Moskau ihm beim Überleben hilft, sendet es eine klare Botschaft: Wir sind dazu in der Lage und bereit, autoritäre Regime gegen von den USA inspirierte "demokratischen Bewegungen" zu unterstützen.
Die Nato muss wieder mehr in die eigene Verteidigung investieren
Was heißt das alles für Deutschland und die EU? Neben Selbstschutz, wo nötig und Kooperation, wo möglich, bedarf es eines neuen Realismus im Verhältnis mit Russland und einem Abschied vom traditionellen Idealismus. Sanktionen gegen Russland und die Fokussierung auf den Minsk-Prozess müssen ergänzt werden durch die Schaffung anderer Plattformen, auf denen mit Moskau über die Ordnung in Europa gesprochen werden kann. Solche Plattformen könnten der NATO-Russland-Rat sein sowie die OSZE, deren Vorsitz Deutschland 2016 übernimmt.
Eine Ukrainisierung aller Beziehungen mit Moskau ist nicht zielführend. Es braucht Mechanismen, die in Krisensituationen wirken, um nicht in eine Sprachlosigkeit zu verfallen. Indem US-Präsident Obama nicht mit Putin reden will, verschärft er nur die Probleme mit Moskau, da die russische Führung ohne von Washington ernst genommen zu werden, ihre Destabilisierungspolitik weiter betreiben wird. Gleichzeitig muss die eigene Sicherheit besser unterfüttert werden und Einflussmöglichkeiten Russlands auf die europäische Wirtschaft und Öffentlichkeit begrenzt werden. Hierfür werden die NATO und höhere Investitionen in die eigene Verteidigung an Bedeutung gewinnen.
Es ist ein Fehler, die Ostseepipeline um zwei weitere Stränge zu erweitern, in dem Glauben, dass mehr Interdependenz Moskau zu mehr Kompromissen bewegen wird. Die russischen Eliten werden auch dieses Projekt nutzen, um ihr korruptes Businessmodell in die EU zu exportieren und ihre politischen Ziele zu verfolgen. Alle die das nicht verstehen, haben nichts aus dem Ukraine-Konflikt gelernt. Moskau betreibt knallharte Interessen- und Machtpolitik. Kommunikationskanäle öffnen ja, Kompromisse anzubieten ohne Gegenleistung, ist nicht nur naiv, sondern gefährlich. Das ist wie bei kostenlosen Drogen, die das Verlangen nach noch mehr hervorrufen. Solange sich Moskau in der Ostukraine nicht ernsthaft bewegt, darf es kein Auslaufen der Sanktionen geben.
Es ist ein Fehler, die Ostseepipeline zu erweitern
Wegen der vielen anderen Krisen, die Ukraine einfach vom Tisch zu bekommen, liegt nicht im deutschen Interesse. Umfassende Kompromisse mit Moskau und mehr Druck auf die ukrainische Führung könnten zu einer Destabilisierung des Landes führen. Gleichzeitig würden sie die Schwäche der EU gegenüber Moskau und anderen postsowjetischen Staaten demonstrieren.
Mit Blick auf Syrien hat sich gezeigt, dass Moskau nicht in erster Linie den IS bekämpft, sondern die Gruppen, die für Assad im Moment am gefährlichsten sind. Das sind ausgerechnet jene Gruppen, die die USA mit Waffen beliefert, woraus ein Stellvertreterkrieg geworden ist. Gleichzeitig erhöht der Militäreinsatz Moskaus die Opferzahlen und damit auch die Flüchtlingszahlen nach Europa. Auch hier gilt: Mit der russischen Führung reden ja, aber nicht glauben, über falsche Kompromisse diese zum Einlenken zu bringen.
Deutschland und die EU brauchen eine neue Ostpolitik, die kalkuliert, dass Russland auf absehbare Zeit ein unberechenbarer Nachbar bleibt, mit den Ressourcen und dem Willen, Krisen zu schaffen und zu schüren. Russland unter Putin ist in internationalen Konflikten oftmals nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Trotzdem können wir dieses Russland nicht ignorieren, sondern müssen lernen, mit ihm umzugehen, ohne in alte Muster von Kompromissen ohne Zugeständnisse zu verfallen. Dazu braucht es Durchsetzungsvermögen und eine Politik, die nicht nur im Krisenmodus agiert, sondern eine längerfristige Perspektive hat.
Deutsche Politik sollte vorbereitet sein, auf ein schwächer werdendes aber nicht schwaches Russland. Realistisch sein heißt auch, das Mögliche zu erkennen: Das Beste was wir im Moment mit Russland erreichen können ist friedliche Koexistenz. Dafür brauchen wir funktionsfähige Kommunikationsinstrumente sowie Mechanismen und Institutionen, um einen gewissen Grad an Berechenbarkeit in den Beziehungen wieder herzustellen. Diese zu schaffen, sollte die Hauptaufgabe deutscher und europäischer Politik sein.
Dr. Stefan Meister ist Programmleiter Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Stefan Meister